Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2015, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Kinderarmut bekämpfen!

Gemeinsame Erklärung der Veranstalter Rauhes Haus und Deutsches Kinderhilfswerk sowie der Teilnehmer/innen des Fachkongresses am 12. und 13. November in Hamburg

Die aktuelle Shell Jugendstudie zeigt deutlich einen steigenden Optimismus der Kinder und Jugendlichen in Deutschland, jedoch gleichzeitig, dass diese Zuversicht bei Kindern und Jugendlichen aus armen Verhältnissen stagniert. Damit setzt sich ein Trend weiter fort, der auf Dauer verhängnisvoll für unsere Gesellschaft ist. Wir dürfen es nicht zulassen, dass der Geldbeutel der Eltern über die Zukunftschancen von Kindern in Deutschland entscheidet. Nach Berechnungen des Deutschen Kinderhilfswerkes leben 2,8 Millionen Kinder in Deutschland in Armut und werden in Bezug auf ihre gesellschaftlichen Zukunftsperspektiven abgehängt. Eine im letzten Jahr vom Deutschen Kinderhilfswerk veröffentlichte repräsentative Umfrage hat ergeben, dass 72 Prozent der Bundesbürger der Ansicht sind, staatliche und gesellschaftliche Verantwortungsträger würden »eher wenig« oder »sehr wenig« tun, um Kinderarmut wirkungsvoll entgegenzutreten. Dabei kommt eine große, die Parteigrenzen überschreitende Mehrheit zu der Aussage, Staat und Gesellschaft engagierten sich zu wenig gegen Kinderarmut. Zugleich wären 66 Prozent der Befragten bereit, mehr Steuern zu bezahlen, wenn damit das Problem der Kinderarmut in Deutschland wirksam bekämpft würde.

Deshalb haben sich die Teilnehmenden der vom Rauhen Haus und Deutschen Kinderhilfswerk veranstalteten Jahrestagung Kinderarmut in Deutschland auf einen Forderungskatalog zur Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland verständigt, der folgende Kernpunkte beinhaltet :

1. Notwendig sind ein Nationales Programm zur Bekämpfung von Kinderarmut in Deutschland und ein eigenständiger Bericht der Bundesregierung zur Kinderarmut. Die Bundesregierung soll dazu gemeinsam mit Ländern und Kommunen ein umfangreiches Maßnahmen-paket mit konkreten Zielvorgaben vorlegen, mit dem der Kinderarmut wirkungsvoll begegnet werden kann. Insbesondere in Kommunen sind Programme zu entwickeln, mit denen die kommunalspezifischen Gründe für Kinderarmut aktiv angegangen werden können. So wie die unterschiedlichen Lebenslagen ineinander greifen, muss auch die politische Strategie aufgestellt sein, Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik müssen beispielsweise als wichtige Dimensionen erkannt werden, um der Kinderarmut wirkungsvoll zu begegnen. Die unterschiedlichen Handlungsfelder sind zu einer Gesamtstrategie zusammenzufügen. Dies setzt eine integrative Vernetzung der Hilfen und Akteure in den Lebensräumen der Kinder voraus.

2. Notwendig ist die Einführung einer bedarfsgerechten Kindergrundsicherung. Diese soll den allgemeinen und individuellen Bedarfen von Kindern Rechnung tragen und den bestmöglichen Zugang zu Bildung, Freizeit und gesunder Ernährung beinhalten.

3. Notwendig ist die Schaffung gezielter Mitbestimmungs- und Mitwirkungschancen von Kindern und Jugendlichen sowie qualifizierte Begleitung bei ihrer Mitwirkung in Kommune, Schule und Kita. Dazu müssen auch interkulturelle, integrativ-pädagogische bzw. niederschwellige Beteiligungsangebote zählen, die Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten ansprechen. Ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben stellt ein wichtiges Element dar, mit dem sie ihren spezifischen Interessen und Bedürfnissen Ausdruck verleihen können.

4. Notwendig sind verstärkte Anstrengungen die Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem zu bekämpfen. Dazu sind ein durchlässiges Schulsystem für erweiterte Bildungsabschlüsse und individuelle Förderprogramme für benachteiligte Schüler/innen und Lernmittelfreiheit notwendig. Auch der Ausbau der Ganztagsschulen, der sich in den letzten Jahren abzeichnete, ist prinzipiell zu begrüßen, muss aber kritisch begleitet werden. Die unterschiedlichen bildungspolitischen Regelungen in einzelnen Bundesländern fördern die Chancenungleichheit im Bildungssystem und sollten daher auf den Prüfstand gestellt werden.

5. Notwendig sind die vollständige staatliche Ausfinanzierung von Betreuungsangeboten vom vollendeten ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt und eine Anpassung der personellen Ausstattung in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung an die EU-Richtlinien. Ferner sind Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Mitarbeiter/innen sowie ein verbindliches Bildungsprogramm bis zum zehnten Lebensjahr zu entwickeln, das auch die Ressourcen und Beteiligungsmöglichkeiten der Kinder in den Mittelpunkt stellt und in besonders belasteten Gebieten die Personalressourcen der Einrichtungen verbessert.

6. Notwendig ist die gezielte Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund über ein Bildungsprogramm, das um interkulturelle Inhalte ergänzt wird und eine gezielte Sprachförderung sicherstellt. Gleichzeitig sollte sich die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern auf konkrete Maßnahmen für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingskindern verständigen. Wichtig ist es, die Flüchtlingskinder gesondert in den Blick zu nehmen. Diese brauchen den besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft. Für ihre Aufnahme und Integration gelten die einschlägigen Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention, der Europäischen Grundrechtecharta und des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Diese normieren eindeutig die Vorrangstellung des Kindeswohls bei allen Entscheidungen von Staat und Gesellschaft sowie das Recht der Kinder auf Förderung, Schutz und Beteiligung. Das Asylbewerberleistungsgesetz widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention ebenso wie den Grundgedanken des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Es grenzt Flüchtlingskinder systematisch aus, gefährdet das Kindeswohl und bewirkt, dass Kinder in Deutschland unter Bedingungen heranwachsen, die ihnen elementare Lebenschancen und eine gesunde Entwicklung vorenthalten. Flüchtlingskinder sind in erster Linie Kinder und müssen dieselben Ansprüche auf Leistungen der bestehenden Sozialsysteme haben wie andere Kinder auch.

7. Weiterhin sind die Grundversorgung und die Verbesserung der gesundheitlichen Beratung in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf zu gewährleisten. Erschöpfte Familien und Familien mit Migrationshintergrund sollten nicht durch Zwang sondern durch eine verstärkte Öffnung und Erweiterung der bestehenden Gesundheitsdienste besser erreicht werden. Darüber hinaus sind die gezielte Bewegungsförderung und die gesunde Ernährung als Schwerpunktthemen in Kita und Schule, insbesondere in Brennpunktgebieten, sowie kostengünstige Zugänge zu Freizeit- und Ferienangeboten notwendig. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Quelle: <link http: www.dkhw.de unsere-arbeit aktuelle-projekte bundeskongresskinderarmut-bekaempfen>www.dkhw.de/unsere-arbeit/aktuelle-projekte/bundeskongresskinderarmut-bekaempfen