Von Jara Hamdorf, Hamburg
Beim Jugendverband des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASJ) wird das geübt, was viele nur dunkel vom Ersten Hilfe Kurs für den Führerschein erinnern. Beim Ortsverband Nordost lernen Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren alles rund um Erste Hilfe und Sanitätsarbeit – und stärken darüber hinaus Demokratie, Zivilcourage und Toleranz.
Rasselbande. So nennt sich die lokale Jugendgruppe des ASJ, die sich im Stadtteil Marienthal trifft. Für heute stehen Fallbeispiele auf dem Programm. Ein Dutzend Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren spielen Situationen nach, in denen Erste Hilfe geleistet werden muss.
Nele und Luis, die beide gerade den Rettungssanitätslehrgang machen, sind als erste dran, die beiden haben bereits ihr FSJ beim ASB gemacht. Leon, der die Rasselband mitleitet, erklärt die Situation: An einem Sommertag ist ein Teilnehmer des Halbmarathons umgekippt, ein Freund ist noch bei ihm. Die beiden beginnen den Patienten zu untersuchen und befragen ihn und ebenso seinen Freund. Nach gemeinsamer Absprache messen sie den Blutdruck, kleben ein EKG, legen einen Medikamentenzugang für Glukose und telefonieren mit dem Rettungsdienst, den ein anderer Jugendlicher spielt. So wird gemeinsam geübt, was im Ernstfall zu tun wäre.
»Wie fühlt ihr euch?«, werden die beiden danach gefragt. Luis reflektiert: »Die Erstdiagnostik lief gut, aber hat zu lange gedauert.« Nele sagt, dass sie sich mit der Glukose unsicher gefühlt habe, Leon erklärt nochmal für alle, wie man einen Zugang richtig legt. Danach können die anderen noch Fragen stellen.
Auf diese Weise lernen die Jugendlichen mit Spiel und Spaß, wie man Erste Hilfe leistet, und werden schon früh auf spätere Einsatzdienste vorbereitet. Für diese ist die Einsatzabteilung des ASB zuständig. Wer unter 18 ist, kann jedoch als Praktikant*in auf Dienste mitkommen und Kurse besuchen.
Die Rasselbande ist in diesem Frühjahr aus der Einsatzabteilung entstanden, hier kommen die Jugendlichen mindestens einmal im Monat zusammen: Die hauptsächlichen Aktivitäten der ASJ bestehen darin, Einsätze zu üben und zum Beispiel sich auch mal die Noteinsatzfahrzeuge anzuschauen. Freizeitaktivitäten wie Koch- und Backabende oder gemeinsame Ausflüge gehören jedoch auf jeden Fall ebenso dazu und fördern das, was für den Jugendverband zentral ist – Gemeinschaft.
Rückblick. Der Arbeiter-Samariter-Bund entstand im ausgehenden 19. Jahrhundert, als schwere Industrieunfälle für Arbeiter*innen Alltag waren, und es keinen umfassenden Arbeitsschutz gab. Beim Roten Kreuz, das damals kaisertreu ausgerichtet war, konnten sozialdemokratische Arbeiter*innen keinen Fuß fassen. Sie wurden vor die Alternative gestellt, ihre politische Gesinnung zu leugnen oder auszutreten. Daher griffen Arbeiter*innen und Handwerker*innen zur Selbsthilfe und gründeten erste Arbeiter-Samariterkolonnen – in Hamburg im Jahre 1907. Zwei Jahre später schlossen sich elf lokale Arbeiter-Samariter-Kolonnen zum Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) zusammen; die Gründung der Jugendabteilung folgte Mitte der zwanziger Jahre in der Weimarer Zeit. Nachdem der ASB in der NS-Zeit verboten wurde, gründete er sich 1949 wieder und entwickelte sich zur breit aufgestellten Hilfs- und Wohlfahrtsorganisation. Das Spektrum der Hamburger Organisation reicht neben der Sanitätsarbeit von Pflege und Seniorentreffs über Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit bis hin zu Hilfen für Geflüchtete.
»Das Wort Arbeiter in unserem Namen passt aber nach wie vor gut«, findet Nicole, die im Vorstand für die Jugendarbeit zuständig ist, »es ist eine sehr bodenständige Arbeit.« Und die greift, meist unbemerkt in der Öffentlichkeit, an vielen Orten. Großveranstaltungen wie Konzerte und Fußballspiele wären ohne Organisationen wie den ASB gar nicht möglich. »Sanitätsdienste wie unserer ermöglichen kulturelle Teilhabe für die gesamte Bevölkerung, ohne ehrenamtliche Arbeit wären Kulturveranstaltungen für den Großteil viel zu teuer und so gar nicht zugänglich«, meint Friederike, Landesjugendreferentin beim ASB. »Diejenigen, die diese ehrenamtliche Arbeit leisten, sagen im Grunde: Ich übernehme den Dienst dafür, dass andere hier sicher sind.« Jugendliche, die bei der ASJ aktiv sind, lernen das so zu schätzen. »Da geht’s auch um Zivilcourage, das ist geschichtlich immer grundlegend für unseren Verband gewesen«, stellt Nicole fest.
Nächste Übung. Weiter geht’s mit dem zweiten Fall: Diesmal ist ein Arbeiter vom Gerüst gefallen und jetzt bewusstlos. Diesmal sind Lea und Nele die Sanitäterinnen und checken zunächst die Atmung. Dann rufen sie den Rettungsdienst – das Telefonat wird in dem Zuge auch geübt. Die anderen Jugendlichen aus der Rasselbande gucken gebannt zu. Lea und Nele bringen den Patienten in die stabile Seitenlage, prüfen die Sauerstoffsättigung und messen den Blutdruck – und das ziemlich professionell. In der Feedbackrunde sagt Lea, dass sie sich überfordert gefühlt hat. Die ausgebildeten Sanitäter*innen loben sie aber: »Ihr habt gut zusammengearbeitet«. Richtige Kommunikation und Zusammenarbeit im Team sind grundlegend für gute Sanitätsarbeit. »Das ist auch was Gemeinschaftliches, sowas verbindet untereinander«, sagt Nicole, die seit Jahren beim ASB aktiv ist. Auf die Frage, ab wann man Sauerstoff gibt, antwortet Lea, dass es von Patienten zu Patienten unterschiedlich sei. »Das ist sowieso immer die richtige Antwort – alles hängt vom Patienten ab«, sagt einer der Jugendlichen – und alle lachen.
Wege. Wie kommen Jugendliche dazu, sich mit Sanitätsdiensten zu beschäftigen? »Viele werden durch den Schulsanitätsdienst auf die ASJ aufmerksam«, erklärt Lea, die die Rasselbande mitleitet. Den Sanitätsdienst gibt es mittlerweile an 18 Hamburger Schulen als AG nach dem regulären Unterricht, ab 14 Jahren lernen dort Schüler*innen alles rund um Erste Hilfe. Die meisten Jugendlichen in der Rasselbande haben vorher einen Schulsanitätsdienst gemacht, so ist die Notwendigkeit nach einer eigenständigen Jugendgruppe gewachsen. »Generell haben die meisten ein großes Interesse an Medizin«, sagt Lea. Dem können sie bei der ASJ schon im jungen Alter nachgehen. »Die Mitbestimmung von Jugendlichen ist super wichtig für unsere Arbeit«, meint Nicole. »Die ASJ ist ein sozialer Verein. Wir wollen durch unsere Arbeit auch Demokratie fördern.« Obwohl es vor Ort in Marienthal noch keinen eigenen Jugendvorstand gibt, arbeitet die Gruppe eigenständig. »Wir haben ein eigenes Budget, und unsere Treffen sind unabhängig von den Erwachsenen«, erklärt Lea. »Der Bedarf für eine Jugendarbeit wächst auch weiterhin, wir planen eine eigene Gruppe für die 12- bis 15-Jährigen.«
Über Hamburg hinaus kommen die Jugendlichen der ASJ bei den jährlichen Sommercamps mit jungen Samariter*innen aus anderen Ländern zusammen. Die Camps sollen europäische Werte stärken, erklärt Friederike. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf Medienthemen wie Fake News, Desinformation und Propaganda im Netz. Zu verschiedenen Workshops kamen 22 junge Erwachsene aus Litauen, Lettland, der Slowakei, Bosnien & Herzegowina und Deutschland zum ASJ Sommercamp nach Lüneburg. »Toleranz zu stärken, ist sehr wichtig für uns«, stellt Friederike fest. Das zeigt sich in den Bestrebungen der ASJ, internationale Beziehungen auszubauen. Das nächste Sommercamp soll in einem der zuletzt beteiligten Länder stattfinden.
Schluss und weiter. Um 21 Uhr ist offiziell Ende. Doch nach einer kurzen Umfrage in der Runde steht fest, dass alle noch weitermachen wollen. Gestärkt durch ein paar Snacks und Getränken wird weiter geübt. Der Abend zeigt deutlich: Ehrenamt und Erste Hilfe bringen Spaß und sind vor allem eins: Gemeinsame Sache.
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Info: Arbeiter-Samariter-Jugend
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ASJ Hamburg-Nordost | Schimmelmannstr. 123, 22043 Hamburg | asj-nordost@ asb-hamburg.de
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(Photos: Arbeiter-Samariter-Jugend)