Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2008, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

»Spielend Helfen lernen«

Serie WirkungsStätten: Wie die THW-Jugend mit Spaß für den Ernstfall trainiert

Von Christian Kahlstorff, Hamburg

Ein Einsatz in Birma? »Ja, sofort!« Die Antwort von Juliane Ramm kommt ohne jedes Zögern. Juliane ist Jugendleiterin bei der Jugend des Technischen Hilfswerkes (THW) in Hamburg Nord. Sie gibt die Anweisungen an die Junghelfer der Ortsgruppe. Mit 14 Jahren ist Juliane selbstverständlich noch zu jung, um bei den Krisen-Einsätzen des THW mitzuwirken – national oder international. Doch auch wenn die Jugendlichen nicht zu den Einsätzen mitfahren – ein gutes Dutzend Jugendliche trainiert im Ortsverband Hamburg Nord jeden Dienstag von 18 bis 21 Uhr für den Ernstfall; und das mit Original-Ausrüstung. Jugendleiterin Janina Danylow – selbst erst 20 Jahre alt – versucht, mit den praktischen Übungen, möglichst reale Situationen nachzustellen. Heute Abend steht »Bewegen und Anheben von Lasten per Hydropresse« auf dem Programm. Das klingt in der Tat sehr technisch; schnell wird allerdings klar, dass es um sehr praktische Dinge geht: Ein Container soll mit Hilfe einer Hydraulikpresse angehoben werden. Denn umgestürzte Lastwagen oder andere Gegenstände können im Ernstfall Menschen unter sich begraben. »Der Vorteil ist, dass solche Pressen auch auf unebenen Flächen eingesetzt werden können«, erklärt Janina.

Die Jugendlichen stehen – bei der THW-Jugend üblich – bei Erläuterungen und Anweisungen in Reih und Glied. Sobald alle eine Aufgabe bekommen haben, gibt Juliane das Startsignal: »Vor!« Janina muss nur selten unterbrechen oder eingreifen. Die meisten Handgriffe sitzen bereits. Außerdem sind für die Aufgabenverteilung die zwei Jugendgruppenleiter, Juliane und Nick Lampe, zuständig. Juliane hat vor den älteren Jungs keinen unnötigen Respekt: »Wie steht ihr denn da?!«, »Du hast keine Handschuhe an.« und »Vor!« – Juliane hat ihre Truppe im Griff. Für die Jungs ist das kein Problem. Robin, der größte Junge der Gruppe, bestätigt: »Das ist normal. Einer muss die Ansagen machen.« Zudem haben die Jugendlichen Juliane letzten Herbst selbst zur Leiterin gewählt.

Janina beobachtet die Zusammenarbeit genau. Ein reibungsloser Ablauf kann später lebenswichtige Minuten sparen. Natürlich kommt der Spaß bei alldem aber nicht zu kurz. Die zehn Jungs und zwei Mädels nehmen ihre Aufgaben ernst, aber gelacht wird trotzdem viel. Janina greift steuernd ein, wenn Juliane oder Nick ihre Gruppen nicht mehr im Blick haben. Nicks Zwillingsbruder Tim ist ebenfalls dabei. Ein Problem mit den Anweisungen seines Bruders hat er nicht. Im Gegenteil: »Wer mit anpackt, verliert den Überblick. Als Junghelfer darf ich selbst ran.« Die Gruppenleiter Juliane und Nick sollen die Gruppe lenken. Juliane packt allerdings ab und zu kräftig mit an und zeigt ihrem Team praktisch, was es machen soll. Sobald die zwei Hydraulikpressen den Container weit genug gehoben haben, schieben vier Junghelfer abwechselnd von der Seite und von vorne Holzbalken darunter.

Bald ist der Container auf einer Seite angehoben und auf Holzbalken gelagert. Zeit für eine Pause. Die Jugendlichen stärken sich mit Getränken und Snacks aus dem Gemeinschaftsraum der THW Hamburg Nord. Das Gelände umfasst einen Gebäudekomplex mit Büros, Besprechungsräumen, Toiletten, Duschen, Garagen und einem Freigelände. Die Jugendgruppe hat ihren eigenen Raum, der für grundlegende Bedürfnisse ausreicht. Für die Theorie gibt es einen Computer und eine Tafel. Doch sobald es geht, wird draußen trainiert. Praktische Übungen stehen im Vordergrund.

Juliane ist seit August 2006 bei der THW-Jugend. Bevor sie nach Hamburg zog, war sie in Ammersbek, Schleswig-Holstein, bei der Feuerwehr aktiv. Die Technik schreckt sie nicht ab. Dennoch bilden Juliane und Janina als Frauen eher die Ausnahme in der THW-Jugend, aber auch im THW insgesamt. Im Normalfall überwiegt der männliche Anteil deutlich. Der Ortsbeauftragte des Erwachsenenverbandes Dietwald Jager, THW Hamburg Nord, lobt das Engagement von Janina ausdrücklich: »Janina leistet eine sehr gute Arbeit.« Jager, 1974 selbst Leiter der Jugendgruppe, führt die THW Hamburg Nord seit 2007. 130 Erwachsene und bis zu 20 Jugendliche sind hier organisiert. »Und 80 Prozent davon sind Freiwillige«, betont Jager stolz. Die sind engagierter bei der Sache als verpflichtete Helfer.

Das Technische Hilfswerk ist eine Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesinnenministers. Sie leistet technisch-humanitäre Hilfe nach Unglücksfällen, Katastrophen und Notsituationen im In- und Ausland. Über 13.000 Kinder und Jugendliche sind in ganz Deutschland in der Jugendverbandssparte des THW organisiert. Fast jeder der 669 Ortsverbände betreibt eine Jugendabteilung. Insgesamt stehen rund 80.000 freiwillige Helferinnen und Helfer bundesweit für das ehrenamtliche Engagement des THW.

Gegründet wurde die THW-Jugend 1984 in Ahrweiler als »Nachwuchsorganisation« des THW, wie es auf der Website des Bundesverbandes heißt. Nachwuchsförderung ist auch für Dietwald Jager ein zentrales Ziel der THW-Jugend. Die Jugendlichen werden fortlaufend ausgebildet und eingebunden. Im Alter von 17 Jahren sollen sie in die THW eintreten, so die klare Erwartungshaltung. Ab 18 darf ein Helfer dann auf Einsätze mitfahren. Ein Spannungsverhältnis zwischen der im Kinder- und Jugendhilfegesetz geforderten Eigenständigkeit von anerkannten Jugendverbänden zur engen Bindung der THW-Jugend an den Oberverband sieht man beim THW nicht kritisch. Ein Muss ist der Übertritt in den Erwachsenenverband selbstverständlich nicht, aber »die wollen doch das Gelernte endlich mal umsetzen«, meint Jager. Dennis Pasch, gerade erst aus der THW-Jugend in das THW gewechselt, stimmt ihm zu.

Die wöchentliche Übungseinheit und ein monatliches Wochenendtreffen sind nur ein kleiner Teil der Jugend-Aktivitäten. Mit Freizeitfahrten, Zeltlagern, Nachtwanderungen und Treffen mit anderen Jugendgruppen betonen der THW und die THW-Jugend die im Gesetz geforderte »allgemeine Jugendarbeit«. Dennoch zeigt sich auch dort, wie stark Nachwuchsarbeit und -anwerbung mit den Aktivitäten verbunden sind: Bei Stadtteil-Festen und natürlich beim großen Stadtpark-Fest präsentiert sich die THW-Jugend und zeigt, was sie gelernt hat. Regelmäßig geht das THW auch an die Gymnasien der Umgebung und hält dort Übungen ab. Die Aktion »Toter Winkel« z.B. zeigt den Schülerinnen und Schülern, wo LKW-Fahrer Fußgänger oder Fahrradfahrer einfach nicht sehen können. Das ist nicht nur lehrreich, es ist auch die beste Werbung für die Organisation. Bei der Familie Jager liegt die Begeisterung für das THW und die THW-Jugend offensichtlich im Blut: Sohn Robin macht sich mit den anderen Jugendlichen bereits bereit, um den Container wieder herunterzulassen.

Janina ruft die Gruppe zusammen, danach lässt sie die Jugendlichen möglichst viel selbst organisieren. Das stärkt das Verantwortungsgefühl und das Selbstbewusstsein. Die gelernte Elektronikerin ist seit über zehn Jahren beim THW. Beim Absturz des Wasserflugzeugs in Hamburg 2006 war sie unter den Helfern vor Ort. Vorbereiten auf so ernste Situationen kann man die jungen Helfer nur schwer: »Da muss man dann einfach funktionieren. Das kommt ja auch erst später.« Bis dahin gilt für die THW-Jugend das Motto: Spielend Helfen Lernen.

Juliane scheint das hervorragend hinzubekommen. Herumalbern mit den anderen in der Pause und während der Übung den Ablauf und die Gruppe nicht aus den Augen verlieren. Hat sie eigentlich noch Zeit für andere Hobbys? »Naja, ich will eigentlich mit Fußball anfangen«, gibt sie zu. Doch momentan ist dafür zu wenig Zeit.

Juliane ist fest entschlossen: Sobald sie 17 ist, wird sie in die THW übertreten und auf Einsätze fahren. Lennard, erst zum zweiten Mal dabei, hat zwar selbst noch keine Uniform, hilft aber schon, wo er kann. Zur THW-Jugend ist er über Juliane gekommen. Die beiden kennen sich aus der Schule. Lennard ist eine Ausnahme, denn Julianes Freundeskreis besteht sonst nicht aus THW-Mitgliedern: »Da hat man ja sonst gar kein anderes Thema.«

Es ist 20:15 Uhr als der Container wieder Boden munter den Stahlbalken hat. Juliane und Nick lassen die Ausrüstung verstauen und die Gruppe antreten. Zum Abschluss geht es zurück in den Aufenthaltsraum - Zeit für eine Manöver-Kritik. Auch wenn der Raum recht einfach eingerichtet und praktisch ist, die Kinder stört das nicht: Dies ist schließlich kein Büro, sondern ein Einsatz- und Besprechungsraum. Janina lobt die Zusammenarbeit, fordert aber von den beiden Jugendgruppenleitern, Juliane und Nick, noch klarere Anweisungen und stärkere Führungsqualitäten. Versüßt wird die Kritik allerdings von Windbeuteln, die Lennard spendiert. Der Neuling hat Geburtstag – da ist es Tradition, etwas auszugeben. Und Lennard will schließlich in die Gruppe aufgenommen werden. Er ist fest entschlossen, der THW-Jugend dauerhaft beizutreten.

Vor dem Gebäude wird bereits gegrillt. Auch die erwachsenen Mitglieder des THW treffen sich dienstags. Und spätestens hier zeigt sich, wie akzeptiert und integriert die Jugend in den Verband ist: Es werden Helferinnen und Helfer für eine Präsentationsübung am nächsten Wochenende gesucht. Juliane meldet sich selbstverständlich freiwillig. Für Fußball wird wohl auch in Zukunft kaum Zeit sein.
Julianes Mutter Susanne Ramm ist darüber nicht traurig. Sie ist stolz auf das Engagement ihrer Tochter beim THW. Der Freund der Mutter ist ebenfalls Mitglied beim THW. Er hat den Kontakt damals hergestellt. Bis Juliane ihren Stiefvater auf internationale Einsätze begleiten kann, wird es noch dauern. Bis dahin heißt es: Spielend Helfen lernen.



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Info: THW-Jugend Hamburg | Geschäftsstelle Hamburg | Carl-Cohn-Straße 36 – 38 | 22297 Hamburg | Tel.: (040) 51491936

Die THW-Jugend ist in Hamburg in sieben Ortsverbände unterteilt. Eine Übersicht und alle Links finden sich unter: http://gfb-hamburg.ov-cms.thw.de/jugend-minigruppen/jugendgruppen

Die THW-Jugend Hamburg Nord trifft sich jeden Dienstag 18 – 21 Uhr auf dem Gelände des THW Hamburg Nord, Carl-Cohn-Straße 36 – 38, 22297 Hamburg.

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Wirkungsstätte: THW-Jugend Hamburg