Von Claudia Thorn, Hamburg
An den schwarzen Brettern in Hamburger Schulen finden sich jedes Jahr Plakate, auf denen der Jugendarbeitskreis im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zur Mitarbeit in seinen Workcamps einlädt. Für zwei Wochen können Jugendliche ab 16 Jahren in den Sommerferien an Grabpflegearbeiten auf Kriegsgräberstätten in vielen europäischen Ländern teilnehmen. In den Jugendarbeitskreisen besteht zudem die Möglichkeit, sich ganzjährig für die Ziele des Vereins einzusetzen. Was genau aber machen Jugendliche in einem Verein, dessen Name auf viele eher verstaubt wirkt?
Die Geschäftsstelle des Volksbundes in Hamburg-Hamm wirkt bescheiden. In einer kleinen Ladenzeile inmitten von Nachkriegswohnblocks hat der Landesverband seine Räumlichkeiten, die durch die großen Schaufensterscheiben nach außen sehr offen wirken. Das Versammlungszimmer im hinteren Teil ist eher karg eingerichtet. An einem langen Tisch, über dem Neonröhren leuchten, haben bis zu 20 Personen Platz. »Das spartanischste Büro Hamburgs«, sagt Lars Soltek, der Jugendbildungsreferent. Der Jugendarbeitskreis (JAK) des Hamburger Landesverbands trifft sich hier regelmäßig alle zwei Monate.
Heute steht die Gesamtplanung für 2008 auf der Tagesordnung. Eine nüchterne Angelegenheit – doch die Ideen sind alles andere als verstaubt. Schnell entsteht das Bild vom JAK als Netzwerkknoten für die jungen Mitglieder des Vereins, für die er sich das gesamte Jahr eine Mischung aus Bildungsarbeit und Freizeitangeboten einfallen lässt.
Im Mittelpunkt stehen dabei die Vorbereitungen der Workcamps auf den Kriegsgräberstätten in West- und Osteuropa, dem Herzstück der Jugendarbeit des Volksbundes, und die Beteiligung an den Aktionen rund um den Volkstrauertag im November. So informiert Mirscha Rother, die Sprecherin des JAK Hamburg, über ihre Teilnahme am diesjährigen Vorbereitungstreffen der Gruppenleiter für die Workcamps 2008, wo in Seminaren auf die Arbeit vorbereitet wurde und legt gemeinsam mit den anderen JAKlern fest, wann im November Blumen auf Hamburger Kriegsgräbern gepflanzt werden sollen.
Obwohl der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge schon 1919 als Reaktion auf die Millionen toten Soldaten des Ersten Weltkriegs von Bürgern in Deutschland gegründet wurde, entstand die Idee der Jugend-Workcamps erst in den 50er Jahren. Sie geht auf den CVJM und das Kolpingwerk zurück, die ein Jugendlager in Belgien gemeinsam mit flämischen Jugendlichen durchführten. In den folgenden Jahren setzte sich diese Idee durch, die Jugendarbeit gewann auch innerhalb des Volksbundes an Bedeutung und 1965 wurde schließlich der Hamburger JAK als erster Jugendarbeitskreis im Volksbund gegründet.
In diesem Sommer wird es 70 Workcamps in 19 Staaten geben, organisiert von den Jugendarbeitskreisen in bundesweiten Volksbund. Hinzu kommen spezielle Angebote für Schulklassen und Gruppen in den Jugendbegegnungsstätten, die der Volksbund in Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Deutschland (Insel Usedom) eingerichtet hat.
An den Workcamps können Jugendliche teilnehmen, die bei der Pflege und Instandsetzung von Kriegsgräber- und Gedenkstätten helfen wollen. Gepflegt werden deutsche Kriegsgräberstätten des Ersten und Zweiten Weltkriegs, Kriegsgräberstätten anderer Nationen, jüdische Friedhöfe und KZ-Gedenkstätten, um sie als Mahnmale für den Frieden zu erhalten. Neben der ca. 20stündigen Grabpflegearbeit pro Woche ist es heute aber ebenso wichtig, Begegnungen mit den Menschen des Gastlandes zu organisieren. Dazu werden zum Beispiel Schulklassen, Jugendgruppen oder Zeitzeugen in die Camps eingeladen. Ein weiterer Schwerpunkt sind Veranstaltungen, in denen Fragen nachgegangen wird wie »Wie konnte das damals passieren? Wie steht es heute in der Welt? Welche Verantwortung können wir heute übernehmen? Was verstehe ich unter Frieden?« Schließlich kommt auch das Freizeitangebot mit Festen und Ausflügen in die Umgebung nicht zu kurz.
Der Hamburger Landesverband betreut vier Workcamps, jeweils eins im polnischen Lublin, im russischen St. Petersburg, im französischen Cambrai und ein internationales Workcamp zum internationalen Gräberfeld auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, zu dem Jugendliche verschiedener Länder in unsere Stadt kommen werden.
Es dauerte allerdings ziemlich lange, bis diese aktive Jugendfriedensarbeit innerhalb des Volkbundes ihren festen Platz hatte. Lange Zeit war die Jugendarbeit auf die reine Grabpflege beschränkt. Friedensarbeit, Annäherung an die Bevölkerung vor Ort, Gespräche mit Zeitzeugen, all das gab es anfangs nicht. 1967 wurde der »Pädagogische Arbeitskreis« für eine dauerhafte Zusammenarbeit mit den Schulen eingerichtet. Erst im Laufe der 70er und 80er Jahre setzten sich innerhalb des Volksbundes diejenigen Mitglieder durch, die die Jugendarbeit kritischer hinterfragten, die pädagogische Friedensarbeit in den Camps voranbrachten und die außerschulische Bildungsarbeit stärkten.
So ist es für Mitglieder des JAK Hamburg heute selbstverständlich, ganzjährig entsprechende Veranstaltungen zu planen und zu organisieren.
Für dieses Jahr steht zum Beispiel im April ein Rhetorikseminar auf dem Programm. Maike Schneider erklärt die Wichtigkeit solcher Seminare: »Das in ihnen gelernte bereitet zum einen auf die Arbeit in den Workcamps oder bei Seminaren vor, bietet aber gleichzeitig auch die Chance zur persönlichen Weiterentwicklung. Denn wer sich gut ausdrücken kann, hat es leichter im Leben.«
Für den Herbst planen die Hamburger eine Fahrt ins »Anne Frank Haus« nach Amsterdam. Damit möchte der JAK die Eindrücke und Erfahrungen vertiefen, die schon Anfang März durch die Beteiligung am Rahmenprogramm der Ausstellung »Anne Frank. Ein Mädchen aus Deutschland« im Hamburger Schulmuseum gewonnen wurden. In einer Szenischen Lesung mit dem Titel »Ganz normale Männer? Wie Menschen menschenfeindlich wurden und werden« beschäftigte sich der JAK mit den Tätern des Holocaust. Tagebücher, Zeitzeugenberichte und Gerichtsaussagen, die sie mit Hilfe der alltagshistorischen und sozialpsychologischen Forschung aufbereiteten, dienten als Basis für die Diskussion über die Entstehungsbedingungen von Menschenfeindlichkeit und für Vorschläge zur pädagogischen Gewaltvorbeugung.
Die Veranstaltung wie auch ähnliche Veranstaltungen war anmeldepflichtig. Eine Maßnahme, um Neonazis vom Besuch und Störung solcher Veranstaltungen abzuhalten.
Die Abgrenzung von den Rechtsradikalen ist für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge notwendige Politik. Denn sowohl der Name wie auch die Hauptaufgabe des Vereins, die Kriegsgräberstättenpflege, bringen immer wieder Neonazis auf den Plan.
Seit längerer Zeit gibt es innerhalb des Volksbundes Diskussionen, den Vereinsnamen »Volksbund«, der bei Gründung 1919 für »aus dem Volk heraus« stand, zu ändern. Vor allem bei Jüngeren aber auch bei vielen Lehrern weist der Name eine Konnotation mit dem Nationalsozialismus auf. Eine Namensänderung – so fürchten jedoch andere – würde Traditionen abschneiden und damit möglicherweise Mitglieder vergraulen bzw. dem Bekanntheitsgrad des Vereins schaden.
Weit schwerwiegender ist jedoch die Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen im Umfeld der Kriegesgräberpflege und bei Kranzniederlegungen anlässlich von Gedenkfeiern. Sie wollen an den Gräbern kultische Heldenverehrung betreiben und versuchen gelegentlich, den Volksbund dafür zu vereinnahmen.
Auch die JAKler kennen Zwischenfälle an Gedenktagen. Trotz Kontrollen versuchen Neonazis immer wieder, Kränze auf den Gräbern ehemaliger SS-Männer abzulegen. Die Schleifensprüche auf den Kränzen verherrlichen den Nationalsozialismus und stellen die Täter als Helden dar, berichtet die Gruppe. Manchmal gelingt es den Rechtsradikalen, sich mit harmlosen falschen Schleifen, die dann auf dem Friedhof gegen andere ausgetauscht werden, durch die Kontrollen zu schmuggeln.
Auf die Frage, wie die JAKler vor Ort mit solchen Ereignissen umgehen, erklärt Lars: »Kriegsgräberstätten sind öffentlich zugängliche Orte. Solche Vorkommnisse können wir nicht gänzlich verhindern. Da bleibt uns dann nur ziviler Ungehorsam. Wir räumen die Kränze einfach wieder ab.«
Gerade weil es auch Grabstätten von Tätern gibt, die im Rahmen der Kriegsgräberpflegeabkommens mitgepflegt werden, wissen die JAKler wie wichtig es für den Volksbund und seine Mitglieder ist, kritisch die eigene Arbeit zu begleiten und beispielsweise die Mitglieder in Seminaren für den Umgang mit Neonazis und die Argumentation gegen Rechtsextremismus fit zu machen. Auch solche Veranstaltungen richten die Jugendarbeitskreise im Volksbund aus.
Für die Jugendlichen kommt aber neben der Grabpflege und der Bildungsarbeit die Geselligkeit nicht zu kurz, die ebenfalls vom JAK organisiert wird. So gibt es seit Jahren überregionale Pfingstzeltlager, bei denen sich Mitglieder der JAKs verschiedener Landesverbände treffen und austauschen können. In Hamburg organisiert man darüber hinaus zum Beispiel auch eine gemeinsame Paddeltour oder ein Weihnachtscafé im Dezember.
Es geht an diesem Abend in Hamm allerdings nicht nur um inhaltliche Aktivitäten, es geht auch um die Werbung von jugendlichen Vereinsmitgliedern, die aktiv mitarbeiten wollen. Denn »das ist ein Problem. Früher kamen die Teamleiter für die Workcamps immer aus den Reihen der JAKs, heute nehmen zwar viele Jugendliche an den Workcamps teil und einige von ihnen arbeiten später als Teamleiter, aber die wenigsten finden die Zeit, während des übrigen Jahres an der Jugendarbeit teilzunehmen«, erklärt Mirscha. Dabei ist es doch gerade auch diese Arbeit in Seminaren und Veranstaltungen, die Friedensarbeit voranbringen kann und darüber hinaus das Zusammengehörigkeitsgefühl der jungen Vereinsmitglieder stärkt.
Der Landesverband Hamburg hat ca. 3.800 Mitglieder, davon sind 62 im JAK-Alter, von denen wiederum acht bis zehn aktive Jugendarbeit leisten. Hinzu kommen ca. sieben Gruppenleiter/innen, die auch während des übrigen Jahres aktiv sind. Für die aktiven Jugendlichen ist deshalb die Werbung für den JAK besonders wichtig. Maike Schneider legt einen Zeitungsausschnitt auf den Tisch. Es ist ein kleiner Artikel über die Arbeit eines schleswig-holsteinischen Jugendarbeitskreises. Sie plädiert nachdrücklich dafür, dass auch der Hamburger JAK diesen Weg beschreiten soll, um auf seine Arbeit aufmerksam zu machen. Mirscha unterstützt dies. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass diese Form der Werbung, neben der Überzeugung durch die praktische Arbeit in den Workcamps, ziemlich fruchtbar sein kann. Sie selbst hatte nämlich in der Schule nie vom Volksbund gehört oder ihn nicht wahrgenommen, sondern in der Zeitung von der Arbeit der Workcamps und den dahinter stehenden Ideen gelesen. So ist sie zum Volksbund gekommen und aktiv in die Jugendarbeit eingestiegen.
Trotz der mitunter schwierigen Mobilisierung aktiver Mitglieder, haben die Hamburger JAKler Zukunftspläne, die über die Unterstützung der Workcamps, die Aktionen im November und das Anbieten von Seminaren hinausgehen:
Viele der älteren Mitglieder des Volksbundes engagieren sich nicht zuletzt deshalb bei der Kriegsgräberfürsorge, weil sie selbst als Soldaten am Zweiten Weltkrieg teilgenommen haben, nahe Verwandte hatten, die als Soldaten den Krieg nicht überlebt haben oder weil sie als Zwangsarbeiter oder sogenannte »Halbjuden« durch die Nationalsozialisten ausgebeutet und verfolgt wurden. Sie haben Erinnerungen an diese Zeit, die die Gräuel und das Zerstörerische des Krieges einprägsamer machen als manches Geschichtsbuch. Wenn sie sterben, gehen ihre Erfahrungen verloren.
Die JAKler wollen dies verhindern und die Erinnerungen der älteren Mitglieder für die Nachwelt festhalten. Sie planen deshalb einen Arbeitskreis mit Zeitzeugen, damit die Schicksale der Opfer in Krieg und Gewaltherrschaft sichtbar bleiben und auch für nachfolgende Generationen als Mahnung dienen. Grundsätzlich sehen sie — zum Teil wohl auch gegen die Widerstände älterer Mitglieder — eine Schwerpunktaufgabe neben der Gräberpflege in der aktiven Bildungs- und Friedensarbeit.
Gefragt nach der Botschaft, die sie als junge, aktive Mitglieder des Volksbundes heute in die Öffentlichkeit tragen möchten, sind sich die JAKler einig: Das ehemalige Motto der »Versöhnung über den Gräbern« sei für heutige Generationen nicht mehr richtig. Junge Generationen müssen sich nicht mehr versöhnen, denn sie waren damals noch nicht geboren. »Arbeit für den Frieden« ist ihnen da lieber. Am meisten entspricht aber ihr Motto des internationalen Workcamps anlässlich der Expo 2000 dem Gedanken, der die Aktiven im JAK Hamburg antreibt: Fremde werden Freunde.
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Info
Jugendarbeitskreis im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. – Landesverband Hamburg | Brauhausstraße 17 | 22041 Hamburg |
Tel. (040) 25 90 91 | www.volksbund-hamburg.de
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