von Gesa Grandt, Bund der Deutschen Katholischen Jugend, Hamburg
Eigentlich wussten wir es vorher schon: Jugend ist nicht gleich Jugend. Und doch: Die Sinus-Milieustudie U27 stößt uns vehement mit der Nase darauf. Pauschalisierungen über die Jugend von heute sind fehl am Platz und müssen differenzierten Ansätzen weichen. Die vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und dem bischöflichen Hilfswerk MISEREOR in Auftrag gegebene Studie ist die erste ihrer Art, die Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit dem Instrument der Sinus-Milieus in den Blick nimmt.
Die beiden Träger schließen damit eine große Lücke: Eine Untersuchung zu kirchlichen und religiösen Orientierungen in den Sinus-Milieus im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2005 bezieht lediglich qualita-tive Daten der Alterskohorte ab dem 20. Lebensjahr mit ein, Kinder und Jugendliche wurden außer Acht gelassen. Die seit April 2008 vorliegende Studie beschränkt sich nicht auf die religiöse Dimension, sie nimmt tief- und vielschichtige Einblicke in die Lebensstile junger Menschen.
Mit Aussagen über Wertvorstellungen, Sehnsüchten, Zukunftsentwürfen, Einstellungen zu Gemeinschaft und Engagement sowie ihre Haltung gegenüber Religion und Kirche ist sie nicht nur für die katholische Jugendarbeit interessant, sondern allgemein auf junge Menschen übertragbar und damit für alle von Interesse, die junge Menschen besser verstehen, mit ihnen zusammen arbeiten und in den unterschiedlichsten politischen Bereichen Interessenvertretung und Anwaltschaft für sie übernehmen wollen.
Studie und Milieubegriff
Die vorliegende Studie untersucht drei Altersgruppen: Kinder (9 bis 13 Jahre), Jugendliche (14 bis 19 Jahre) und junge Erwachsene (20 bis 27 Jahre). Das beauftragte Heidelberger Institut Sociovision hat für die Gruppe der Jugendlichen erstmals ein eigenständiges Milieumodell entwickelt und somit an die jugendliche Ausgangslage angepasst. Das Modell der Sinus-Milieus erlaubt, den Menschen in seiner Lebenswelt ganzheitlicher in den Blick zu nehmen. Die Ergebnisse gehen dabei über eine reine Beschreibung soziodemographischer Daten hinaus, denn die Sinus-Milieus gruppieren Menschen einander zu, die sich in ihren Lebensauffassungen und Lebensweisen ähneln. Die soziale Lage, die sich bei Erwachsenen am ökonomischen Status orientiert, wird in der Jugendstudie über den Grad der Bildung, sprich im herkömmlich gedachten Schulsystem, beschrieben. Diese »Schichtachse« wird verbunden mit einer zweiten Dimension, der sogenannten Grundorientierung, einem lebens-weltlichen Basismotiv, beschrieben auf der »Wertachse«. Details zur Datenerhebung und zur Auswertung im Rahmen der qualitativ-ethnographischen Hermeneutik lassen sich dank der hohen Transparenz und Anschaulichkeit der Studie, die auch schon rein optisch zu erahnen sind (rund 700 Seiten bringen es auf knapp zwei Kilogramm), gut nachvollziehen.
Während Kinder noch aus ihrer Herkunftsfamilie heraus und damit über das Milieu der Eltern betrachtet werden müssen (von Sociovision als Pilotstudie angelegt), lässt sich bei den 14- bis 19-Jährigen zwar noch nicht von einer festen Milieuverortung, wohl aber von einer Milieuorientierung sprechen. Diese ist aufgrund der Sozialisationsphase in der Adoleszenz noch offener und weniger stark festgelegt. Eine Stabilisierung der Lebensumstände junger Erwachsener und der Übergang in die Postadoleszenz tragen dazu bei, dass sich hier ein eigenes, festes Milieu erkennen lässt. In der Studie werden die unterschiedlichen Milieus jeweils anhand von sogenannten lebensweltlichen Bausteinen systematisch beschrieben: Milieutendenz, spezifische Grundorientierung, Lebensstil, Musikvorlieben, Medianutzung, kulturelles Kapital, Vergemeinschaftung, Engagement, Religion und Kirche, Zukunftsvorstellungen und Sehnsüchte.
In der Alterskohorte der 14- bis 19-Jährigen wird zwischen sieben Milieus unterschieden: »Traditionelle«, »Bürgerliche«, »Konsum-Materialisten«, »Postmaterielle«, »Hedonisten«, »Moderne Performer« und »Experimentalisten«. Folglich »ticken« die Jugendlichen in den Milieus im Bezug auf die oben genannten lebensweltlichen Bausteine ganz unterschiedlich. Sie sind anders sozial engagiert, politisch orientiert, schulisch sozialisiert und religiös eingestellt. Dabei bilden sich ganz divergente und zum Teil gegensätzliche soziale Welten, aus denen heraus sich die Jugendlichen vehement voneinander abgrenzen (»Distinktionslinien«).