Von Charlotte Schindler, Landesjugendring Hamburg
»Was ist das denn?«, fragt Vince, acht Jahre alt, während er die Ausstellungsstücke in einer Vitrine im Schulungsraum des Technischen Hilfswerks (THW) Hamburg-Bergedorf bestaunt und deutet auf eine Atemschutzmaske aus den 50er Jahren. Er ist heute das erste Mal dabei beim Treffen der »Minis«, das jeden zweiten Dienstagnachmittag auf dem Gelände in Wentorf bei Hamburg stattfindet. Während Vince und seine Mutter eine Führung durch das Gebäude erhalten, spielen die anderen fünf draußen Ball. Vince kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und findet vor allem das seltene THW-Playmobilset in einer der Vitrinen spannend. »Das habe ich auch!«, ruft er begeistert. Nach der Runde durch das Haus wird er von Thomas und Beate, den beiden Ortsjugendbeauftragten, der Gruppe vorgestellt.
(Alle Fotos: © C. Schindler, LJR)
Erst das zweite Treffen. Die Corona-Pandemie hat auch bei der THW-Jugend und den Minis die Jahresplanung heftig durcheinandergewirbelt. Es konnten erstmal keine Treffen mehr stattfinden. Auch das jährliche Pfingstlager und die anderen geplanten Veranstaltungen mussten abgesagt werden. Doch heute findet das zweite Treffen seit dem Lockdown statt. Die Kids scheinen froh zu sein, dass sie sich wieder treffen können – trotz Abstand. Bevor es weitergeht, zeigen sie Vince erstmal ihren Parcours, der auf dem Gelände im angrenzenden Waldstück liegt. Sie haben den Parcours selbst nach ihren eigenen Vorstellungen geplant und gebaut und beispielsweise alte Autoreifen in die Erde gebuddelt. Bevor die Gruppenstunde richtig beginnt, können sie nochmal ihr Gleichgewicht und Geschick austesten.
Langjährige Erfahrung weitergeben. Auch Thomas Sohn, der zehnjährige Jaron, ist heute dabei. Er hatte erst Geburtstag und ist von den Minis zur Jugendgruppe gewechselt. »Ein fließender Übergang«, wie Thomas betont, und das ist der Grund, warum Jaron noch bei den Minis dabei sein darf. Besonders stolz ist er auf seine THW-Kleidung, die er auch mal anzieht, wenn er beim Bäcker Brötchen holen geht. Die Faszination für das THW liegt ihm im Blut; auch seine große Schwester war in der THW-Jugend. Die Eltern der Geschwister Jordis und Jeldrick sind beide ebenfalls sehr engagiert beim THW, weshalb Jordis, die fünf Jahre alt ist, schon bei den Minis reinschnuppern darf. Jeldrick ist sieben Jahre alt und quasi schon Profi. Auch die Minis haben Jacken, Hosen, T-Shirts und Basecaps im THW-typischen Blau.
Mit ungefähr 15 Jahren wurde Thomas bei der THW-Jugend aktiv und hat in seinen nun 37 Jahren als Helfer im Bergungszug und der Fachgruppe Wasserschadenpumpen schon viele Erfahrungen im In- und Ausland gesammelt. Dass er die Minis übernimmt, hatte sich eher spontan in den Ferien 2014 ergeben, nachdem die vorherige Ortsjugendbeauftragte aufgrund eines Umzugs überraschend aufhören musste. Doch der ausgebildete Ortsjugendbetreuer bereut seine Entscheidung, die Minis übernommen zu haben, nicht. Beate kam kurze Zeit später ins Team dazu und ist seit fast fünf Jahren als Ortsjugendbeauftragte dabei. Dass sie begeistert ist von ihrem Ehrenamt, sieht man der Erzieherin, deren erwachsene Tochter auch beim THW aktiv ist, sofort an.
Engagement von klein auf. Die Idee der »Minis« ist 2013 in einem Pilotprojekt entstanden und die Bergedorfer waren die ersten in Hamburg, die mit drei Kindern eine eigene Gruppe für sechs bis neun Jahre alte Kinder gründeten. So können auch schon die Kleinen schauen, ob sie sich später bei der THW-Jugend engagieren wollen und werden ganz sanft an die verschiedenen Themen und vielfältigen Aufgabenbereiche herangeführt.
Das THW hat fast 700 Einsatzstellen in ganz Deutschland und ist als Bundesanstalt dem Bundesinnenministerium unterstellt. Die THW-Jugend hingegen ist ein gemeinnütziger Verein, der 1984 in Ahrweiler gegründet wurde – trotzdem arbeitet man selbstverständlich zusammen. Bei der THW-Jugend kann sich engagieren, wer zwischen sechs und 18 Jahren alt ist. Es gibt in ganz Deutschland ca. 655 Kinder- und Jugendgruppen in den Ortsverbänden, die sich zum Motto »Spielend Helfen lernen« treffen.
Auf dem Gelände der 40 Jahre alten Dienststelle in Wentorf befindet sich neben einem großen Gebäude, das über eine Teeküche, zwei Schulungsräume, eine Großküche, einer Werkstatt, Umkleiden, der Schirmmeisterei und einem gemütlichen Aufenthaltsraum verfügt, zudem eine Halle für Autos und Werkzeuge sowie ein kleines Häuschen für Übungen. Jede THW-angehörige Person hat einen eigenen Spint und muss sich beim Betreten des Geländes auf einer Tafel im Eingangsbereich mit einer personalisierten Karte eintragen. Dies hat den praktischen Grund, dass so schnell überschaubar ist, wer sich gerade im Dienst oder im Einsatz befindet.
Da das Gelände so groß und am Waldrand gelegen ist, wird das THW Bergedorf bald mehrere Bienenvölker eines ortsansässigen Imkers beherbergen. Die Kinder und Jugendlichen sollen so auch etwas übers Imkern lernen.
Für alles gerüstet. Nach diesem Motto ist die Wagenhalle mit den verschiedenen Einsatzfahrzeugen und Werkzeugen ausgestattet. Autos bestaunen gehört für die Minis einfach dazu. Die Größe der Fahrzeuge ist eindrucksvoll. Thomas testet das Wissen der »alten Hasen« und Bruno und Johan, beide acht Jahre alt, können viele der Fragen wie aus der Pistole geschossen beantworten. Bruno erzählt beim Betreten der Halle, dass er schon funken durfte. Ein Ereignis, das er so schnell nicht vergessen wird. Und auch bei den Fragen zu den verschiedenen Fahrzeugtypen beeindrucken die Kids mit ihrem Wissen. Wofür die Abkürzung MTW steht? Einer ruft sofort: »Mannschaftstransportwagen!« Auch bei den anderen Fahrzeugen wissen sie Bescheid. WP steht für die Fachgruppe Wasserschaden/Pumpen – ist doch klar! Vor allem bei einer der Pumpen kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie kann bis zu 15.000 Liter pro Minute pumpen und kommt beispielsweise bei Sturmfluten zum Einsatz. Thomas stellt einen Vergleich auf – in 1 Minute wären mit dieser Pumpe ca. 200 Badewannen gefüllt – und verknüpft so Wissen mit anschaulichen Beispielen.
Der THW-Jugend wird immer wieder nachgesagt, dass sie mehr Nachwuchsförderung als Jugendverbandsarbeit betreiben würde. Trifft das zu? Beate zeigt mir ganz viele Fotos von Ausflügen und Dingen, die die Jugendgruppe und Minis zusammen erleben – also doch klassische Jugendverbandsarbeit. So treffen sich zum Beispiel bei »THW on Ice« 300 bis 400 Kinder und Jugendliche aus ganz Norddeutschland und verbringen einen Tag zusammen ausgelassen auf dem Eis oder toben sich an einem Tag im »Hansapark in Blau« aus. Mit dem Jugendrotkreuz war man gemeinsam im Kletterwald, und die Bergedorfer Gruppe macht Ausflüge wie zum Beispiel der Besuch des Museums der Illusionen und veranstaltet Zeltlager. Manchmal spielen sie auch einfach Fußball oder Tischkicker. In der Großküche hat die THW-Jugend auch schon die Bergungsgruppen nach einem Einsatz bekocht – ihre eigene Idee, die sie sofort in die Tat umgesetzt haben. Die Minis haben neben ihrem Parcours noch ein weiteres Projekt und bauen an einem übergroßen Malefiz-Spiel.
Ganz praktisch ist die nächste Übung der sechs Kids. Thomas zeigt ihnen wie man einen Nagel in ein Stück Holz hämmert. Dabei geht er auch auf die richtige Technik, den geeigneten Hammer und dessen Handhabung ein. Jeder holt sich ein Stück Holz, und los geht das wilde Hämmern. Sie scheinen sehr viel Spaß an der Sache zu haben. Jordis hat – als einziges Mädchen in der Runde – den Dreh sehr schnell raus und als Erste einen Nagel ins Holz gehämmert. Gleichberechtigung wird im THW vorgelebt. So werden die Gruppen immer paarig von einer Frau und einem Mann als Zweierteam geleitet.
Kurze Zeit später ist auch der Rest der Truppe erfolgreich und vor allem stolz. Es sind die kleinen Dinge und Lernfortschritte, die man bei den Minis sofort sehen kann, die Thomas motivieren. Die Freude ist ihm ins Gesicht geschrieben.
Ohne Teamarbeit geht nichts. Auf die Frage, warum er bei den Treffen der Minis dabei ist, antwortet Bruno, dass er wegen seines Schulfreundes Jeldrick mitkam und dann so viel Spaß hatte, dass er wiederkommen wollte. Jeldrick ist sich der Aufgaben des THW überaus bewusst und antwortet sehr erwachsen: »Damit ich später auch mal Menschenleben retten kann!« Dies wird in der nächsten Übung mit einem Erdnagel deutlich, als Thomas erzählt, dass dieser beispielsweise bei der Errichtung eines Mehrzweckzuges zum Lastentransport eingesetzt wird. Diese kommen zum Beispiel nach Unwettern, Erdbeben oder Explosionen zum Einsatz. Thomas spricht die Explosionskatastrophe in Beirut an, bei der das THW eingesetzt war. Kurz wird die Stimmung etwas ernster, doch Thomas lockert sie sofort wieder auf, in dem er deutlich macht, dass man vor allem im Team arbeiten muss, um erfolgreich zu sein und Leben retten zu können. Das wird allen beim Versuch, den Erdnagel in die Erde zu hämmern, mehr als deutlich. Denn das haben sie nur gemeinsam als Team geschafft.
Am Ende heißt es nochmal Antreten, und die sechs Minis stellen sich in einer Reihe auf. Thomas‘ und Beates Verabschiedung mit Hinweisen auf die nächsten Treffen ist herzlich und weckt Vorfreude. Und diese Vorfreude hat angesteckt – genau wie die Erlebnisse der Gruppenstunde eindrucksvoll waren. Die Minis scheinen in Zukunft ein neues Mitglied zu haben: Neuling Vince wird beim nächsten Treffen mit Sicherheit dabei sein.
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THW-Jugend, Ortsverband Hamburg-Bergedorf
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Jeden dritten Samstag im Monat: 9 bis 13 h
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Info: THW-Jugend | Ortsverband Hamburg-Bergedorf | Sollredder 10 | 21465 Wentorf | www.thw-bergedorf.de/?menu_id=26
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