Von Mathias Albert, Gudrun Quenzel, Ulrich Schneekloth, Mitglieder im Team der Autorinnen und Autoren der Shell Jugendstudie
Die 19. Shell Jugendstudie wurde im Oktober 2024 vorgestellt. Nachdem die erste Shell Jugendstudie bereits im Jahr 1953 vorgelegt wurde, ist sie seit der 14. Ausgabe im Jahr 2002 konsequent als Trendstudie angelegt, welche es insbesondere erlaubt, jenseits von kurzfristigen Ausschlägen in Einstellungen längerfristige Entwicklungen nachzuzeichnen (dabei in einigen Fragen durchaus bis weit vor das Jahr 2002).
punktum hat seit dem Jahr 2010 bereits mehrmals aus Anlass des Erscheinens der Shell Jugendstudie über diese berichtet und diese dabei durchaus auch kritisch diskutiert. Vorliegend wird die Vorstellung der Studie in dieser Zeitschrift erstmals von einem Teil des Teams von Autorinnen und Autoren vorgenommen, so dass naturgemäß der Schwerpunkt eher auf der komprimierten Darstellung einiger Studienergebnisse liegt. Diese bedeutet jedoch keinesfalls einen Verzicht auf selbstkritische Reflektion. Diese bezieht sich zum einen auf eine kurze Diskussion der Dinge, die die Studie aufgrund ihrer Anlage und ihres Umfangs nicht leisten kann. Auf der anderen Seite greift sie Fragen auf, welche sich erst im Laufe der intensiven Diskussionen nach der Veröffentlichung der Studie ergeben (bzw. erst dann in dieser Schärfe) ergeben haben. Wir greifen diese Punkte am Ende des vorliegenden Beitrages auf.
Anlage der Studie
Den Rahmen jeder Shell Jugendstudie bildet eine Reflektion über die Entwicklung der gesellschaftlichen Umwelt, in der Jugendliche leben, sowie eine breite Rezeption der neueren Literatur aus der Jugendforschung. Vor diesem Hintergrund werden thematische Schwerpunktsetzungen für die neue Studie festgelegt. Eine solche thematische »Schwerpunktsetzung« ist dabei immer nur in sehr eingeschränktem Umfang möglich, da die Studie im Grundsatz darauf angelegt ist, die aktuellen Lebenslagen und Einstellungen der Jugendlichen im Lichte von längerfristigen Trends zu vermessen, so dass immer nur ein begrenzter Raum für Veränderungen zur Verfügung steht.
In diesem Rahmen bildet die Befragung von Jugendliche die Grundlage der Shell Jugendstudien. Es handelt sich somit primär um eine Studie, welche die Jugendlichen selbst zu Wort kommen lässt. Dies geschieht in Form einer bundesweit repräsentativen Stichprobe von 2509 Jugendlichen im Alter von 12-25 Jahren, ergänzt durch vertiefende, leitfadengestützte Interviews mit zwanzig Jugendlichen (Fragebogen und Methodik finden sich in der Studie selbst dokumentiert).
»Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt«
Der Untertitel der 19. Shell Jugendstudie drückt eines ihrer wesentlichen Ergebnisse aus: Jugendliche machen sich Sorgen, sie sind mit vielen Dingen in Staat und Gesellschaft unzufrieden. Einer sichtbar verbreiteten Verdrossenheit steht aber ebenso eine sichtbare Offenheit und eine bemerkenswerte Toleranz gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gegenüber. Beides verbindet sich in einer pragmatischen Grundeinstellung, welche wir bei der jungen Generation bereits seit Beginn der 2000er Jahre beobachten und an der sich nichts Wesentliches geändert hat. Diese Konstanz liefert auch den Hintergrund für eines der möglicherweise überraschendsten Einzelergebnisse der Studie, nach dem nämlich trotz großer Ängste und Sorgen etwa vor einem Krieg in Europe oder wachsender Armut der Zukunftsoptimismus Jugendlicher in Bezug auf die Gesellschaft nicht etwa sinkt, sondern von 52 %, die diese Zukunft im Jahre 2019 eher zuversichtlich sehen, im Jahr 2024 sogar noch auf 56 % ansteigt. Dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis wollen wir am Ende des vorliegenden Beitrages auf Grundlage des nachfolgenden Überblicks auf Entwicklungen in den Bereichen Politik und Werte, jugendliche Lebenswelten, sowie Bildung und Berufswelt diskutieren.
Interesse an Politik
Einer der wichtigsten Befunde der aktuellen Shell Jugendstudie ist, dass das politische Interesse von Jugendlichen inzwischen wieder deutlich angestiegen ist. Aktuell bezeichnet sich jede und jeder Zweite als politisch interessiert. Noch in den 1990er und 2000er Jahren lagen diese Werte viel niedriger, 2002 sogar nur noch bei 30 %. Bei Mädchen und Jungen sind keine nennenswerten Unterschiede mehr zu verzeichnen. Politik ist damit auch nicht mehr vorwiegend »Männersache«.
Aktiv über Politik informieren sich 51 % der Jugendlichen (2019: 36 %). Auch die Bereitschaft zum politischen Engagement ist langfristig gewachsen, von 22 % in 2002 auf 37 % in 2024. Es hat nicht den Anschein, als ob das politische Interesse sowie die Bereitschaft zum Engagement ein kurzfristiger und medial verbreiteter Effekt einer vermeintlichen »Generation Greta« waren, die unter sich ändernden Rahmenbedingungen jetzt wieder abebben würden.
Ängste und Sorgen
Die neue geopolitische Lage hat auch bei den Jugendlichen in Deutschland deutliche Spuren hinterlassen. Mehr als 80 % von ihnen haben Angst vor Krieg in Europa. Zwei Drittel sorgen sich allgemein um die wirtschaftliche Lage und um eine möglicherweise steigende Armut. Nur etwas mehr als ein Drittel und damit noch weniger als in früheren Jahren hat allerdings konkrete Angst vor Arbeitslosigkeit oder davor, keinen Ausbildungsplatz zu finden.
Die Themen Umweltverschmutzung und Klimawandel machen nach wie vor zwei Drittel der Jugendlichen Angst. Insbesondere die Sorge um den Klimawandel hat für junge Menschen nichts an Bedeutung verloren. Vielmehr reiht sich die Betroffenheit in eine umfänglichere Krisenwahrnehmung ein, die inzwischen auch im Alltag der jungen Menschen in Deutschland etwa im Hinblick auf die Preisentwicklung in der jüngeren Vergangenheit oder den weiterhin anhaltenden Zuzug von geflüchteten Menschen deutlich spürbarer wird.
Höher Gebildete sorgen sich häufiger um den Klimawandel und den generellen gesellschaftlichen Zusammenhalt, während Jugendliche mit mittlerer oder niedriger Bildungsposition häufiger Angst vor einem wirtschaftlichen Abstieg haben. Migration bereitet vor allen Dingen Jugendlichen mit niedriger Bildungsposition Sorgen. Nach wie vor haben mit 58 % aber deutlich mehr Jugendliche Angst vor einer wachsende Ausländerfeindlichkeit in Deutschland als mit 34 % vor einer weiteren Zuwanderung nach Deutschland.
Jugendliche aus Ostdeutschland haben generell mehr Ängste und Sorgen als Westdeutsche: nur vor Ausländerfeindlichkeit fürchten sie sich seltener. Junge Menschen aus den östlichen Bundesländern fühlen sich auch 35 Jahre nach dem Mauerfall nach wie vor schlechter gestellt und verwundbarer als die Gleichaltrigen aus dem Westen.
Tendenziell zunehmende politische Polarisierung
Die Jugendlichen in Deutschland positionieren sich inzwischen auch selber wieder viel deutlicher als früher hinsichtlich ihrer eigenen politischen Haltung. Anders als in den früheren Jahren können oder wollen sich aktuell nur noch 10 % der Jugendlichen selber nicht zwischen Rechts und Links einordnen. Bei unseren Studien von 2015 und 2019 traf dies noch für etwa 20 % zu.
Im Durchschnitt stufen sie sich mit einem Mittelwert von 5,3 auf einer Skala von 1 bis 11 (1 = links, 11 = rechts) auch weiterhin leicht links ein. Im Zeitverlauf betrachtet war dieser Wert, abgesehen von kleineren Schwankungen, in den letzten Jahren eher stabil (2015: 5,4. 2019: 5,1). Auch in 2024 haben wir demnach keine Veränderungen feststellen können, die auf einen klaren »Rechtsruck« hindeuten. In Prozentzahlen ausgedrückt ordnen sich 14 % der Jugendlichen als links und weitere 32 % als eher links ein. Zur Mitte zählen sich 26 %. Als eher rechts bezeichnen sich 14 % und als rechts 4 % (10 % ohne Positionierung).
Tendenziell zugenommen hat allerdings die politische Polarisierung. Der Anteil der männlichen Jugendlichen, die sich selber als eher rechts oder rechts verorten, ist auf jeden Vierten angestiegen (2019 traf dies noch für weniger als jeden Fünften zu). Bei den weiblichen Jugendlichen bezeichnen sich hingegen nur 11 % als eher rechts oder rechts. Hier ist kein Anstieg zu verzeichnen. 41 % der männlichen Jugendlichen sehen sich eher links oder links, Tendenz im Zeitverlauf eher stabil. Bei den weiblichen Jugendlichen positionieren sich hingegen 51 % als eher links oder links. Die Tendenz geht bei ihnen in den letzten Jahren hingegen eher nach links.
Stabiles Demokratievertrauen
Jugendliche haben Zukunftsvertrauen und blicken mehrheitlich positiv auf die Möglichkeiten, die ihnen Staat und Gesellschaft bieten. Etwa drei Viertel der Jugendlichen (76 %) sind der Ansicht, dass Deutschland ihnen alle Möglichkeiten bietet, ihre Lebensziele zu verwirklichen und vertrauen darauf, dass alle gemeinsam als Gesellschaft eine lebenswerte Zukunft schaffen können (71 %). Das für den deutschen Sozialstaat zentrale Leistungs- und Gerechtigkeitsversprechen sowie das Vertrauen in den Fortschritt sind aus ihrer Sicht demnach weitestgehend intakt.
Auffällig ist aber auch die Kritik, die die Jugendlichen an der Situation in Deutschland üben. 57 % meinen, dass vieles, was woanders selbstverständlich ist, bei uns nicht funktioniert; eine Äußerung, die eine eher populistisch geprägte Kritik an staatlichem Versagen aufnimmt. Ähnliches gilt für die eher vom Eigennutz geprägte und Verlustängste ausdrückende Aussage »Die meisten Maßnahmen, die vom Staat getroffen werden, bringen mir persönlich keine Vorteile«: Hier stimmen 55 % zu.
Das Vertrauen in die Demokratie ist in Deutschland trotz aller Kritik nach wie vor stabil. Insgesamt geben erneut 75 % der Jugendlichen an, dass sie mit der Demokratie sehr bzw. eher zufrieden sind. 24 % äußern sich unzufrieden (1 % keine Angabe). Aber: in den östlichen Bundesländern ist die Zufriedenheit im Trend wieder rückläufig. (Ost 60 % im Vergleich zu 66 % in 2019, West 77 % im Vergleich zu 76 % in 2019).
Klassische und moderne Werte im Mix
Deutlich über 90 % der Jugendlichen, Mädchen wie auch Jungen, nennen als wichtigstes Lebensziel »Gute Freunde haben, die einen anerkennen und akzeptieren«, »Einen Partner haben, dem man vertrauen kann« oder »Ein gutes Familienleben führen«. Daran hat sich in den letzten 20 Jahren nichts geändert. Die große Mehrheit der Jugendlichen verbindet dabei die ebenfalls hoch im Kurs stehende klassische Tugenden, etwa fleißig und ehrgeizig sein oder im Leben nach Sicherheit streben mit modernen oder auf Selbstentfaltung abzielende Werte, wie Gesundheitsbewusstsein, Respektierung von Vielfalt oder Fantasie und Kreativität entfalten.
Im Zeitverlauf betrachtet haben vor allem in der jüngeren Vergangenheit Wertorientierungen, die für einen robusten Materialismus stehen, wieder etwas stärker an Bedeutung gewonnen. Neben dem Wunsch nach einem hohen Lebensstandard, den drei von vier Jugendliche als wichtig empfinden, gilt dies zum Beispiel auch für die Haltung, sich und seine Bedürfnisse gegen andere durchzusetzen (56 %). Auf der anderen Seite sind aber auch die Wertorientierungen, die eher auf eine bewusste Lebensführung abzielen und damit auf Achtsamkeit in Bezug das eigene wie aber auch das Wohlbefinden anderer, stabil geblieben. Mehr als vier von fünf halten es zum Beispiel für wichtig, die Vielfalt der Menschen anzuerkennen und zu respektieren.
Lebenswelten – analog und digital
Digitale Medien sind aus dem Alltag junger Menschen kaum wegzudenken. Die Nutzung ist dabei ziemlich vielfältig. Besonders häufig werden digitale Medien zur Kommunikation eingesetzt, aber auch Unterhaltung und Informationssuche sind wichtiger geworden. Aber auch wenn junge Menschen sehr viel Zeit digital verbringen, halten sie nicht alle Kanäle und Inhalte für vertrauenswürdig. Das größte Vertrauen bringen bei der Informationssuche nach wie vor den klassischen Medien wie den ARD- oder ZDF-Fernsehnachrichten und den überregionalen Zeitungen entgegen. Informationsangeboten auf YouTube, TikTok oder Instagram und X vertrauen sie demgegenüber deutlich seltener. Nach wie vor bringen Jugendliche in den neuen Bundesländern den klassischen Medien deutlich weniger Vertrauen entgegen als Gleichaltrige in den alten Ländern und vertrauen umgekehrt häufiger den Informationen auf Online-Kanälen. Fast die Hälfte der Jugendlichen steht zudem dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) (sehr) positiv gegenüber.
Unverändert gehören, wie bereits dargestellt, stabile Beziehungen, Freundschaften und Familie zu den wichtigsten Lebenszielen junger Menschen. Daran hat sich die letzten 20 Jahre nichts geändert, wenn überhaupt, dann ist der soziale Nahbereich in dieser Zeit noch wichtiger geworden. Etwa hat sich das Verhältnis Jugendlicher zu ihren Eltern seit Jahrzehnten stetig verbessert. Die Ursache liegt vermutlich in einem veränderten Erziehungsstil, der Jugendliche mitbestimmen lässt und auf Autonomie statt auf Autorität setzt.
Die meisten Jugendlichen sind ziemlich zufrieden mit ihrem Freundeskreis. Sich mit den eigenen Eltern gut zu verstehen und zufrieden mit dem Freundeskreis zu sein, geht mit einer hohen Lebenszufriedenheit und weniger Einsamkeit einher. Bei älteren Jugendlichen gilt dies auch für Partnerschaften.
In der Bedeutung, die sie Freundschaften, Partnerschaften und der Familie zuschreiben, sind sich junge Frauen und junge Männer dabei bemerkenswert einig. Deutliche Unterschiede finden wir jedoch bei verschiedenen sogenannten Zeitgeist Themen, wie »Gendern«, vegane Ernährung, Feminismus, Männlichkeit oder eine offene, pluralistische Gesellschaft. Die Einstellungen junger Menschen zu diesen Themen haben wir in der aktuellen Studie erstmals abgefragt haben, da sie in der Öffentlichkeit häufig kontrovers diskutiert werden und mitunter als emotionale »Triggerpunkte« in Debatten gelten.
Grundsätzlich kann man dabei sagen, dass junge Frauen im Schnitt deutlich »woker« eingestellt sind als junge Männer. Etwa finden junge Frauen eine vielfältige, bunte Gesellschaft, Feminismus und vegane Ernährung deutlich häufiger wichtiger als junge Männern. Umgekehrt sind jungen Männern Männlichkeit, Markenkleidung, sportliche Autos oder Motorräder und Wettbewerb wichtiger.
Gefragt wurden die Jugendlichen dieses Mal auch, wie sie zum »Gendern« in der deutschen Sprache stehen. Auch hier gehen die Einstellungen der jungen Frauen und der jungen Männer deutlich auseinander. Ein Drittel der jungen Frauen findet »Gendern« gut, einem Drittel ist es egal und ein Drittel lehnt es ab. Unter den jungen Männern sind demgegenüber nur 12 % pro »Gendern«, einem guten Drittel ist es egal und etwas mehr als die Hälfte lehnt es ab. Die Haltung zum »Gendern« hängt zudem stark von der politischen Selbstverortung auf der Links-Rechts-Skala ab. Jugendliche, die sich selbst als (eher) »links« beschreiben, stehen dem »Gendern« tendenziell offen gegenüber, Jugendliche, die sich als (eher) »rechts« verorten, lehnen es verstärkt ab.
Wir haben diesmal zudem die aktuelle Diskussion zu LGBTQIA* und zur geschlechtlichen Verortung jenseits der binären Geschlechterordnung aufgegriffen und die Jugendlichen nach ihrer sexuellen Orientierung sowie nach ihrer geschlechtlichen Identität gefragt. In unserer Befragung ordnen sich weniger als 1 % weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zu. Angesichts der geringen Fallzahlen können wir keine belastbaren Aussagen zu dieser Gruppe machen. Deutlich mehr Jugendliche bezeichnen sich selbst hingegen als nicht ausschließlich heterosexuell – und zwar 7 % der jungen Männer und 18 % der jungen Frauen. Allerdings verorten sich nur jeweils zu 1 % als ausschließlich homosexuell. Sexuelle Orientierung scheint – insbesondere bei jungen Frauen – offenbar zunehmend als Kontinuum verstanden zu werden. Zugenommen hat auch die Akzeptanz von schwulen und lesbischen Lebensweisen. Sagten vor 20 Jahren noch 15 % der Jugendlichen, sie fänden es »nicht so gut«, ein homosexuelles Paar als Nachbarn zu haben, sind es inzwischen »nur« noch 10 %. Junge Frauen haben hier deutlich weniger Vorbehalte als junge Männer. Dennoch scheint es nach wie vor eine Herausforderung zu sein, von der heterosexuellen Normvorstellung abzuweichen. Junge Menschen, die sich nicht als ausschließlich heterosexuell identifizieren, empfinden die Beziehung zu ihren Eltern häufiger als schwierig, sind weniger zufrieden mit ihrem Freundeskreis, fühlen sich psychosozial stärker belastet und wünschen sich seltener eigene Kinder als ausschließlich heterosexuell orientierte.
Wir haben die Jugendlichen auch gefragt, ob sie noch negative Auswirkungen der Coronapandemie spüren. Etwas mehr als die Hälfte spürt offenbar keine Langzeitfolgen. Allerdings ist das Gefühl von Einsamkeit gestiegen - vor allem bei jungen Frauen. Inzwischen sagen 27 % der jungen Frauen, dass sie sich oft einsam fühlen, vor fünf Jahren waren es 20 %.
Bei jungen Männern ist der Wert von 18 % auf 21 % gestiegen. Fast jede*r Sechste spricht von nachhaltig beeinträchtigten Bildungs- und Berufsplanungen. Ein Teil verbringt mehr Zeit online mit Freunden und Bekannten, andere haben durch die Kontaktbeschränkungen Freundschaften oder gute Bekannte verloren, sich mit Menschen zerstritten, die ihnen wichtig waren, oder mussten den Tod eines Angehörigen erleben.
Bildung und Berufswelt
Neben Freund:innen und Familie sind Jugendlichen Bildung und Beruf sehr wichtig. Der »Run« auf die Bildungsabschlüsse ist dabei ungebrochen. Inzwischen streben 69 % der Jugendlichen die Hochschulreife an, nur noch 5 % den Hauptschulabschluss. Das Gymnasium ist weiter auf dem Weg zur Mehrheitsschule. Der Bildungserfolg unterscheidet sich jedoch immer noch stark nach sozialer Herkunft. Nur 27 % der Jugendlichen, deren Eltern (höchstens) einen einfachen Schulabschluss haben, erreichen oder streben das Abitur an. Hat hingegen zumindest ein Elternteil Abitur, sind es 80 %. Auch negative Erfahrungen im Bildungssystem sind ungleich verteilt. Jugendliche aus weniger privilegierten Elternhäuser sind häufiger versetzungsgefährdet oder erreichen den gewünschten Schulabschluss nicht. Ein erheblicher Teil der weniger privilegierten Jugendlichen gelingt jedoch ein bemerkenswerter Bildungsaufstieg – auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden.
Insgesamt nehmen die Probleme in der Bildungslaufbahn dabei tendenziell ab und die Jugendlichen blicken aktuell mit großem Optimismus in ihre schulische und berufliche Zukunft. Nur noch eine Minderheit erwartet Probleme im weiteren Bildungs- und Ausbildungsverlauf. Unter den Jugendlichen, die noch zur Schule gehen, sind sich mehr als neun von zehn jungen Menschen sicher, ihren Wunschabschluss zu erreichen. Ebenso viele Auszubildende sind sich sicher, nach der Ausbildung übernommen zu werden. Besonders hoch ist die Zuversicht unter Studierenden innerhalb eines Jahres eine dem Studienabschluss angemessene Arbeit zu finden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass vor allem Jugendliche aus den sozial weniger privilegierten Elternhäusern heute deutlich optimistischer in ihre persönliche Zukunft blicken als vor 10 Jahren. Darüber darf die Minderheit der Jugendlichen, die negative Erfahrungen im Bildungssystem machen und mit wenig Optimismus in ihre schulische und berufliche Zukunft blicken, nicht außer Acht gelassen werden.
In den letzten Jahren wurde in den Medien intensiv über die sogenannte Generation Z diskutiert und dieser eine abnehmende Arbeitslust und mangelnde Leistungsbereitschaft zugeschrieben. Diese Behauptungen lassen sich mit unseren Daten so pauschal nicht bestätigen. Von einer generellen Arbeitsunlust oder dem Wunsch nach Work-Life-Balance mit viel »Life« und wenig »Work« ist wenig zu spüren. Zwei Drittel der Jugendlichen sind etwa bereit, viel zu arbeiten, wenn sie dadurch mehr Geld verdienen können. Gleichzeitig bestätigen sich jedoch die Vermutungen, dass junge Menschen heute mehr Flexibilität von ihrem Arbeitgeber im Hinblick auf Arbeitszeiten und Homeoffice erwarten. Zudem messen Jugendliche heute materiellen Aspekten der Erwerbstätigkeit, etwa viel Geld zu verdienen und Karriere zu machen, mehr Bedeutung bei. Geblieben ist jedoch das starke Bedürfnis junger Menschen nach einem sicheren Arbeitsplatz.
Grenzen der Studie und Perspektiven
Die Shell Jugendstudie sucht die Lebenswelten und Einstellungen Jugendlicher in Deutschland umfassend zu vermessen und die Gegenwart hierbei insbesondere auch im Kontext längerfristiger Entwicklungen zu reflektieren. In dieser längerfristigen und umfassenden, die junge Generation in ihrer Vielfalt in den Blick nehmenden Anlage liegt die Stärke dieser Studie, welche ihr regelmäßig eine hohe Aufmerksamkeit in breiten gesellschaftlichen Gruppen garantiert. Dabei kann oder will die Shell Jugendstudie eine Reihe von Dingen nicht sein. So bedingt etwa die Größe der Stichprobe, dass die Studie zwar bundesweit repräsentative Aussagen treffen kann und ebenfalls repräsentativ etwa nach sozialer Schicht, Geschlecht, regionaler Herkunft (Ost-West) usw. differenzieren kann. Ihr sind aber insbesondere keine repräsentativen Aussagen auf der Ebene einzelner Bundesländer möglich. Sie kann und will ebenfalls keine Aussagen zu tagesaktuellen Entwicklungen treffen. Schließlich versteht sie sich vor allem als eine die Einstellungen von Jugendlichen dokumentierende und anschließend in der längerfristigen Perspektive analysierende Studie. Sie ist jedoch kein »policy-paper«, welches selbst aus der Analyse folgende detaillierte Handlungsempfehlungen erstellt.
Die Erstellung einer umfangreichen und komplexen Studie wie die Shell Jugendstudie ist immer mit Kompromissen verbunden. Diese Kompromisse resultieren daraus, dass zur Sicherstellung der langfristigen Berichterstattung große Teile des Fragebogens nicht verändert werden können. Andererseits darf ein Fragebogen aus praktischen Gründen eine gewisse Länge nicht überschreiten. Bei jeder neuen Studie sind insofern schwierige Abwägungen zu treffen, welche alten Teile des Fragebogens gestrichen und welche neu aufgenommen (oder wieder aufgenommen) werden. Diese Abwägungen werden nach bestem Wissen und Gewissen in intensiven inhaltlichen Diskussionen getroffen. Trotzdem ist es aber selbstverständlich immer so, dass man nach dem Vorliegen der Ergebnisse manchmal wünscht, doch noch die eine oder andere Frage gestellt zu haben.
Vorliegend betrifft diese insbesondere die Nachfrage nach dem Grund für den gestiegenen Optimismus der Jugendlichen hinsichtlich der Zukunft der Gesellschaft. Dieser Anstieg ist bemerkenswert, war aber so nicht zu erwarten gewesen. Hier ist es möglich, anhand vieler anderer Ergebnisse der Shell Jugendstudien Interpretationen anzubieten. Das hohe Vertrauen in Staat und Demokratie (nicht: in »die« Politik oder in Parteien!) und der Eindruck einer Mehrheit der Jugendlichen, die Corona-Pandemie hinter sich gelassen zu haben, geben hier einen Schlüssel zum Verständnis dieses zunehmenden Optimismus an die Hand. Hätte es allerdings im Vorfeld in diese Richtung zeigende Hinweise gegeben, wären sicher deutlich gezieltere Fragen nach dem Grund für den Optimismus möglich gewesen. Dies soll vorliegend nicht als Selbstkritik, sondern vielmehr als Anregung verstanden werden. Die Shell Jugendstudie ist eine sehr breit angelegte Studie, die die junge Generation in ihrer gesamten Differenziertheit und Vielfalt zeigt. Sie war und ist bewusst immer schon als eine Studie angelegt, die dazu einlädt, nicht nur über ihre Ergebnisse zu diskutieren, sondern an einzelnen Stellen auch vertiefend weiter zu forschen. Dies kann dabei durchaus auch mit den Daten der Studie selbst geschehen, welche mit etwas Abstand zu ihrer Publikationen öffentlich über ein Datenrepositorium (GESIS) zugänglich gemacht werden.
Die Shell Jugendstudie stellt eine Institution in der Jugendforschung dar, deren Ruf sich selbstverständlich durch ihre lange Tradition gründet. Der Ruf fußt aber ebenso darauf, dass sie nicht über Jugendliche schreibt, sondern ihre Datengrundlage stets die Einstellungen und Stimmen der Jugendlichen selbst ist. Seit 2002 ist sie konsequent als Trendstudie angelegt. Dies bedingt eine gewisse Freiheit von Überraschungen, denn zu beobachten sind hier stärkere oder schwächere Fortsetzungen von Trends oder aber sich abzeichnende Trendwenden, praktisch nie regelrechte Trend-»Brüche«. Aber genau hier war die vorliegende Studie für eine Überraschung gut: Nach fünf Jahren, in denen eine weltweite Pandemie den Lebensalltag vor allem auch der Jugendlichen massiv veränderte, in der sie die Folgen von Inflation spürten und in denen erstmals seit langer Zeit die Angst vor Krieg aufkam, wäre beim Optimismus hinsichtlich der Zukunft der Gesellschaft eigentlich nur eines zu erwarten gewesen: ein eindeutiger Rückgang. Indes: gegen den erwarteten Trend stieg dieser Optimismus leicht. Dies ist einerseits eine gute Nachricht. Andererseits markiert es genau den Punkt, an dem gegebenenfalls anders und noch tiefer hätte gefragt werden können, wäre diese Entwicklung im Design der Studie auch nur ansatzweise zu erahnen gewesen. Es liegt nahe, als Interpretation hier auf die Erfahrung erfolgreicher kollektiver Krisenbewältigung zu verweisen. Das Ergebnis reizt aber zu weiteren und differenzierteren Nachfragen. Das ist kein Manko der Studie, sondern die Erinnerung daran, dass die Jugend auch heute noch für Überraschungen gut ist!
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Die 19. Shell Jugendstudie ist erschienen als: Shell Deutschland GmbH (Hrsg.) Jugend 2019. Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt (Konzeption & Koordination: Mathias Albert, Gudrun Quenzel und Verian). Weinheim: Beltz.