Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 5-2005, Rubrik Kommentar

Risse im Fundament

Von Hans-Jürgen Plate, LJR-Vorsitzender

Die Kräfte der Kostenspirale. Die Pisa-Studien haben es belegt: in einem der reichsten Industrieländern der Welt gibt es eine klare Zwei-Klassen-Bildungsgesellschaft! Kinder und Jugendliche aus »reichen« Verhältnissen haben es leichter, einen höheren Schulabschluss zu erreichen. Die Selektion beginnt schon im Kindergarten. Durch hohe Kostenbeiträge ist es nicht allen Kindern möglich, einen Kindergarten zu besuchen. So verpassen viele schon früh die Möglichkeit der Integration und des Lernens im Umgang mit Anderen. Für Hartz-IV-Empfänger gibt es Zuschüsse, die auch wichtig sind; aber was ist mit denen, die über Einkommen verfügen und doch nicht genug haben? Dann ist es kaum zu machen. Danach kommt die Vorschulgebühr. Auch nicht von schlechten Eltern. Später noch das Büchergeld … Auf der Kostenspirale des Bildungssystems wirken Zentrifugalkräfte, die Kinder und Jugendliche aus »nicht-reichem« Hause schnell aus der Bahn tragen können.

Nächste Stationen. In der Schule hast du keine Chance, wenn du keine Eltern hast, die es sich leisten können, dich bis zum Abitur auf die Schule zu schicken. Die neue Ganztagsschule soll dem abhelfen. Die Schulen bekommen Geld, um ihre Kantinen umzubauen. Aber es gibt keine einheitlichen Regeln, was im Nachmittagsunterricht vermittelt werden soll. Es gibt offene, verbindliche oder Mischformen. Angeboten werden Sport oder Nachhilfe – aber auch viele Dinge, die die Welt nicht braucht.
Falls du es durch glückliche Umstände doch schaffst, ein gutes Abitur zu machen, und nun denkst »Ich will raus, ich will mehr«, dann kommt es nun ganz dick. An der Hamburger Uni gibt es nicht nur ziemlich heftige Zulassungskriterien, jetzt kommen auch noch die Studiengebühren hinzu. Die nächste Drehung auf der Kostenspirale – mit ungewissem Ausgang für »normale« Studenten: Bafög gibt's nicht, deine Eltern haben ja Arbeit. Aber ca. 1.000 Euro Studiengebühren im Jahr schlagen durch. Wie kompensieren? Wer nebenher jobben will, braucht Glück auf dem engen Arbeitsmarkt. 85 Euro pro Monat allein für die Studiengebühren pro Monat, hinzu kommen noch die Kosten für Literatur, Skripte etc..

Hallo, merkt noch jemand die Einschläge?! Von wegen alle Menschen sind gleich. Gleich, gleicher, am gleichesten. Es wird eine Selektion im Bildungssystem durchgeführt, die ihresgleichen sucht. Eine Selektion, die zur Folge haben wird, das Menschen aus »normalen« Verhältnissen, die eine kritische Sicht gegenüber manchem haben, der Zugang zu den Universitäten nur unter größten Mühen noch möglich sein wird. Und ebenso hart trifft es Studierende, die sich nicht allein für den verordneten Lernstoff interessieren, sondern sich jenseits der Uni sozial engagieren wollen. Das stromlinienförmige Studium verlangt die Fokussierung auf das schnelle Durchkommen. Wer dagegen viel Zeit für ein Ehrenamt aufwendet, dem drohen als »Langzeitstudenten« beträchtliche Studiengebühren.

Aber sind es nicht gerade diese Studenten mit sozialem Engagement, die sich auch in unseren Verbänden engagieren? Durch ihr Ehrenamt tun sie viel für unsere Zukunft: sie arbeiten mit Kindern und Jugendlichen aus allen sozialen Schichten! Hier gibt es noch die Möglichkeit, verschiedene Schichten miteinander zu vernetzen und Verständnis für den Anderen zu erlernen. Wenn nun aber diese Ehrenamtlichen unter dem Druck der Studiengebühren ihre Zeit anders einteilen müssen, ist es wohl kaum zu verhindern, dass wir unsere Arbeit auf weniger Schultern als bisher verteilen müssen.

Abhilfe gesucht. Es muss uns darum gehen, nach Mitteln und Wegen zu suchen, um unsere Leute zu unterstützen. Eine Anerkennung ihrer ehrenamtlichen Arbeit bei der Vergabe von Studienplätzen wäre eine gute Möglichkeit, um unsere Mitarbeiter am Standort Hamburg zu halten. Zudem wäre es wünschenswert, wenn die ehrenamtliche Arbeit auch abzugsfähig bei der Studiengebühr wäre, um die geleistete Arbeit und zukünftige Arbeit zu stärken und zu stützen. Dass diese Forderung ein schwieriges Unterfangen ist, ist wohl klar. Aber wie bei jeder Gebührenregelung wird es wohl auch hier Ausnahmereglungen, Härtefälle etc. geben. Wir müssen unsere Arbeit ins Bewusstsein der Entscheidungsträger bringen. Schließlich bilden wir Verbände mehr Führungspersonen in Form von Jugendgruppenleitern aus als irgendein Unternehmen in Hamburg. Jugendgruppen sind in der Leitkultur für Unternehmungsführung immer noch ein Vorbild. Ein Jugendgruppenleiter ist geschult in den Grundlagen der Personalführung und Gruppendynamik. Er/Sie ist in der Lage eine Gruppe zu motivieren, versteht es, Ziele zu formulieren und auch zu erreichen. Diese Fähigkeiten befähigen unsere Leute auch im späteren Berufsleben, sich in Unternehmen besser zu profilieren. Ein so vorgebildeter Mitarbeiter ist besser in der Lage, eine Gruppe zu führen. Dies wird an der Uni nicht unbedingt gelehrt. Oder gibt es etwa z.B. viele Chemiestudenten die Personalführung lernen?!
Natürlich müssen wir dafür auch etwas ändern. Was genau von uns erwartet wird, um solche oder ähnliche Forderungen durchsetzen zu können, bleibt abzuwarten. Sicher müssen wir uns auf gewisse Standards bei der Juleica festlegen, um glaubwürdig dazustehen. Dies sollte möglich sein. Wir haben starke Pfründe, mit denen wir wuchern können und müssen, auch wenn es sicher kein leichter, kurzer Weg sein wird.
Es liegt auch an uns, dieses System in Frage zu stellen, und daran zu arbeiten, dass es geändert wird. Die Risse im Fundament der Bürgergesellschaft sind unübersehbar. Eine Chancengleichheit für alle ist und bleibt unsere Zukunft, die wir täglich in den Händen haben.