Von Hanna Lubcke, Hamburg
An einem Montagabend tönt aus dem Matthias-Claudius-Gymnasium in Wandsbek fröhliche Musik. Außerhalb der normalen Zeiten des Schulbetriebs herrscht reges Treiben in einem Klassenzimmer – eine Tanzgruppe der djo probt für einen Auftritt in Italien.
Pommersche Drei Runden, Kirmespolka und Schwedischer Klapptanz. Die Tänze, die hier geprobt werden, würden Außenstehende kaum benennen können. Viele sind pommersche Tänze, die zwar eine lange Tradition haben, heute jedoch kaum noch gelernt werden. Es wird in verschiedenen Formationen getanzt: in Reihen, als Paare oder auch im Kreis. Wichtige Figuren sind zum Beispiel die Mühle, bei der sich die Tanzenden an den Handgelenken greifen und im Kreis drehen. »Alle Formationen beruhen darauf, dass als Gruppe getanzt wird. Die Gemeinschaft wird so betont«, erklärt Susi Dohle, die Vorsitzende der djo. Die Schritte sind auf den ersten Blick kompliziert, das Herumgewirbel auf dem Parkett und der schnelle Wechsel der Formationen sehen sehr geübt aus. Das ist auch kein Wunder, denn die Tanzgruppe bereitet sich gerade auf einen wichtigen Auftritt vor. Im September reist die Gruppe zu einem Folklore Festival in Italien. Dort kommen Gruppen aus aller Welt zusammen, die unterschiedliche Kulturen repräsentieren. Bei gemeinsamen Umzügen und Auftritten kommt man in den Austausch, sei es durch Gespräche und Musik oder eben über den Tanz. Für solche Erlebnisse fährt die djo häufiger zu Volkstanz-Festen. Für dieses Mal brauchen sie noch ein Gastgeschenk, wofür eine selbstaufgenommene CD mit Musik sowie ein Souvenir aus Hamburg in Frage kommen. Die Vorfreude auf das Festival ist spürbar. Auf die Frage, warum die djo-Mitglieder die Tänze lernen wollen, kommt von allen dieselbe Antwort: »Weil es einfach richtig Spaß macht!«
Und das stimmt. Als Gast an diesem Abend werde ich sofort eingeladen, es selbst zu probieren. Drei einfache Tänze tanzen wir, die, wie ich später herausfinde, keine niederdeutschen Tänze sondern unterschiedliche nationale Volkstänze – der Boanopstecker aus den Niederlanden oder der Hashual und der Mayim aus Israel – sind. »Diese sind teilweise ein bisschen einfacher und ideal für Einsteiger sowie für jüngere Kinder«, bemerkt Susi. Allgemein hätten Kinder viel Spaß an den Tänzen, auch wenn Volkstanz natürlich ein unkonventionelles Hobby ist. Die djo unterhält ihre Angebote größtenteils in Schulen, wo die Tanzkurse für alle offen sind.
Eine wechselhafte Geschichte. Auch wenn die Hamburger djo größtenteils pommersche Tänze tanzt, haben ihre Mitglieder, so Susi, keinen familiären oder historischen Bezug dazu. Es steht die Freude am Tanzen und an der Gemeinschaft im Vordergrund, auch wenn die Pflege der Kultur ein wichtiger Bestandteil der Tätigkeit des Verbandes ist. So haben die Mitglieder über die letzten Jahrzehnte einige Tänze teilweise selbst aus historischen Überlieferungen rekonstruiert. Auch die Belbucker Festtrachten, die sie bei Auftritten tragen, sind selbst geschneidert. Dem ging eine lange Recherche in Museen und Bibliotheken voraus. Jeder solle seine Kultur leben, sagt mir ein Teilnehmer des Tanzkurses. Dahinter stehe klar der europäische Gedanke des Europas der Regionen, in dem Völkergrenzen aufgehoben werden.
Die djo Hamburg ist Teil des Dachverbandes djo – Deutsche Jugend in Europa. Auf der Website wird heute auch die durchwachsene Geschichte des in den 50er Jahren gegründeten Verbandes thematisiert – denn Tradition und Kultur zu pflegen, wurde auch von der djo nicht immer als Akt der Völkerverständigung und Akzeptanz verstanden. Nach der Gründung der »Deutschen Jugend des Ostens« im Jahr 1951 spielte völkisches und revanchistisches Gedankengut eine große Rolle in dem Verband, der die neuen Ostgrenzen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht anerkannte und Anspruch auf die ehemaligen Ostgebiete erhob. In den 70er Jahren änderte sich dies mit dem wandelnden gesellschaftlichen Bewusstsein. Der Verband ließ offiziell von seinen revanchistischen Positionen ab und stellte die Völkerverständigung in den Vordergrund. Dies schlug sich in der Umbenennung des Verbandsnamen nieder: Der alte Name wird nur noch als Kürzel djo geführt und um »Deutsche Jugend in Europa« ergänzt. In der Wendezeit vereinigte sich die djo mit dem »Jugendbund Deutscher Regenbogen« aus der DDR und seit den 2000er Jahren werden auch Migrantenjugendselbstorganisationen aufgenommen. Im Zuge dieser interkulturellen Öffnung fungiert die djo heute auch als Dachverband von Organisationen wie dem Kurdischen Kinder- und Jugendverband Komciwan, dem Assyrischen Jugendverband Mitteleuropa oder dem Jugendverband der Armenier in Deutschland.
Auch der Hamburger Verband bestätigt, dass andere djo-Landesgruppen früher teils revanchistisch ausgerichtet waren. Sie selbst würden nicht »Volkstanz als Politik« sehen. Früher kamen jedoch trotzdem teilweise beklommene Gefühle auf, wenn man sich häufig »in eine rechte Ecke gedrängt« sah. Dies sei seit der Wende einfacher. So stellt sich der Verband die Aufgabe, unter den Leitlinien der Akzeptanz und Toleranz die Völkerverständigung zu stärken und Kultur, vor allem unter Einbeziehung Jugendlicher, zu pflegen.
Brücke zwischen jung und alt. Und es kommen auch wieder junge Leute dazu, sei es über die offenen Angebote oder die Freizeitangebote. Sie würden reinschnuppern und viele nehmen dann regelmäßig teil. Es bleibt trotzdem eine Herausforderung, junge Menschen mit Volkstänzen anzusprechen. So gab es einzelne Fälle, wo Kinder von ihren Freunden ausgelacht oder gehänselt wurden – ob ihrer Teilnahme an den Volkstänzen. Oft stehen sie aber locker darüber und kommen trotzdem weiter zu den Tanztreffen.
Diese sind zwar ein Herzstück der Verbandsarbeit, aber nicht der einzige Bereich, in dem die djo aktiv ist. Besonders um jüngere Leute anzusprechen, kommen Angebote wie zum Beispiel Basteln hinzu. Es gibt neben Bastelaktionen, die pommersche Bräuche und Symbole aufgreifen, auch einfaches Oster- oder Weihnachtsbasteln. Zudem gibt es regelmäßige Bildungsangebote, bei denen sich mit verschiedenen Themen auf spielerische Art auseinandergesetzt wird.
Während der Corona-Pandemie den Kontakt zu halten, war jedoch schwer, es konnte schließlich eine lange Zeit nicht gemeinsam getanzt werden und auch die Kreativangebote in Präsenz mussten ausfallen. Auch wenn Online-Treffen organisiert wurden, hatten wenige Schüler dazu Lust, nach einem ganzen Tag voll Online-Unterricht noch weiter vor dem Bildschirm zu sitzen. Darum ist es für die djo jetzt besonders wichtig, wieder mehr Kontakte zu knüpfen.
Eine besondere Rolle nimmt dabei die Sommerfreizeit ein, die normalerweise jedes Jahr auf Föhr stattfindet und zwei Wochen lang geht. Die Kinder sind zwischen acht und 14 Jahre alt und beschäftigen sich auf den Fahrten jedes Jahr mit einem speziellen Motto. In diesem Jahr konnte die Freizeit nach der Pandemie wieder stattfinden und die Teamer, die auch Teil der Tanzgruppe sind, erzählen noch ganz begeistert: »In diesem Jahr hatten wir das Motto Forscher«. Um sich diesem Thema spielerisch zu nähern, wurde das mysteriöse Wesen »Bromo« genutzt, das die Kinder über die gesamte Fahrt erforschten. In solchen Aktivitäten steht zwar auch das Lernen aber vor allem der Spaß im Vordergrund. Somit versuchen die Teamer, den Kindern etwas für das gemeinsame Miteinander mitzugeben. In diesem Jahr ging zum Beispiel ein Gerücht aus einer anderen Gruppe auf dem Platz herum, welches auch die Teilnehmer der djo beschäftigte und sich herumsprach. Um aus dieser Sache gemeinsam zu lernen, stießen die Teamer eine Runde »Stille Post« an, um anhand des Spiels zu erklären, wie Gerüchte funktionieren.
Tänze sind fraglos ein elementarer Teil der Freizeit und für viele der Kinder ein Highlight. Auch wenn sie auf den Camps das erste Mal damit in Berührung kommen, sind einige immer wieder so begeistert, dass sie danach weiter tanzen möchten. Auf diesem Wege werden junge Menschen im Pflegen von Kulturgut zusammengebracht – ganz unabhängig von der eigenen Herkunft. Diese geteilte Begeisterung ist es auch, welche die Brücke zwischen Tradition und Jugendkultur in der djo möglich macht.
-----------------------------------------------------------
Info: djo – Deutsche Jugend in Europa
Tanztreffen (offen für Interessierte):
Schule Burgunderweg: Donnerstags 15 bis 16 Uhr (Sechs- bis Zehnjährige)
Gymnasium Ohmoor: Donnerstags 17.30 bis 19 Uhr (Zehn- bis 19jährige)
Info: www.djo-hh.de | susi.doehle@ | T. (040) 555 41 42 gmx.de