Von Hanna Lubcke, Hamburg
Ein Samstag im November: Über uns spannen sich Zeltplanen, und Musik klingt aus den Lautsprechern rundherum. Auf der Eisbahn in Hamburg-Stellingen drehen Gruppen junger Leute ihre Runden. Eine davon ist an diesem Samstag die fkk-jugend Nord, die mit einer Runde Schlittschuh ihr Winterwochenende einleitet.
Plätzchen backen und Pläne für den Sommer vorbereiten. Beim Winterwochenende wird ein entspanntes Zusammenkommen mit den Vorbereitungen der Teamer auf das nächste Jahr kombiniert. Das Thema sind dieses Mal Geländespiele: Welche Arten von Spielen sind beliebt, wie sieht das ideale Geländespiel aus? Über das Wochenende werden die Jüngeren spielerisch befragt, ob sie lieber sportliche oder kreative, eher kooperative oder Konkurrenzspiele mögen. Auf Grundlage der Antworten arbeiten die Teamer dann ein neues Geländespiel für die nächsten Freizeiten aus. Getroffen haben sie sich auf einem Vereinsgelände in der Nähe von Hamburg, teilnehmen können alle von sechs bis 27 Jahre. Neben der Vorbereitung des Spieles werden auch Plätzchen gebacken, Kakao getrunken, Marshmallows verspeist und eben Schlittschuh gelaufen. Und man sieht, wie viel Spaß alle haben – auch die Jüngsten, die auf Laufhilfen über das Eis schlittern. Zwischendurch gibt es Tee und Snacks zum Verschnaufen.
Freikörperkultur – was ist das? Beim Wort FKK denken viele zunächst an Sommer und Strand. Dass zu den Campingplätzen und Badestellen für Freikörperkultur auch Vereine gehören, die das Ganze am Laufen halten, ist oft gar nicht so klar. So gibt es die fkk-jugend schon seit fast 70 Jahren in ganz Deutschland. FKK steht für Freikörperkultur. Damit ist vor allem das Ausleben von Nacktheit gemeint – also in seiner Freizeit, beim Baden oder im Urlaub auf Textilien zu verzichten. Die Beweggründe sind vielseitig, doch vielen Anhängern der Freikörperkultur geht es zunächst darum, den nackten Körper zu enttabuisieren und sich in Verbundenheit mit der Natur einfach so bewegen zu können, wie man ist. Die Geschichte der Freikörperkultur lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen und ist mit der Lebensreformbewegung verwoben, die angesichts der sich ausbreitenden Industrialisierung und Urbanisierung zu natürlicheren Lebensformen zurückkehren wollte. Hierzu gehörten neben der Nacktheit auch eine starke Naturverbundenheit sowie ein Fokus auf Gesundheit und körperliche Bewegung. Um die Jahrhundertwende gründeten sich verschiedene Vereine, bürgerliche wie ebenso in der Arbeiterbewegung verankerte, welche die Freikörperkultur propagierten. Sahen die einen in der Freikörperkultur eine idealisiert-natürliche Lebensform, betonten die proletarisch orientierten Verbände das Gleichheitsideal, weil die Nacktheit soziale Unterschiede aufhebe. Während des Nationalsozialismus wurden alle Richtungen verboten. Doch vor allem junge Menschen ließen die Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufleben.
Die heutige fkk-jugend kommt aus der Tradition der bündischen Vereinigungen der Nachkriegszeit, wesentlich geprägt durch Pfadfinder- und Wanderbünde, und ist bis heute Mitglied im Ring junger Bünde. »Junge Leute wollen sich zu eigenständigen Menschen entwickeln und sich von ihren Elternhäusern und deren Gewohnheiten befreien«, erklärt Franziska von der fkk-jugend Hamburg das aus der bündischen Tradition stammende, aber aktuell gebliebene Ziel des Vereins. Freie Körpererfahrung ist dabei ein Medium – zumal vor dem gesellschaftlichen Hintergrund, in dem Nacktheit, damals wie heute, oft ein Tabuthema ist. Ohne Scham oder Sexualisierung nackt und naturverbunden sich in der Freizeit zu treffen, könne jungen Menschen helfen, den eigenen Körper, so wie er ist, anzunehmen. Daher ist eines der Hauptziele der Freikörperkultur weiterhin die Akzeptanz – individuell wie gesellschaftlich. »Jeder wird hier akzeptiert, wie er ist, innerlich und äußerlich. Das lässt sich mit dem Konzept der Freikörperkultur gut verbinden, denn man sieht sich so, wie man ist«, erklärt Franziska weiter. Sie selbst ist seit ihrem sechsten Lebensjahr auf den Freizeiten der fkk-jugend dabei und habe selbst Zeiten gehabt, wo sie sich nicht nackt zeigen mochte. Auch das war kein Problem. Am Ende habe es ihr aber immer geholfen, verschiedene Menschen »unverkleidet« zu sehen, die eben ganz normal aussehen, und so habe sie einen Ort gefunden, an dem man akzeptiert würde, wie man ist.
Für Lisa, eine andere Teamerin, bedeutet Freikörperkultur vor allem, sich mal keine Gedanken darum machen zu müssen, was andere von einem denken: »Wenn ich in Schlafanzughose rumlaufe oder eben nackt am Strand liege – das interessiert hier einfach kein Schwein und das ist ja in der Gesellschaft sonst heutzutage anders«.
Eine Insel der Akzeptanz. Weiterhin beschreiben die Teamerinnen ihre Beobachtung, dass der gesellschaftliche Druck auf Jugendliche, den eigenen Körper nach medialen Vorbildern zu optimieren, zunähme. Nicht nur Frauen, für die Schönheitsideale schon länger ein Thema gewesen sei. Sondern auch Jungs würden mittlerweile stark davon beeinflusst werden, dass unerreichbare Körperbilder über Social Media oder Werbung normalisiert werden. Gerade in der Pubertät, in der sich der Körper verändert und man keine Kontrolle darüber hat, sei dies für Jugendliche eine gefährliche Entwicklung.
Andererseits gebe es auch die gegenteilige Bewegung, oft unter dem Schlagwort »Body Positivity« zusammengefasst, in der realistischere Körperbilder verbreitet und normalisiert werden. Und bei der fkk-jugend sei das Brechen von Schönheitsbildern schon immer zentral gewesen: »Sobald du nackt bist, kannst du nichts mehr verstecken. Jugendliche sehen so: Auch ich bin ok«, sagt Franziska. Natürlich müsse niemand sich nackt zeigen, vor allem in der Pubertätsphase, in der man sehr unsicher und schnell verletzbar sei. Gleichwohl könne Nacktheit gerade deswegen eine gute Erfahrung sein, solange sie aus freien Stücken gewählt wird.
Aber die fkk-jugend organisiert nicht nur Zelten und Strandfreizeiten, bei denen Freikörperkultur gelebt wird. An mehreren Wochenenden im Jahr gibt es Angebote, mit denen der Verband schöne Momente schaffen und Kindern und Jugendlichen einen Ausgleich zum oft stressigen Alltag geben möchte. Auch sportliche Aktivitäten werden von der fkk-jugend, die auch Mitglied in der Deutschen Sportjugend ist, mit auf die Beine gestellt, sei es Schlittschuhlaufen oder ein Besuch im Jump-House. Das Programm ist abwechslungsreich, und die Teamer probieren immer wieder Neues aus. Alle ein bis zwei Jahre gibt es zudem längere Ferienfahrten: So führte die Reise der fkk-Jugend vor einigen Jahren für zwei Wochen nach Südfrankreich. Und besonders in Erinnerung: die Fahrt auf die Jugendherberge Burg Altena, bei der ein eigener Film gedreht wurde. Das Drehbuch überlegten sich die Teilnehmer vorher, und über die Freizeit hinweg wurde dann gefilmt und geschnitten. An solche Highlights erinnern sie sich gern, auch weil während der Corona-Pandemie vieles pausieren musste.
Von alt zu jung. Dass Freikörperkultur heute nicht mehr so verbreitet ist wie in der Nachkriegszeit, ist natürlich auch für die fkk-jugend ein Problem: So ist eines der nächsten Ziele, den Verband wieder unter Jugendlichen mehr zu bewerben. Fragt man den Vorsitzenden Carsten, dann ist dies ebenso ein Anliegen des Deutschen Verbandes für Freikörperkultur, mit dem die fkk-jugend zusammenarbeitet. »Wir fragen uns immer wieder, wie wir die Jugend unterstützen können.« Denn alle seien froh, wenn die Arbeit an die Jugend weitergereicht wird. Darum plant der Verband, sich in den nächsten Monaten auf Vereins- und Reisemessen mehr zu präsentieren. Die Zusammenarbeit von Jung und Alt ist in vielen Bereichen fruchtbar und auch die Jugend unterstützt die Erwachsenen in verschiedenen Bereichen. »Zum Beispiel ist die Prävention sexualisierter Gewalt bei uns in der Jugend schon lange ein wichtiges Thema, und auch der Erwachsenenverband, der Mitglied im Deutsch Olympischen Sportbund geworden ist, setzt sich mit diesen Themen mehr auseinander«. Da Prävention von sexualisierter Gewalt in so einem empfindlichen Raum wie der Freikörperkultur besonders wichtig ist, bietet die fkk-Jugend jährlich Weiterbildungen dazu an und kann jetzt auch dem Erwachsenenverband Schulungen geben – ein guter Austausch in beide Richtungen.
Was steht jetzt an? Die Aktivitäten für 2023 hat die fkk-jugend am Ende des Winterwochenendes geplant, darunter auch viele sportliche Veranstaltungen. Auf die Frage, worauf er sich am meisten freut, antwortet Pit, ebenfalls ein Teamer: »Generell natürlich darauf, dass nach Corona endlich wieder Veranstaltungen anstehen anstehen. Ich persönlich freue mich jetzt grad am meisten auf das Wochenende im Jump-House im Januar: Wenn man da 'ne schöne Truppe zusammenkriegt, wird das natürlich Action pur.«
Zum wieder aufgenommenen Regelbetrieb gehört aber ebenso eine große Freizeit, bei der es für eine Woche an die Ostsee gehen soll. »Da können wir dann eine richtig schöne Sommerwoche verbringen und auch unsere Freikörperkultur wieder ausleben«, lacht Franziska.
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Info: fkk-jugend Nord
www.fkk-jugend.de/landesverbaende/lv-nord/
Ansprechpartner: Carsten Schulze | carsten.schulze@ nord.fkk-jugend.de