Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2006, Rubrik Kommentar

Migration und Bildung

Im Februar erreichte uns in Deutschland eine Einschätzung unseres Bildungssystems durch die Vereinten Nationen. UN-Menschenrechtexperte Munoz hatte auf einer Inspektionsreise quer durch Deutschland bei den verschiedenen Bildungssystemen der Länder gravierende Mängel in der schulischen Bildungslandschaft festgestellt.
Insbesondere die fehlenden Bildungschancen für Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund seien die Hauptursache für die wachsende soziale Ungleichheit und Armut. Das deutsche Bildungssystem sei zu sehr auf Trennung und zu wenig auf Integration ausgelegt.

So alarmierend dieser Bericht war, er verrät eigentlich wenig Neues: In den letzten Jahren wächst sowohl die Zahl der Studien, die diese Sachverhalte uns immer wieder eindrucksvoll vor Augen führen, aber die soziale Diskrepanz und Abgrenzung unterhalb der Kinder und Jugendlichen wird für jedermann wahrnehmbar schärfer. Die finanziellen Verhältnisse, unter denen Jugendliche aufwachsen, beeinträchtigen nachhaltig ihr soziales Umfeld und ihre Chancen auf höhere Bildungsabschüsse.
Auch in Hamburg wächst die Zahl der Kinder aus einkommensschwachen Familien an. Der paritätische Wohlfahrtsverband schätzt die Zahl dieser Kinder in der Altersgruppe bis 15 Jahren für unsere Stadt auf über 90.000, jeder Dritte in dieser Altergruppe.

Die Aufgabe, die sich aus diesen Fakten ergeben muss klar sein: Die Integration von Kindern aus einkommensschwachen Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund muss ein zentrales Anliegen sein, um gerechte Zukunftschancen für alle Kinder zu gewährleisten.
Dieses darf aber nicht nur ein Anliegen von Schule sein. Vielmehr müssen sich alle Bildungsträger – sowohl Schulen, staatliche Einrichtungen und Träger der Jugendhilfe – dieser Problematik bewusst und auch bereit sein, Strategien und Handlungen für das Herangehen an diese Aufgabe zu entwickeln.

Jugendverbände bieten als u.a. größter Anbieter für Freizeitgestaltung Kinder und Jugendlicher die einzigartige Chance, durch ihre Vielfältigkeit allen Jugendlichen unabhängig von sozialer Herkunft gesellschaftlichen Halt zu geben und ihnen soziale Kompetenzen und eigenverantwortlich Handeln zu vermitteln.
Auch für Jugendverbände stellt sie die Frage, welche Barrieren bestehen könnten, die den Zugang zu unseren Strukturen für diese Kinder und Jugendlichen erschweren und wie diese abgebaut werden können.
In vielen Bereichen wurden schon gute Schritte in die richtige Richtung getan, sei es durch quartiers- und stadteilorientierte Angebote, durch niedrig-schwellige Ansprache, durch finanzielle Unterstützung bei Mitgliedschaften und Jugendreisen, die für diese Zielgruppe sonst nicht tragbar wären, welche aber für sie einzigartige Erfahrungen bieten.

Denkbar sind aber viele weitere Ansätze. Durch Verzahnungen von Jugendverbänden und staatlichen Stellen wie Schulen und Kindergärten ist es möglich, Kompetenzen zu bündeln und eine breite Ansprache durch alle sozialen Schichten zu erreichen. Dieses Werkzeug zur Integration und für eine bessere Chancengerechtigkeit kann aber nur greifen, wenn die verschiedenen Systeme ihre Stärken einbringen können.
Hierfür sind Anstrengungen aller Akteure von Nöten, eigene Befindlichkeiten müssen zurückgestellt und stattdessen gemeinsam problemorientiert Lösungen gefunden werden, denen schlüssige Gesamtkonzepte zugrunde liegen müssen.

Eike Schwede, LJR-Vorsitzender