Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2007, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Naturkundlich

Serie Wirkungsstätten: die Naturschutzjugend Hamburg

von Bianca Gerlach, Hamburg

Ob Ebereschen-Bestimmung oder Nistkastenbau, die Kinder und Jugendlichen der Naturschutzjugend (Naju), kennen sich aus in Umweltfragen. Ein Quiz der besonderen Art lösten sie vor kurzem bei einer Rallye an der Wandse.

»Was ist das denn für ein Viech? So richtig lecker sieht das ja nicht aus«, der 13-jährige Marcel beugt sich über ein kleines Plastikbecken mit Wassertierchen. Neben ihm stehen drei andere Jungs in seinem Alter. Ähnlich ratlos runzeln sie die Stirn, blättern in einem Bestimmungsbuch, einer kaut konzentriert auf dem Finger. Sie sollen innerhalb von 20 Minuten fünf Bachbewohner bestimmen. Die Gruppe steht an der ersten Station einer Rallye an der Wandse, einem kleinen Wasserlauf in Tonndorf. Der Veranstalter ist die Naturschutzjugend, kurz Naju, in Hamburg. Die Sonderveranstaltung mit insgesamt 27 Kindern und Jugendlichen bildet den Abschluss der Aktion »Fluss Connection«, bei dem Gruppen aus Hamburg und Umgebung teilgenommen haben. An diesem Wochenende wird der Preis verliehen, das Rahmenprogramm bietet ein Zeltcamp und diese Rallye, bei der verschiedene Aufgaben nach Zeit zu lösen sind.

»Rallyes gehören allerdings nicht zu unseren alltäglichen Aufgaben«, erzählt Guido Teenck. Der 38-Jährige, studierter Kulturwissenschaftler, ist Jugendbildungsreferent, organisiert Belange aller Gruppen der Naturschutzjugend in Hamburg und nimmt bei solchen Veranstaltungen selbst gerne aktiv teil. »Die normale Woche sieht bei den Najus anders aus«, sagt er. Etwa 3500 Mitglieder zählt der Verein, richtig aktiv nehmen davon rund 150 teil. Die Kinder, von sechs bis zwölf, treffen sich 14-tägig, die älteren von 12 Jahren aufwärts meist wöchentlich. Dabei ist die Altersgrenze nach oben offen. Viele hören erst beispielsweise nach dem Studium auf. Es kann aber auch vorkommen, wie hier in Tonndorf, dass auch 40-jährige noch immer dabei sind. »Das ist jedoch eine Besonderheit. Dieser Mann trägt derzeit das Wissen des Arbeitskreises Wandse mit sich herum und wollte daher von sich aus gerne bleiben«, sagt Guido.

Die Holzteile auf dem Tisch sind wie ein Mikado-Haufen ineinander verkeilt. Eine reine Mädchen-Truppe, eine der fünf Gruppen der Rallye, steht an einer anderen Station. Ihre Aufgabe: Einen Nistkasten zusammen schrauben. In 15 Minuten. Die Naju-Betreuerin, eine blonde Jugendliche mit sorgsam gepflegten Dread-Locken gibt das Startsignal. Die fünf Mädchen, allesamt mit Pocahontas-Frisur, in weiten Baumwollpullovern und bequemen Turnschuhen fangen an, die sieben Bausteine aus hellem Holz mit Bohrlöchern wie Puzzlestückchen nebeneinander zu legen. »Nein, nein, da ist doch ein Loch, das kann nicht gehen«, sagt das Mädchen in der Mitte. »Stimmt, du hast Recht«, erwidern ihre Gruppenkolleginnen. Ganz ruhig, ganz entspannt. Von Hektik keine Rede. Das Schwierige an dieser Aufgabe ist eine seitliche Klappwand, die einfaches Reinigen erleichtern soll. Die Betreuerin springt zur Hilfe: »Also, hier würde ich nichts festschrauben. Weil man dann die Seite nicht mehr aufklappen kann. Aber wie wäre es denn hier? Überlegt mal!« Die Mädels denken nach, diskutieren, lachen. Und fangen dann einfach an, Teile zusammen zu schrauben. Etwas unkoordiniert balancieren sie dabei die Schraubenzieher. Das dauert. Zu lange. Die 15 Minuten sind vorbei.

Ähnliches lernen die Kinder und Jugendliche auch bei ihren regulären Treffen mit den derzeit etwa 20 Gruppenleitern der Naju. Die Gruppen sind an mehreren Standorten in der Stadt aktiv. Unter anderem im achteckigen Haus im Duvenstedter Brook mit derzeit vier Gruppen. Der Grasdachneubau im Naturschutzgebiet gehört der Stadt Hamburg. Von Mittwoch bis Sonntag jedoch betreut es der Naturschutzbund, dienstags ist ein Zivildienstleistender für das Infohaus verantwortlich. Durchschnittlich 18.000 Besucher kommen jährlich und können Broschüren bekommen, aber auch Fachbücher zur Tierbestimmung und Ornithologie kaufen. Eine große Ausstellung zeigt ausgestopfte Tiere der Region wie Kranich, Graureiher, Fuchs und Dachs und erläutert an illustrierten Tafeln die verschiedenen Lebensräume im Duvenstedter Brook. In den Seminarräumen finden gelegentlich Vorträge statt, beispielsweise über Fledermäuse. Die Kinder- und Jugendgruppen des Naju treffen sich hier zwei Mal im Monat. Zum Tierebeobachten, Basteln aus Naturmaterialien, etwa Kastanientiere mit Zahnstochern für Beine, Schwanz und Fühler. Gelegentlich zelten sie auf der nahe gelegenen Wiese. In anderen Arbeitskreisen, Wandse etwa, helfen Mitglieder aktiv mit an der Bachgestaltung. Dazu gehören zeitweise anstrengende Einsätze, bei denen bis zu drei Tonnen Kies verarbeitet werden müssen. Oder es müssen dicke Steine transportiert werden, damit zusätzliche Strömungen im bereits sehr erfolgreich renaturierten Flussverlauf entstehen können, einem wichtigen Lebensraum für einige Tiere im Bach. Ein viel versprechendes Projekt war kürzlich der Bau einer Eisvogelsteilwand, einem künstlichen Brutplatz aus aufgeschüttetem und mit Lehm verschmiertem Sand. Gelegentlich überlegen sich die Gruppenleiter Schwerpunkthemen, so wie die Fluss-Connection in diesem Jahr.

»Ne, ne, die Ohren müssen weiter nach hinten.« Marcel gibt seinen Kommentar zu den Malkünsten seines Gruppenkollegen. Die Jungs sind inzwischen am Kreativstand angekommen und sollen ein Fantasietier zeichnen: eine Rollmopsfledermaus. Die zarten Striche auf dem Papier sind unschwer als Fledermaus zu erkennen, eine mit richtig rundem Bauch. Wie ein Rollmops. »Fünf Finger haben die Tiere. Mal doch hier noch mal einen hin«, rät Marcel. Die vier kennen sich aus. Auf ihren extra bedruckten T-Shirts prangt auf schwarzem Untergrund die Silhouette der nachtaktiven Flugkünstler. Noch drei Minuten bleiben ihnen, wie die Betreuerin mahnt. Da greift Marcels Teamkollege zum Tuschkasten, malt flugs die Ohren pink aus. Auf die entsetzten Blicke seiner Gruppe reagiert er ganz lässig: »Was denn? Das sind eben modische Ohren.« Dann ist die Zeit um.

Zu den jährlichen Highlights der Naturschutzjugend gehören wie bei vielen anderen Jugendgruppen die Sommercamps. Eines veranstalten sie für Kinder ab 8 Jahren, ein weiteres für die älteren ab 12. Die Gruppen fahren beispielsweise eine Woche lang ins Biosphärenreservat Mittlere Elbe und ins Heuhotel, die Jugendlichen übernachten etwa in Waggons in Schmielau, nahe Ratzeburg. Grob umrissen bewegen sie sich im Radius von Schleswig-Holstein, Mecklenburg bis zum Harz. Die Touren kosten zwischen 75 und 105 Euro, ein Teil des Aufwandes übernimmt das Amt für Jugend in Hamburg. Zum Programm der Fahrten gehört unter anderem das gemeinsame Kochen, hier lernen die älteren Kinder etwa Quark mit Kräutern aus der Natur anzurühren, darunter Brennnesseln. »Die Kids merken dann schnell, dass so frisch gepflückte Zutaten, die viele gar nicht kennen, richtig gut schmecken können«, erzählt Guido, der bereits sieben Jahre lang beim Naju arbeitet. Und nur Gutes zu berichten hat: Statt Mitgliederschwund haben einige Bezirke in der Stadt so großen Zulauf, dass mit mehr Gruppenleitern theoretisch noch viel mehr Gruppen gebildet werden könnten.

Letzte Station der vier Fledermaus-Fans auf der Rallye. Zehn Zettel mit einer Nummer liegen auf einem Tisch. In den Bäumen und Büschen um ihn herum baumeln kleine weiße Schnipsel. Die Jungs sollen Namensschilder den Nummern zuordnen. Die Naturkenner legen sogleich los: »Ganz klar eine Schwarzesche. Keine Frage«, sagt der erste. »Nein, keinesfalls, Schwarzesche hat ganz andere Blätter«, kommentiert Nummer zwei. »Also, ich glaube, das ist eine Esche, aber keine Schwarzesche«, auch Marcel gibt seine Meinung zum Besten. Die Diskussion unter den Experten dauert keine drei Minuten, dann sind sie sich einig. Etwas zu schnell, wie die Auswertung zeigt: nur drei Richtige. Den Jungs ist das egal. Sie sind nicht hier, um mit Flora-Wissen zu prahlen. Das müssen sie auch gar nicht. Im Gegensatz zu vielen ihrer Altersgenossen, haben sie es einfach.

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