Von Hanna Lubcke, Hamburg
»Endlich wieder gemeinsam draußen!« Thoya vom Internationalen Jugendverein Hamburg begrüßt rund 50 junge Menschen auf einer großen Dachterrasse, auf der sie sich an einem sonnigen Nachmittag im Mai zum gemeinsamen Grillen zusammengefunden haben. Die letzten Wochen haben sie gemeinsam einiges auf die Beine gestellt – vor allem rund um den 1. Mai. »Heute wollen wir zusammenkommen, gemeinsam die letzten Wochen bewerten und den Sommer einleiten!«
Ausklang einer heißen Phase. Der Grillabend ist der Ausklang rund um die Aktivitäten zum 1. Mai. Der Internationale Jugendverein Hamburg hat sich 2016 gegründet, und aus dem Selbstverständnis geht hervor, warum der Tag der Arbeit dem Verein wichtig ist: »Ob in der Ausbildung oder nicht – junge Menschen arbeiten oft im Niedriglohnsektor, in dem wir verschärft von Ausbeutung betroffen sind. In der Krise sind wir diejenigen, die als erstes entlassen werden. Zudem bereichern viele von uns die Betriebe mit unbezahlten Praktika«, erklärt Kaja, die im Vorstand des Vereins aktiv ist. Als junge Menschen müssen wir uns gemeinsam für unsere Rechte stark machen, und zwar in Betrieben, Schulen und Unis und in Zusammenarbeit mit Interessensvertretungen wie den Gewerkschaften. »Darum gehen wir am 1. Mai auch jedes Jahr auf die Straße. Weil die Perspektive von jungen Menschen wichtig ist, und wir unsere Forderungen auf die Straße tragen müssen. Dieses Jahr hätten sich alle gefreut, dass die große Gewerkschaftsdemo wieder stattfand.« Im Vordergrund des diesjährigen 1. Mai standen für den Internationalen Jugendverein auch die Pandemie und ihre Auswirkungen auf junge Menschen, deren Lage sich dadurch noch einmal verschlechtert habe. In den Schulen ist die mangelnde digitale Ausstattung spürbar geworden, während der Online-Lehre kamen viele junge Menschen nicht mehr mit. Die Bildungsungleichheit, die auch den Grundstein für spätere Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt legt, ist dadurch verschärft worden. Aber auch in der Arbeitswelt sind Auszubildende und junge Arbeitende betroffen. Die Ausbildung leidet an vielen Stellen – und Jugendliche, die in prekären Beschäftigungen wie Minijobs tätig sind, sind häufig gekündigt geworden. Für Studierende ist die Lage finanziell durch den Wegfall vieler Jobs schwierig, zudem steigt der Lerndruck, um verpasste Einheiten nachzuholen. Die zusätzliche Belastung der letzten zwei Jahre belegen Studien zu Wohlbefinden und psychischer Verfassung junger Menschen. Für diese Belastung sei nicht nur die notwendige soziale Distanzierung verantwortlich – »sondern auch der zusätzliche soziale Druck«, sagt Kaja.
Lautschrift. Rund um den Tag der Arbeit hat der Internationale Jugendverein einiges auf die Beine gestellt. Sie haben eine Ausgabe ihrer zweimonatig erscheinenden Vereinszeitschrift, der Lautschrift, zum Thema Arbeiterjugend herausgebracht. Darin wird beleuchtet, was es bedeutet, in Deutschland 2022 Teil der Arbeiterjugend zu sein, wenn sich die Eltern keine teure Nachhilfe leisten können, man in der Ausbildung für wenig Geld ausbildungsfremde Tätigkeiten leisten muss oder man neben dem Studium arbeiten muss, um sich die Bildung überhaupt leisten zu können. Die Artikel werden von den Mitgliedern des Vereins selbst geschrieben. Auch an diesem Grillabend wird lebhaft diskutiert. Wer noch keine der druckfrischen Zeitschriften hat, bekommt hier eine. Auch das Layout übernehmen die Mitglieder selbst, die Verteilung des Magazins wird über die Stadtteilgruppen geregelt. »Das ist Teil unserer politischen Bildungsarbeit«, erklärt Thoya, »nicht nur das Lesen sondern auch das Schreiben und gemeinsame Diskutieren«. Die Titelthemen orientieren sich an aktuellen Ereignissen oder Themen, die für Jugendliche gerade wichtig sind. Die letzten drei Ausgaben waren zu den Themen Kultur, Rassismus und Krieg.
Aber auch jenseits der Arbeit an der Zeitschrift hat sich der Verein gemeinsam auf den 1. Mai vorbereitet. Ihnen ist es wichtig, nach außen zu treten mit ihrer Arbeit, seien es kulturelle Events, politische Bildungsveranstaltungen oder Freizeit-aktivitäten. Zur Gewerkschaftsdemonstration am 1. Mai sowie zu dem heutigen Grillabend wurde breit eingeladen: »Wir haben Flyer vor Berufsschulen und Schulen verteilt und auf unseren Social-Media-Kanälen dazu eingeladen«. Die direkte Ansprache sei wichtig, um mehr Jugendliche auf Aktivitäten des Vereins aufmerksam zu machen: »Entweder wir gehen direkt vor die Schulen, treten auf Jugendhäuser zu, oder wir machen Stände an Orten, wo viele Jugendliche unterwegs sind«, erklärt Kaja. Für sie sei genau das an Jugendarbeit wichtig, dass sie für alle offen ist und Jugendliche mit unterschiedlichsten Hintergründen anspricht.
Der Grill ist mittlerweile bereit und das Buffet fertig vorbereitet. Die Mitglieder haben einiges zusammengetragen, Salate, Grillgemüse, Würstchen und mehr. Auf einem Infotisch liegt die neueste Lautschrift, aber auch Infomaterial zu den kommenden Veranstaltungen – nicht nur für die Gäste, sondern auch zum Mitnehmen und Weiterverbreiten. Der Internationale Jugendverein ist in verschiedenen Stadtteilen mit Gruppen vertreten, zudem gibt es Schüler-, Auszubildenden- und Studierenden-AGs. »Wir versuchen immer, unsere Bildungsarbeit und unsere inhaltlichen Forderungen aus der Lebensrealität zu schöpfen. Die Probleme von Jugendlichen sind vielfältig und äußern sich an den verschiedenen Orten, wo sie sich aufhalten, ganz unterschiedlich«, erläutert Thoya. »Dadurch, dass wir direkt im Alltag unsere Aktivität planen, können wir auf die Interessen junger Menschen besser eingehen.« Das sei fruchtbar für die Vereinsarbeit. Aus allen Gruppen gibt es Vorschläge: für Themen in der Lautschrift oder für spannende Veranstaltungen. »Zum Beispiel haben wir an der Uni im April gemeinsam mit anderen Gruppen das Theaterstück ›Die Gastarbeitermonologe‹ auf die Bühne gebracht, wo über 100 Menschen gekommen sind und sich mit der Geschichte vom Gastarbeiterabkommen beschäftigt haben. Und genau solche Veranstaltungen zeigen, dass man Themen wie Rassismus und Migration auch in einer kulturellen Veranstaltung beleuchten und darüber aufklären kann. Je nach Umgebung können wir unsere Inhalte gut anpassen an die Interessen und Bedürfnisse«, erklärt Kaja.
Heute hier, morgen dort. Der Grillabend ist jetzt in vollem Gange. Der Internationale Jugendverein trifft sich öfter in den Räumen vom Arbeiter- und Jugendverein Hamburg (DIDF) am Berliner Tor, da er selbst noch ohne eigenen Standort ist. »Der Treffpunkt der DIDF ist gut erreichbar, und die Dachterrasse ist im Sommer natürlich richtig nice,« sagt Thoya. Entweder hier am Berliner Tor oder auch in den Räumlichkeiten der Falken in Ottensen würden sie sich treffen. Dabei müssen sie immer schauen, dass die Betreiber keine eigenen Veranstaltungen machen, und so Lücken finden. Obwohl viele der Aktivitäten auf der Straße, bei Aktionen und Infoständen oder in anderen Veranstaltungsräumen stattfinden, bräuchte man eben perspektivisch eigene Räumlichkeiten. »Engagement braucht Raum«, stellt Thoya klar. »Doch als noch junger Verein können wir das nicht allein finanzieren. Wir sind dafür auf Unterstützung angewiesen, haben aber das Ziel, selbst Räumlichkeiten zu eröffnen, wo dann sowas wie hier heute stattfinden kann.«
In ihrer Ansprache ist Thoya darauf eingegangen, was in den nächsten Monaten ansteht, und jetzt wird schon beim Essen über die Planung diskutiert. Neben der nächsten Ausgabe der Zeitschrift will der Verein ein Jugendkulturfest organisieren, um die Folgen der Pandemie ein bisschen abzuschütteln und wieder mit vielen Menschen zusammenzukommen. Ebenso werden für die anstehende Sommerfreizeit 2022 in Österreich Anmeldungen eingesammelt. »Wir sind auf jeden Fall alle richtig hyped auf einen Sommer, in dem die Corona-Zahlen wieder fallen, und wir wieder entspannter arbeiten können«, erklärt Julius aus der Schülergruppe, während er sich am Buffet bedient. Das Grillen geht noch bis in den Abend hinein weiter. Man merkt, dass alle sich freuen, wieder mit mehr Menschen entspannte Freizeit zu verbringen – und dass der Sommer jetzt richtig losgehen kann.
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Info
Internationaler Jugendverein Hamburg e.V.
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