Von Destina Üçdemir, LJR-Vorsitzende
Die meisten Menschen machen sich seit Monaten Gedanken darüber, wie sie die steigenden Kosten der Lebenshaltung bewältigen sollen. Viele müssen sparen und versuchen Rücklagen beiseite zu legen, um mit Blick auf Inflation und Nachzahlungen bei den Energiekosten über die Runden zu kommen. Es gab und gibt diverse Entlastungspakete, zuletzt beschloss der Bundestag eine Gas- und Strompreisbremse. Wie gut diese Maßnahme helfen kann, muss sich erst noch erweisen. Was gut geholfen hatte und insbesondere bei jungen Menschen Anklang fand, war das 9-Euro-Ticket für ÖPNV und Regionalverkehr. Leider nur für drei Monate, danach war alles wieder beim Alten, und das angekündigte Nachfolgeticket für 49-Euro verzögert sich weiter. Immerhin gab es das bundesweite Aktionsprogramm »Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche«, doch dieses lief 2022 aus. Daher ist zu fragen, ob Sorgen und Nöte von Kindern und jungen Menschen angesichts der aktuellen Krisen von Inflation und Energieverteuerung wieder erst zu spät in den Fokus der Politik genommen werden.
Die politischen Akteure debattieren intensiv über die Bewältigung der aktuellen Krisen und haben dabei viele gesellschaftliche Gruppen im Blick – doch nur unzureichend Kinder und Jugendliche. So wird in der Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrates erneut angemahnt, »Kinder und junge Menschen in gesellschaftlichen Krisen nicht alleinzulassen« und betont: »Während der COVID-19-Pandemie wurde nicht hinreichend gewürdigt, welchen psychischen Belastungen [Kinder und junge Menschen] durch die Pandemie selbst sowie durch die zu ihrer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen ausgesetzt waren. Der jungen Generation wurde große Solidarität abverlangt« (siehe hier). Die Empfehlung des Ethikrates mündet zunächst in die konkrete Forderung, »bestehende Versorgungsdefizite in der ärztlichen … Diagnostik und Behandlung für Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen« zu beheben. Und allgemeiner wird gefordert, deren »Anliegen ernst zu nehmen, Formen altersgemäßer Partizipation bei der Krisenbewältigung zu ermöglichen und junge Menschen selbst anzuhören.«
Wie angemessene Partizipationsformen für junge Menschen aussehen könnten, ist Gegenstand des Titelthemas in diesem Heft. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat dazu selbst eine Handlungsempfehlung herausgegeben. Das ist schön und gut. Und besser wäre, angesichts der aktuellen Krisen diesen Worten auch Taten folgen zu lassen.
Die Jugendverbände gehören zu einem wichtigen Akteur im Leben junger Menschen und unterstützen deren Entwicklung. Diese Verbände üben nicht nur soziale und politische Bildung aus, sondern sorgen auch dafür, dass Kinder und Jugendliche ihre freie Zeit selbstbestimmt gestalten und etwas auf eigene Faust unternehmen können. Diese Unternehmungen reichen von Ausflügen und Veranstaltungen bis hin zu Ferienfreizeiten und bieten jungen Menschen Erlebnisse, welche sie ohne die Verbände wahrscheinlich so nicht erleben würden. Die Coronakrise hatte schon dafür gesorgt, dass weniger Unternehmungen in den Jugendverbänden durchgeführt werden konnten und etwa Ferienfreizeiten abgesagt werden mussten. Zwar haben die Hamburger Jugendverbände seither insoweit »aufgeholt«, als dass die Ausbildungszahlen von Jugendleiter*innen wieder das Niveau der Vor-Coronajahre erreicht haben (siehe hier), doch die neuen Krisenwellen stellen sie vor neue Herausforderungen. Die allgemeinen Preissteigerungen drohen die Aktivitäten der Jugendverbände in Hamburg zu beschränken. Die Bugwelle der Strom- und Heizkosten kann derzeit noch nicht einmal beziffert werden, und mit Blick auf geplante Ferienfreizeiten ist davon auszugehen, dass auch die Kosten für Reise und Unterkünfte erheblich steigen werden. Das alles sollen Jugendverbände mit einem nicht wachsenden Etat buckeln. Dass dieser in der Tat nicht wächst, wurde gerade durch die Bügerschaftsbeschlüsse zum Doppelhaushalt der Stadt Hamburg für die Jahre 2023/24 festgezurrt. Der Etat für die Ausgaben im Bereich der Jugendverbandsarbeit im Landesförderplan »Familie und Jugend« wurde »überrollt«. Vage gibt es die Auskunft behördlicherseits, dass wachsende Energiekosten »abrechnungsfähig« seien. Doch was nützt dies, wenn diese Mehrkosten dann den Etat für Seminare, Freizeiten oder der Beihilfen für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien verkleinern? – Zurück zur Partizipationsfrage: Wo es nichts »kostet«, werden gern von der Politik Partiziptionsrunden veranstaltet – zu Themen wie »Europa und Jugend« oder »Bildung für nachhaltige Entwicklung« usw., doch der Fall liegt anders bei den unmittelbaren Sorgen junger Menschen. Wie lautete dagegen noch einmal die Empfehlung des Ethikrates? »Insgesamt muss sichergestellt werden, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in gesellschaftlichen Krisen mit allen Kräften geschützt werden. Dazu gehört auch, ihre Anliegen ernst zu nehmen, Formen altersgemäßer Partizipation bei der Krisenbewältigung zu ermöglichen und junge Menschen selbst anzuhören.« Damit wäre dann wohl mal anzufangen. Und nicht erst, wie zuletzt in den Anfangsjahren der Corona-Pandemie, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist …