Hajduk: Bei der Bekämpfung der europäischen Jugendarbeitslosigkeit ist die Bundesregierung überhaupt nicht glaubwürdig: Nachdem sie die Krisenländer zum eisernen Sparen und damit weiter in den Konjunkturabschwung getrieben hat, sollen diese nun mit der Einführung des dualen Berufsausbildungssystems ihre dramatische Jugendarbeitslosigkeit bewältigen. Solange sich aber die Betriebe und damit die Wirtschaft nicht erholen, hilft ein duales Berufsausbildungssystem den perspektivlosen Jugendlichen allein nicht weiter. Anstelle des einseitig starren Spardiktats braucht Europa zur Krisenbewältigung gezielte Konjunkturimpulse für Zukunftsbranchen und höheren Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung.
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Seeger: Ein Ansatzpunkt liegt in der Bildung, auch in der frühkindlichen. Junge Menschen brauchen Möglichkeiten, sich zu entwickeln und ihre Potenziale zu entdecken. Diese müssen gefördert werden, anstatt einem sturen Lehrplan zu folgen. Auch junge Erwachsene unter 25 Jahren können sich selbstständig machen und ihre Ideen verwirklichen, anstatt auf einen Job zu hoffen, den es nicht gibt. Mit der richtigen Unterstützung tragen junge Menschen einen wichtigen Teil zur Wirtschaft und zur Entwicklung Europas bei. Dabei muss klar sein, dass eine Investition in die Bildung eine Investition in die Zukunft ist: Ein gesellschaftlicher Effekt zeigt sich erst nach der Ausbildungszeit, hat dann jedoch einen positiven Einfluss für unsere Volkswirtschaften, der die ursprünglichen Bildungsausgaben um ein Vielfaches übersteigt. Ein zweiter Ansatzpunkt liegt in der Wirtschaftspolitik in Europa, die nicht nur gegen den Rat von Experten, sondern von unserer Regierung auch absichtlich ungerecht betrieben wird. Es hat sich in der Geschichte bewährt, dass zu Zeiten einer Rezession Schulden gemacht werden, um die Schwankungen der Weltwirtschaft abzufangen. Bis Mitte der 70er Jahre wurde dies in Deutschland erfolgreich umgesetzt. Auch in den vergangenen 20 Jahren gab es hier gute Ansätze, die jedoch nicht konsequent verfolgt wurden und daher nicht ihre Wirkung entfalten konnten. Deutschland und Europa brauchen hier eine gemeinsame, langfristige Einigung zur Stabilisierung der Wirtschaft anstatt eines Spardiktats in Krisenländern. Mit der derzeitigen Politik werden zugunsten Deutschlands die Infrastruktur, die Universitäten und funktionierende Verwaltungen in anderen Staaten kaputtgespart, während Deutschland junge, gut ausgebildete Menschen aus Krisenländern anzieht. Dieser »Brain Drain«, also die Abwanderung der gebildeten Schichten z.B. nach Deutschland, wird die Probleme in den Krisenländern weiter verschärfen.
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Weinberg: Zunächst möchte ich der Aussage widersprechen, dass sich die Perspektiven verdüstern. Wie ich bereits erwähnte, haben wir hier in Deutschland die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Es gibt mehr Ausbildungsplätze als junge Bewerber und noch nie gab es so viele Hochschulabsolventen wie jetzt. Trotz Euro- und Wirtschaftskrise kann Deutschland eine wachsende Wirtschaft vorweisen und die Beschäftigungszahl hat 2012 einen historischen Höchststand erreicht. Die verfügbaren Einkommen sind in den letzten Jahren um durchschnittlich rund 3% pro Jahr gestiegen – unter anderem durch die Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträge, die Erhöhung des Grundfreibetrages und die Abschaffung der Praxisgebühr. Gleichzeitig schließt sich die Einkommensschere wieder.
Ich möchte aber betonen, dass es darauf ankommt, diesen Erfolgskurs weiter zu halten. Als wichtigstes Instrument sehe ich hier eine gute Bildungspolitik, die den Jugendlichen gute Chancen für ihre persönliche und berufliche Zukunft schafft. Da befinden wir uns auf einem guten Weg.
Die Lage in einigen unserer europäischen Nachbarländer sieht da allerdings deutlich schlechter aus. Hohe Staatsverschuldung und hohe Arbeitslosenzahlen, insbesondere bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie schlechte wirtschaftliche Prognosen für die kommenden Jahre. Da können wir nicht tatenlos zusehen. Daher bin ich sehr froh, dass sich der EU-Jobgipfel Anfang Juli auf Einladung der Bundeskanzlerin mit dem Thema der Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt hat und am Ende weitere zwei Milliarden Euro zusätzliche Mittel zu den bereits sechs Milliarden Euro angekündigt wurden. Laut der Arbeitsministerin, Dr. Ursula von der Leyen, könnten es sogar 24 Milliarden werden, wenn man Gelder aus laufenden EU-Strukturfonds hinzuzähle.
Doch die Bundesregierung ist nicht nur bereit, mehr Mittel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit beizusteuern, sondern hat auch einige konkrete Projekte umgesetzt, wie beispielsweise das Sonderprogramm »MobiPro-EU«. Ziel des Programms ist es, durch eine duale Ausbildung Jugendlichen aus den EU-Staaten Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland zu eröffnen. Hierfür stehen seit Anfang des Jahres bis zum Jahr 2016 139 Millionen Euro zur Verfügung. Zusätzlich haben wir noch vor der Sommerpause ein Gesetz verabschiedet, welches die duale Ausbildung als Erfolgsmodell durch Kooperation mit weiteren europäischen Staaten exportieren soll. In diesem Sinne werden die bewährten Instrumente der beruflichen Bildung eingesetzt und ausgebaut. Flankiert werden diese Maßnahmen durch den Aufbau und die Ausstattung von Berufsschulen und Technologiekompetenzzentren, die Entwicklung von Finanzierungsmodellen, die Vernetzung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage sowie begleitende Organisationsentwicklung.
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Müller-Sönksen: Deutschland ist Vorreiter bei der Reduzierung der Kinderarmut, die in der Regierungszeit von Union und FDP um 250.000 Kinder zurückging, und ist europaweit Spitzenreiter mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit. Grund dafür ist neben einer guten Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik auch ein bewährtes und gut funktionierende duales Ausbildungssystem. Mit Programmen wie »Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss« rücken wir Jugendliche in den Focus, die zusätzliche Unterstützung auf dem Weg zu einem Schulabschluss oder Ausbildungsabschluss benötigen. Mit Rekordinvestitionen von über 13 Mrd. Euro in Bildung und Forschung helfen wir außerdem Jugendlichen, die ein Studium aufnehmen wollen, beispielsweise mit der BAföG-Reform, dem Hochschulpakt II oder dem Deutschlandstipendium.
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van Aken: Es müssen endlich diejenigen für die Krise bezahlen, die sie verursacht haben. Die Jongleure auf den Finanzmärkten haben uns diese Krise eingebrockt, und Merkel und der EU fällt nichts anderes dazu ein, als ganze Gesellschaften dafür in Haftung zu nehmen. Gerade die junge Generation wird durch den immer weiteren Abbau des Sozialstaats massiv belastet, da in ihre Zukunft nicht mehr investiert wird. Während immer mehr Menschen von Niedriglöhnen leben müssen oder gar keine Arbeit haben, und junge Menschen keinen Ausbildungsplatz bekommen oder ein Studium schlichtweg nicht finanzieren können, besitzen auf der anderen Seite 10 Prozent der Bevölkerung über 6 Billionen Euro – 6 Billionen! Deshalb wollen wir umverteilen. Die Finanzmärkte müssen reguliert werden, und die wirklich Reichen sollen einen Teil ihres Vermögens abgeben, damit mit diesem Geld unser Gemeinwesen gerecht gestaltet werden kann und der Sozialstaat wieder aus- anstatt immer weiter abgebaut wird. Für kostenfreie Bildung und Ausbildung für alle, für BAFöG und gebührenfreies Studium, für genügend Kita-Plätze, für den Ausbau von Jugendfreizeiteinrichtungen, um nur einiges zu nennen.
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Özoğuz: Der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit muss eine gemeinsame Priorität der europäischen Politik sein. Es waren vor allem Sozialdemokraten, die darauf gedrungen haben, dass es jetzt immerhin einen Beschluss für eine europäische Jugendgarantie und zusätzliche Mittel für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit gibt. Die für die europäische Jugendgarantie bisher vorgesehenen rund 6 Milliarden Euro bis 2020 stellen einen ersten Schritt dar, bis 2020 braucht es aber mindestens 21 Mrd. Euro. Denn nur so gäbe es eine echte Jugendgarantie, die allen Jugendlichen eine Beschäftigung, Ausbildung oder ein Praktikum garantiert. Darüber hinaus fordern wir ein Sofortprogramm zur Schaffung von jährlich 500.000 zusätzlichen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen in den kommenden drei Jahren durch eine Gemeinschaftsaktion von Unternehmen, Gewerkschaften und den EU-Mitgliedsstaaten.
Viel zu viele junge Menschen haben leider einen schlechten Berufseinstieg. Für sie sind die Regulierung von Leiharbeit, die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Einführung eines Mindestlohns wichtig. Wir werden den Missbrauch von Praktika wirkungsvoll bekämpfen, indem wir Mindeststandards einführen. Wir fordern außerdem einen Vertrag, eine Mindestvergütung, ein qualifiziertes Zeugnis sowie bei Praktika, die nicht Teil der Berufsausbildung sind, die Befristung auf maximal drei Monate.
2012 befanden sich mehr als 266.000 Jugendliche in Maßnahmen des sog. Übergangsbereiches zwischen Schule und Ausbildung ohne konkrete Aussicht auf einen qualifizierenden Abschluss. Mit dem Recht auf Ausbildung wollen wir das Übergangssystem perspektivisch überwinden: »Kein Abschluss ohne Anschluss« ist unser Ziel. Zentrale Voraussetzungen sind der systematische Ausbau der persönlichen Begleitung und nachhaltigen Beratung in den Schulen, die betriebliche Einstiegsqualifizierung als gezielte Fördermaßnahme und die Weiterentwicklung des regionalen und kommunalen Bildungsmanagements.
Rund 1,5 Millionen junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren ohne Schul- oder Berufsabschluss brauchen besondere Förderung. Für sie wollen wir ein Sofortprogramm »2. Chance auf Berufsausbildung« auflegen, das mit passgenauen Instrumenten auf die speziellen Lebenslagen der jungen Menschen reagiert und sie zum Ausbildungsabschluss führt. Wir wollen, dass das Nachholen eines Schulabschlusses finanziell gefördert wird.
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