Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2012, Rubrik Titelthema

Pfadfinder trotz allem

Behinderte beim Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder

Von Volker Gevers, Christuskirche Othmarschen

Der Stamm Elbe (www.stamm-elbe.de) ist ein Pfadfinderstamm mit etwa 200 Mitgliedern, wovon etwa 30 eine Behinderung haben. Angesiedelt ist er im Verband Christlicher Pfadfinder (VCP) und an der Christuskirche Othmarschen.

In unserem Stamm gibt es durchgehend drei Pfadfindergruppen für behinderte Kinder und Jugendliche. Geleitet werden diese von ehrenamtlichen Jugendleiter/innen und begleitet von hauptamtlichen Diakonen und Sozialpädagogen. Diese Gruppen verbringen wunderbare Gruppenstunden: Sie basteln und spielen, genau wie alle anderen Pfadfindergruppen unseres Stammes. Auch fahren sie an Wochenenden zusammen zelten, verbringen das fünftägige große Pfingstlager zusammen mit allen anderen Gruppen nichtbehinderter Pfadfinder/innen und gehen im Sommer auf große Fahrt. So waren Gruppen behinderter Jugendlicher in den letzten Jahren wandern auf Korsika, Hausbootfahrten in Wales, Kanufahrten in Schweden oder haben ein Floß gebaut und sind damit gefahren. Meist verzichten wir auf Wandern, da dies nicht zur Lieblingsbeschäftigung gehbehinderter Menschen gehört.

Die Gruppenstunden werden von ehrenamtlichen Jugendleiter/innen geleitet. Sie kommen in ihrer Freizeit zu ihrer Gruppe und bringen Spaß und Engagement mit. Dies schafft eine nichtprofessionelle Atmosphäre, die viele behinderte Kinder sonst nicht erleben. Denn anderen Ortes sind zumeist bezahlte Profis, Pädagogen oder Therapeuten am Werk. Unsere Ehrenamtlichen kommen, weil es Ihnen Freude bereitet. Beispielhaft sei hier erläutert, wie Inklusion im Stamm abläuft.

Beim fünftägigen Pfingstlager fahren alle Gruppen des Stammes mit. Behinderte und nichtbehinderte Pfadfinder/innen können aufeinander zugehen, müssen es aber nicht. Die Kinder und Jugendlichen haben die Sicherheit ihrer vertrauten Gruppe und ihrer Jugendleiter/innen und schlafen gruppenweise in ihren jeweiligen Zelten. Bei Tagesaktionen und Spielen werden die Gruppen gemischt. Unabhängig von der Behinderung sollen keine Geschwisterkinder oder zwei Gruppenkinder einer Gruppe in einer Tagesspielgruppe sein. So lernen sich alle Kinder des Stammes für einen überschaubaren Zeitpunkt kennen und haben Spaß miteinander.

Die behinderten Pfadfinder/innen schlafen in speziellen Zelten, die äußerlich kaum von den anderen zu unterscheiden sind. Allerdings kann es nicht hereinregnen, es gibt ausreichend Stehhöhe und genug Platz für »Rollikinder«. Die Rahmenbedingungen sind überhaupt entscheidend für gelungene Inklusion. So verfügt unser Gemeindezentrum über geeignete Räume, einen Fahrtstuhl, usw. Begleitet werden die Gruppen von den Diakonen der Behindertenhilfe Christuskirche Othmarschen (www.behindertenhilfe-othmarschen.de). Sie geben Tipps, was man mit den Kindern machen kann oder wie man es machen kann. Oft ist Improvisation gefragt. So z.B. bei den Draisinefahrten auf großer Sommerfahrt. An der Draisine wurden kurzerhand Bretter befestigt, um die Rollis festschnallen zu können. Auch wurde im Stamm ein besonders leichtes Wanderzelt entwickelt. Die Elbekohte ist für 8 Personen und wiegt nur 4,5 kg. Sie ist inzwischen bei F& F (www.fahrtenbedarf.de) erhältlich. Man kann sich gut vorstellen, wie schwer es ist, mit Rollstühlen zu wandern. Den eigenen Rucksack tragen sowie den des Rollstuhlkindes und dann noch einen Rollstuhl schieben. Da wäre ein normales Gruppenzelt mit 12kg einfach zu schwer.

Seit 1959 gibt es im Stamm Elbe durchgehend die »Pfadfinder trotz allem« (PTA). Der Name ist hier entstanden und das Konzept hat sich von Othmarschen aus im deutschsprachigen Raum verbreitet. Viele Impulse wurden von hier aus in die Pfadfinderarbeit und die Behindertenhilfe in Deutschland gegeben. Die ersten behinderten Kinder, die als Pfadfinder/innen bei uns waren, haben später den ersten Freizeitclub für behinderte Menschen gebildet.

Um solch eine Arbeit gelingen zu lassen, braucht es hauptamtliche Unterstützung. Im Laufe der Zeit müssen immer neue Wege gesucht werden. In den 70er Jahren gab es fast überall PTA-Arbeit. Dann setzte im sozialen Bereich eine Professionalisierung ein. Es hieß : Wie können Sie Ihr behindertes Kind ungeschulten Ehrenamtlichen anvertrauen? PTA-Arbeit ging fast überall ein, weil die Eltern behinderter Kinder diese nicht mehr zu den Pfadfindern gelassen haben. Wir machen im Stamm Elbe immer noch dieselbe Arbeit, weil sich die Behindertenhilfe Christuskirche Othmarschen als größter Anbieter von Freizeitgruppen behinderter Menschen in Hamburg gut darstellt. Aktuell macht uns die Ganztagesschule zu schaffen. Wie alle Jugendverbände leiden wir darunter, dass es Jugendlichen zunehmend schwer gemacht wird, sich ehrenamtlich zu engagieren. Daher haben wir eine FSJ-Stelle bekommen, um die kontinuierliche Betreuung sicher zu stellen. Um dies zu schaffen und ohne dabei die Ehrenamtsstruktur des Pfadfinderstammes zu schädigen, braucht es eine hauptamtliche Begleitung.

Zuletzt ist noch von unserer Erfahrung mit Integrationsgruppen, die wir immer mal wieder probiert haben, zu berichten. Diese sind letztlich immer gescheitert, sobald die Kinder in die Pubertät kamen. Nichtbehinderte Kinder drehen sich so um sich selbst, dass sie nicht in der Lage sind, auf behinderte Kinder zuzugehen. Unser Ansatz ist seit jeher, das Programm für behinderte Kinder soll so attraktiv sein, dass auch nichtbehinderte Kinder daran teilnehmen wollen. Integration wurde schon in alten Beschreibungen aus unserem Hause so definiert, dass die Mehrheit auf die Minderheit zugeht und ihnen die Teilnahme ermöglicht. Also Inklusion. Mit der Sicherheit ihrer Gruppe lernen behinderte und nichtbehinderte Kinder sich kennen, machen auch gemeinsame Gruppenstunden, Wochenendfahrten oder Sommerfahrten – weil beide es so wollen.