Von Christian Kahlstorff, Hamburg
Wie andere religiös motivierte Jugendverbände so vereint auch die Mitglieder der evangelisch-methodistischen Jugend Hamburgs ihr Glaube. Die Auslegung und das Leben ihrer Überzeugung könnten dagegen kaum unterschiedlicher sein. Wer die aus Ghana stammende Gemeinde der »African Christian Church« (ACC) in der Erlöserkirche Borgfelde besucht, erlebt eine spannende und vor allem sehr bunte Facette evangelisch-methodistischen Glaubens.
Es darf gelacht werden
Die sechsspurige Straße am Berliner Tor kann man am Sonntagmorgen gefahrlos und ohne Ampel überqueren. Um kurz vor zehn schläft Hamburg tief und fest. Den Anwohnern der Jungestraße in Borgfelde bleibt indes nur noch eine kurze Frist. Die »African Christian Church« hält in der Erlöserkirche Borgfelde ihren evangelisch-methodistischen Gottesdienst sehr lautstark ab. Gerne wird in Europa das Bild der »lebendigen« Kirche beschworen. Wer am Sonntag enttäuscht aus seinem Gottesdienst kommt, sollte in die Jungestraße 7 kommen. Hier heißt Kirche nicht lebendig, hier ist sie es. Der Tag ist buchstäblich ein Feiertag für die Gläubigen: Die Männer tragen feine Anzüge, die Frauen aufwendige Kleider in knalligen Farben, die auf der dunklen Haut erst richtig zur Geltung kommen. Make-up und Schuhe mit hohen Absätzen unterstreichen den Auftritt. Doch das ist keine Show: Die Ghanaer zelebrieren ihren Dienst am Glauben. Mit dem Einzug des Chors, einer Gruppe von Vorsängern, startet eine zweieinhalbstündige Feier im Namen des Herrn. Gebete, Predigten und Lieder wechseln einander scheinbar spontan ab. Was die Live-Band an Professionalität vermissen lässt, gleicht sie durch Lautstärke locker aus. Der Eindruck der Spontaneität täuscht nicht. Die evangelisch-methodistische Kirche (EmK) zeichnet sich unter anderem durch Laienprediger aus. Pastor Alex Afram aus Ghana leitet den Gottesdienst zwar, doch theoretisch darf hier jeder das Wort ergreifen. Bei dem gemeinsamen Fürbitten stehen verschiedene Mitglieder der Gemeinde auf und beten – unterstützt von Chor und Pastor – für Frieden in der Welt, für die Bedürftigen und Armen und für die Christen, aber auch für die nicht anwesenden Gemeindemitglieder. Der Pastor seinerseits predigt mit Inbrunst aber auch mit viel Humor. Immer wieder lacht die Gemeinde oder ruft »Amen« in die Rede hinein.
Nicht in Sühne verhaftet
Für Beate Klähn-Egbers, von der Evangelisch-methodistische Jugend, ist es klar, dass die ACC ein besonderes Mitglied im Rat der elf Hamburger Gemeinden der EmK ist: »Jede Gemeinde entscheidet selbst, wie sie ihre Arbeit gestaltet. Aber wir sehen das als Bereicherung! Die Palette der EmK ist sehr bunt.« Die hohe Autonomie einzelner Gemeinden ist ein wesentliches Merkmal in der Tradition der EmK. Sie ist eine christliche Freikirche in der wesleyanischen Tradition auf dem Boden der Reformation; ein Zusammenschluss von Freikirchen aus aller Welt nach dem Vorbild der Gebrüder Wesley. Die Bindungen sind dabei nicht so zwingend wie anderen christlichen Kirchen. Die Brüder John & Charles Wesley und George Whitefield begründeten um 1730 nach einer persönlichen Bekehrung eine enthusiastische Erweckungsbewegung innerhalb der anglikanischen Kirche, die diverse Einflüsse aus anderen Bewegungen aufnahm. Eine Hauptbotschaft: Durch die Beziehung zu Jesus Christus muss der Mensch nicht ein der Sünde verhaftetes Wesen bleiben.
Die ausgestreckte Hand
Die gelebte Energie – die pure Kraft des Glaubens, die der ghanaische Gottesdienst ausstrahlt – ist beeindruckend. Auch die Freundlichkeit, mit der jeder Neue aufgenommen wird, ist Motivation, um wiederzukommen. Jeder bekommt einen kleinen Leitfaden zur Predigt auf Englisch in die Hand. Zur Not liest der Nachbar für den schüchternen Besucher laut mit und versucht, Teile der Predigt zu übersetzen – ins Englische. Denn große Teile des Gottesdienstes werden auf Twi abgehalten, einer ghanaischen Sprache! Zum Fremdeln haben Besucher allerdings keinerlei Chancen. Unvermittelt beginnt die »Versicherung der Gemeinschaft«: In einem chaotischen Durcheinander zu fröhlicher Musik schütteln sich sämtliche Anwesenden gegenseitig die Hände. Die ganze Kirche ist auf den Beinen. Ein breites Lachen auf den Lippen ist nicht zu vermeiden. Allzu viel Ruhe und Ordnung kommt während der gesamten Dauer nicht auf. Auch Pünktlichkeit ist keine Priorität. Zweieinhalb Stunden lang kommen und gehen die Gläubigen.
Schule am Sonntag
Ein Teil der Gemeinde geht nach einer Stunde allerdings planmäßig aus der Kirche: Alle Jugendlichen der ACC in Hamburg wechseln dann in die »Sunday School«, die Sonntagsschule. Sie findet parallel zum Gottesdienst statt. Zwar sind die Freikirchen ein gegenüber der evangelischen oder katholischen Kirche eher loser Verbund, doch ist für sie der missionierende Gedanke oder wenigstens ein hohes Sendungsbewusstsein charakteristisch. Es gibt drei Gruppen, die nach Alter getrennt werden. Die ganz Kleinen werden im Vorraum der Kirche mit Spielen und Liedern betreut. Für die anderen haben die Ghanaer Räume im angrenzenden Gebäude der Stiftung »Rauhes Haus« gemietet. Der aus Spenden finanzierte Platz befindet sich im Keller. Die Acht- bis Elfjährigen sitzen im Kellerflur, die 12-18-jährigen haben zumindest einen eigenen Raum. Bei beiden Gruppen steht die Bibellehre auf dem Schulplan. Sarah Kelly bringt den jüngeren spielerisch den Inhalt der Bibel nahe. Sie ist 29 Jahre alt und seit sechs Jahren in Deutschland. Auf die Frage nach ihrer Arbeit sagt sie nur: »Ich helfe meiner Mutter.«
Inniger Glaube und kritische Fragen
Bei den Teenagern geht es mehr um die Auslegung und die Botschaft der Geschichten. Martha Montfold will den Kindern die gute Botschaft näher bringen. Die sieben Jugendlichen sitzen um vier zusammen geschobene Tische herum. Das Thema heute lautet »Gehorsam«. Am ersten Wunder von Jesus, das Verwandeln von Wasser zu Wein, will Martha zeigen, was man erreichen kann, wenn man gehorsam ist. »Wenn Ihr Euren Eltern gehorcht, werden sie Euch helfen, sobald Ihr sie braucht«, betont Martha. In Ghana, so erfahren die Schüler, offeriert man Gästen als allererstes Wasser zum Trinken. Sie ist streng, erlaubt keine Unterhaltung oder Störungen, wohl aber kritische Rückfragen. Salome (14 J.) fragt: »Können wir auch Wasser in Wein verwandeln?« Martha bejaht. Mit der Hilfe des Glaubens könne man alles erreichen, was man will. »Im übertragenden Sinne«, will man spontan einwerfen. Doch die Christen wollen die Botschaft möglichst klar herüberbringen. Gehorsam um jeden Preis wäre in anderen Gruppen kritischer hinterfragt worden.
Babylon lässt grüßen
Auch in der Kirche geht es um das Erreichen der eigenen Ziele. »Wenn Du etwas erreichen willst, darfst Du Dich nicht von Schwierigkeiten abhalten lassen!«, ruft der Laienprediger auf Englisch von der Kanzel. Zustimmende Rufe der Gemeinde bestärken ihn. Ermutigt wiederholt er den Satz – dreimal. Immer lauter spricht er – inzwischen in Twi. Immer wieder wechselt der Gottesdienst zwischen Englisch und Twi. Kein Wunder also, dass gerade einmal zwei Weiße den Weg in das Gotteshaus gefunden haben. Die Zwei sind Mitglieder des »Hamburg Gospel Ambassadors«-Chors und wollen »mal gucken, was hier so passiert«. Twi (ausgesprochen mit einer Art Pfeifen als »w«) verstehen sie nicht, vielleicht nicht einmal alle Ghanaer. In Ghana ist Englisch die Lingua Franca. Twi, Ga und Ewe sind nur drei von Dutzenden Sprachen im Land. Für die Schüler der Sunday School nebenan ist die Mehrsprachigkeit kein Problem. Vor ihnen liegen zwei Bibeln – eine deutsche und eine englische. Englisch ist Unterrichtssprache. Die Kinder sprechen perfekt Deutsch, Englisch und eine ghanaische Sprache, wechseln gerne mitten im Satz zwischen Deutsch und Twi oder Englisch und Ewe. Auch in dieser kleinen Gruppe gehören Einwürfe wie »Amen«, »Ja« oder Wiederholungen des Gesagten zur Gesprächskultur.
»I do not come from Germany!«
In der Kirche wird der Laienprediger noch deutlicher: »I do not come from Germany, I do not come from Ghana, I come from God!« Ein schöner Gedanke, doch der Alltag der Immigranten sieht nicht immer so einfach aus. Der Lehrerin Martha fällt die deutsche Sprache schwer. Sie ist erst seit vier Jahren in Deutschland. Sie hat in Ghana Marketing studiert, hier muss sie in einer Reinigungsfirma arbeiten. Sie ist ihrem Mann nach Deutschland gefolgt. Ihre eigenen Kinder sind noch in Ghana. Wenn das Geld reicht, will sie die Zwei dieses Jahr besuchen, zum ersten Mal seit sie in Deutschland ist. Natürlich will sie irgendwann wieder zurück nach Ghana, in ihre Heimat. Und dieses irgendwann klingt wie möglichst bald.
Die Suche nach neuen Räumen
Erst nach Ende des Gottesdienstes treffen sich die Über-18-jährigen im Kellerraum. Die zwölf Erwachsenen organisieren die Aktionen der evangelisch-methodistischen Jugendgruppe der ACC. Neben der Sunday School bilden sie eine Gemeinschaft, die sich im Alltag hilft und eine Anlaufstelle für Jugendliche und Erwachsene sein will. Max Anthony ist der Leiter der Gruppe und in der Kirche sehr engagiert. Max spielt in der Band, ist Vorsänger und unterstützt den Ablauf des Gottesdienstes. Das Ziel seiner Arbeit ist klar: Die Jugendlichen sollen näher zu Gott finden. Die jungen sollen die Bibel kennenlernen, die älteren sollen ihr Leben nach ihr ausrichten. Und dafür sucht die Gemeinde nach besseren Räumen. »Wir brauchen Instrumente und mehr Räume. Hier können wir uns kaum entfalten«, betont er. In größeren Räumen könnten mehr Kinder besser betreut werden. Aus dieser Motivation heraus, haben sich Gloria, Max und Pastor Afram entschieden, sich stärker in der Evangelisch-methodistischen Jugend zu engagieren als bisher. »Sie sind auf uns zugekommen und wollen sich bewusst stärker integrieren«, berichtet Klähn-Egbers von der Initiative der ACC. Als erstes sollen Verantwortliche der ACC besser Deutsch lernen. Darüber hinaus organisiert Klähn-Egbers zurzeit Schulungen für die Ehrenamtlichen zum Thema »Jugendbildung«. »Ein Mädchen der ACC macht bereits eine Juleica-Schulung mit«, ergänzt sie.
Generationsgrenzen
Max erzählt im Gespräch weniger davon. Er handelt lieber: Heute wird die Gruppe einem Mitglied beim Möbelpacken helfen. Dieser zieht nach Dänemark wegen eines Jobs. Also geht es doch um mehr? Natürlich könne die Gemeinde versuchen, bei Problemen Einzelner mit den deutschen Behörden zu helfen. Für ihn bleibt aber der Glaube an Gott Mittelpunkt seiner Arbeit. Sein Engagement und sein Glaube machen ihn stark und sehr entschlossen. Doch Integrationsprobleme kann auch noch so entschlossener Glaube nicht einfach verschwinden lassen. Im Alltag arbeitet Max in einer Autoreinigung, er versteht wenig Deutsch, spricht bevorzugt Englisch. Seine Heimat ist Ghana. Die jüngeren Mitglieder sehen die Heimatfrage sehr unterschiedlich. Claudia, 19, studiert BWL und Marketing. Sie will in Deutschland bleiben. Nana, 21, studiert American & African Studies. Sie ist erst mit 13 aus Ghana gekommen, doch für sie ist es schwer vorstellbar, zurückzugehen. Winnifred, 26, geht noch weiter: »Ich will meine Rentenzeit hier verbringen!« Für manche dieser Jugendlichen ist Ghana eher ein Urlaubsziel. Mabel sieht das anders. Sie ist 28, hat in Deutschland Medien-Management studiert und lange bei einer Plattenfirma gearbeitet. Jetzt will sie Diplomatin werden. »Für mich ist Deutschland meine zweite Heimat«, sagt sie. Und zwei seien einfach besser als eine. Ihre Hautfarbe bemerkt sie praktisch gar nicht mehr. »Meist vergesse ich das einfach.« Von Problemen berichtet keiner der Jugendlichen. Heimweh nach Verwandten und Kindern, Sprachschwierigkeiten bei der Jobsuche sind für die Erwachsenen wie Max, Martha oder Sarah viel relevanter.
Jugendfest für bessere Integration
Ganz und gar freikirchlich sieht die ACC auch die Zusammenarbeit mit der Evangelisch-methodistischen Kirche Hamburgs. »Kontakt zu anderen Jugendgruppen haben wir kaum«, gibt Mabel zu. Ein möglicher Wendepunkt steht aber schon auf dem Plan: Großes Ziel der ACC-Jugend ist der »Youth Celebration Day« – ein Fest für junge Menschen. In Ghana wird zu solchen »Tagen« eine Woche lang gefeiert, doch Max wäre schon zufrieden, wenn sie ein Wochenende mit Feierlichkeiten organisiert bekämen. Als Datum ist Juli oder August im Gespräch. Dann soll es neben der frohen Botschaft der Bibel auf Englisch und Deutsch natürlich auch viel Essen, Musik und Spaß geben – eigentlich wie ein ganz normaler Gottesdienst der ACC. Doch Hauptziel ist eine bessere Integration in den Stadtteil und neue Verbindungen zu anderen Jugendorganisationen. Beate Klähn-Egbers von der Evangelisch-methodistischen Jugend betont: »Dabei geht es der ACC gar nicht um finanzielle Unterstützung sondern eher um praktische Hilfe.« Auch sie bestätigt, dass die Zweite oder Dritte Generation der in Deutschland lebenden Ghanaer beide Kultur ganz selbstverständlich miteinander verbinden. »Wir wissen, dass die Zusammenarbeit mit der ACC erst am Anfang steht«, gibt sie zu. Doch mit ihrer Initiative sind die Ghanaer nicht mehr allein: »Die Lutherische Kirche hat inzwischen eine eigene Stelle geschaffen, auf der eine junge Theologin ein Forum für mehr Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden schafft.« Beim Schwerpunkt »musikalische Projekte« wird die ACC leicht einzubinden sein: Schon jetzt singen sie als Gäste bei anderen Gottesdiensten mit. Wer die verbindende Kraft von Musik spüren will, muss aber nicht bis zum »Youth Celebration Day« warten: Interessierten sei der monatliche »Internationale Gospelgottesdienst Hamburg« auf Englisch und Deutsch empfohlen. »Das ist die perfekte Mischung beider Kulturen«, versichert Mabel, die angehende Botschafterin. Da passt ins Bild, dass sie selbst bei den »Hamburg Gospel Ambassadors« mitsingt.
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Info:
Evangelisch-methodistische Jugend | Eilbeker Weg 86 | 22089 Hamburg | Tel. (040) 20 00 77 16 | emj-hh@ | emk.dewww.kjwnord.de
African Christian Church | Internationaler Gospelgottesdienst Hamburg | Jeden 2. Sonntag des Monats (Start: 18 Uhr) | Erlöserkirche Borgfelde | Jungestraße 7a (U/S-Bahn Berliner Tor)
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