Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3+4-2023, Rubrik Kommentar

Engagierte junge Menschen unter Generalverdacht

Landesjugendamt lässt Hamburger Jugendverbände durch den Verfassungsschutz überprüfen – und ist selbst nur noch eingeschränkt handlungsfähig

Ende November kamen Hamburger Jugendverbände auf Einladung des Landesjugendrings Hamburg in einem digitalen Meeting zusammen, um über die Vorfälle im Landesjugendamt zu beraten. Rund 60 Personen, Delegierte der LJR-Mitgliedsverbände und aus anderen Jugendverbänden, tauschten sich aus über die vom Landesjugendamt initiierte Verfassungsüberprüfung ihrer Organisationen und berieten Konsequenzen.

Der Vorstand des Landesjugendrings bezieht – auf Basis dieser Beratung – in der nachfolgenden Erklärung Stellung zu den Vorgängen. Zudem wird der LJR im Januar zu einer Vollversammlung alle Hamburger Jugendverbände erneut einladen und ebenso eine Leitungsperson der Sozialbehörde, um Raum für Aufklärung zu geben. In der Zwischenzeit werden sich die Jugendverbände jeweils mit Schreiben an das Landesjugendamt wenden, um Klarheit darüber zu erlangen, welche Daten jeweils an die Verfassungsschutzbehörde weitergegeben wurden und welche Ergebnisse die anberaumte Überprüfung ergeben hat.

Hintergrund: In seiner Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zum Thema Mobbing in der Sozialbehörde und Zusammenarbeit des Landesjugendamtes mit dem Verfassungsschutz vom 10.11.2023 (Drucksache 22/13406) bestätigt der Senat, dass auf Initiative des Landesjugendamtes eine pauschale Überprüfung Hamburger Jugendverbände durch den Verfassungsschutz kürzlich durchgeführt wurde.

Diese anlasslose Überprüfung von Jugendverbänden durch den Verfassungsschutz ist ein bundesweit einmaliger Vorgang. Begründet wurde dies seitens des Landesjugendamtes aus vermeintlicher Sorge um die Reputation der Hamburger Jugendverbände. Als äußerlichen Anlass nahm die Behörde die Nennung eines einzelnen Jugendvereins (also kein anerkannter Jugendverband!) im Verfassungsschutzbericht, der als extremistisch eingestuft worden war und der seinerseits Mitglied eines anerkannten Jugendverbands ist. Die Überprüfung der Hamburger Jugendverbände durch den Verfassungsschutz habe laut oben genannter Antwort des Senates »keine weiteren [Extremismus-] Risiken für die Jugendverbände der Stadt« ergeben.

Das Landesjugendamt beteuert in der Antwort des Weiteren »die bislang gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Jugendverbänden«. Umso verwunderlicher ist es, dass das Landesjugendamt bei seiner »Sorge« um »aktuelle politische Entwicklungen« die Anfrage beim Verfassungsschutz in die Wege geleitet hat, ohne sich vorher an die Jugendverbände und den Landesjugendring zu wenden. Dies wäre nicht allein formal der richtige Weg gewesen – sondern auch Ausdruck einer vertrauensvollen Zusammenarbeit.

Vertrauensbruch. Die Hamburger Jugendverbände und der Landesjugendring sind über die anlasslose Verfassungsschutzüberprüfung in großem Maße empört und verstehen diese als Misstrauenserklärung gegenüber allen Hamburger Jugendverbänden und als Bruch der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Dies zumal vor dem Hintergrund, dass es dem Landesjugendamt als Aufgabe obliegt, nur solche Jugendverbände als Träger der freien Jugendhilfe anzuerkennen, deren Ziele, Tätigkeiten und Satzung auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Die pauschale Überprüfung anerkannter zivilgesellschaftlicher Organisationen durch den Verfassungsschutz ist für uns eine bisher unvorstellbare Infragestellung gesellschaftlichen Engagements junger Menschen und politisch sehr besorgniserregend. Die demokratische Teilhabe junger Menschen wird dadurch nicht gefördert sondern eher erschwert, indem junge Menschen abgeschreckt werden.

Zudem fragen wir uns, wie sich die aktuelle Situation im Landesjugendamt darstellt und wie die zukünftige Zusammenarbeit mit den Jugendverbänden gestaltet werden soll. Die in der Kleinen Schriftlichen Anfrage an den Senat aufgeworfene Vermutung, es gäbe Fälle von Mobbing, Bossing und psychischen Übergriffen im Amt, können und wollen wir nicht beurteilen. Fakt ist aber, dass personelle Vakanzen zugenommen haben. Von den fünf Vollzeitstellen bei den für Jugendverbände wichtigen Fachberater*innen sind derzeit nur noch 2,4 Vollzeitäquivalente besetzt – mit sinkender Tendenz. Mit diesen fachlich sehr kompetenten Ansprechpartner*innen im Landesjugendamt haben (und hatten) die Jugendverbände in den letzten Jahren eng, vertrauensvoll und im Sinne der in Hamburg engagierten jungen Menschen zusammengearbeitet. Jede Stellenvakanz beschränkt die Leistungsfähigkeit des Landesjugendamtes und betrifft mittelbar die Handlungsfähigkeit der Jugendverbände. Bereits jetzt hat das Landesjugendamt aus Überlastungsgründen die Zusammenarbeit bei gemeinsamen Projekten mit Jugendverbänden heruntergefahren. Die Jugendverbände fürchten, dass Förderanträge für die von ihnen in 2024 geplanten Projekte nicht angemessen bearbeitet werden können.

Die Hamburger Jugendverbände fordern daher nachdrücklich eine umfassende und transparente Aufarbeitung der benannten Vorgänge, um die Wiederaufnahme einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu ermöglichen. Es muss vollumfängliche Transparenz darüber hergestellt werden, welche Informationen vom Landesjugendamt an den Verfassungsschutz weitergeleitet wurden und wonach konkret gefragt wurde. Außerdem fordern wir Aufklärung darüber, welche konkreten Schritte von Seiten des Verfassungsschutzes in Reaktion auf die Anfrage des Landesjugendamtes unternommen wurden und wie die Antwort ausfiel. Dazu werden Hamburger Jugendverbände einzeln jeweils Anfragen an das Landesjugendamt stellen.

Zudem fordern wir die Sozialbehörde auf, Jugendverbände weiterhin als bedeutsame Orte der Demokratiebildung im notwendigen Maße zu fördern.

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Von Michael-J. Gischkat, Jara Hamdorf, Niyasi Karaca, Maja Reifegerst und Destina Üçdemir, LJR-Vorstand