Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2020, Rubrik Kommentar

What a time to be alive!

Wer hätte beim Lesen der letzten punktum-Ausgabe gedacht, dass wir heute in einer Situation sind, in der viele von Euch und uns nicht so arbeiten und sich engagieren können wie gewohnt. Doch bleiben wir chronologisch und blicken zurück auf das Thema eben jenes letzten Heftes: die Bürgerschaftswahl.

Die »Analyse der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 in Hamburg« vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein zeigt, dass es einen erfreulichen Zuwachs in der jüngsten Wählergruppe gab: Bis zu 13,7 % Anstieg in der Wahlbeteiligung sind ein tolles Ergebnis. Das lag vermutlich nicht nur an unserem Wahlaufruf, zeigt hingegen, dass sich politische Bildung mit Jugendlichen grundsätzlich lohnt. Die 16- bis 17-Jährigen haben mit einer Wahlbeteiligung von 63,2 % bereits den Durchschnitt aller Wählergruppen erreicht, dem hinken allein die 18- bis 24-Jährigen und 25- bis 34-Jährigen mit 53,2 beziehungsweise 56,7 % noch hinterher. Umso mehr ist es ein gutes Zeichen, dass die 16- und 17-Jährigen soviel stärker als noch vor fünf Jahren zur Wahl gegangen sind. Vielleicht ja auch durch die in Hamburg so starken Klimaproteste?

Leider trifft die Wahlanalyse keine Aussage über das Wahlverhalten der Erstwähler, da diese statistisch in zwei Altersgruppen (16/17 und 18 – 24) fallen. Auch hier hätte es sicherlich noch interessante Erkenntnisse für Jugendverbände gegeben. Weiterhin zeigt die Analyse, dass die beiden jüngsten Zielgruppen selbst in der Gesamtzahl kleiner sind als jede andere Wahlgruppe. Ob es daran lag, dass die Ansprache der Parteien an junge Menschen im Wahlkampf und in den Wahlprogrammen so unterdurchschnittlich war? Jedenfalls bleibt viel zu tun, um den Interessen junger Menschen jenseits von Schule, Ausbildung und Studium in der Politik Gehör zu verschaffen.

Dass sich das Verständnis von Jugendverbandsarbeit in der Politik deutlich ändern muss, zeigt leider auch der frisch ausgehandelte rot-grüne Koalitionsvertrag. Perspektiven einer eigenständigen Jugendpolitik fehlen völlig. Und Jugendverbandsarbeit wird nur einmal im Vertrag erwähnt: im Zusammenhang einer Kooperation mit Ganztagsschulen. Ein Passus übrigens, der so bereits im Wahlprogramm der Grünen stand. Bedauerlich ist jedoch, dass der nachfolgende Halbsatz, der mehr Ressourcen für die Jugendverbandsarbeit fordert, im Koalitionsvertrag sich nicht wiederfindet. Immerhin wird der Jugendverbandsarbeit attestiert, »abseits von Institutionen und Elternhaus Räume für Selbsterfahrung und Selbstorganisation von Interessen« junger Menschen zu schaffen.

Daran müssen wir anknüpfen – gerade jetzt. Denn in Zeiten der Corona-Pandemie zeigt sich, wie wichtig es ist, Freiräume für Kinder und Jugendliche jenseits von Schule und Elternhaus aufrecht zu erhalten. Wir sind beeindruckt von der Kraft und Kreativität der Aktiven in den Hamburger Jugendverbänden, die es trotz allem schaffen, an die Umstände angepasste Angebote zu gestalten und so größeren Schaden abzuwenden. Nichts desto trotz zeigt die aktuelle Situation gnadenlos auf, an welchen Stellschrauben weiter gearbeitet werden muss, um die Jugendverbandsarbeit in Hamburg – auch unabhängig von einer solchen Krise – auf ein sicheres Fundament zu stellen. Als LJR-Vorstand freuen wir uns, mit dem aktuellen Beschluss der Vollversammlung, der eine eigenständige jugendpolitische Perspektive auf die Corona-Pandemie (s. S. 16) fordert, in den politischen Dialog zu gehen. Kinder und Jugendliche haben eigene Bedürfnissen, brauchen Freiheiten und dürfen nicht nur als ein Anhängsel der Familien- und Wirtschaftspolitik betrachtet werden – auch jenseits der Corona-Pandemie.

Apropos Vollversammlung: Das erste Mal fand sie in diesem Jahr als digitale Konferenz statt. Auch wenn wir Euch natürlich viel lieber persönlich gesehen und uns mit Euch direkt ausgetauscht hätten, war sie ein voller Erfolg mit guten, zukunftsorientierten Beschlüssen. Wir hoffen, dass auch Ihr positiv gestimmt aus der Versammlung gehen konntet. Das Sommerfest werden wir natürlich zu gegebener Zeit nachholen!

In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihr alle gesund bleibt und trotz allem gestärkt aus dieser Krise herausgeht.

Von Michael-J. Gischkat, LJR-Vorsitzender