Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2015, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Stadtkinder im Wald

Serie WirkungsStätten: Das Jugendferienheim der Schreberjugend Hamburg in Sprötze

Von Mathias Birsens, Hamburg

Rund 40 Kilometer südlich von Hamburg, am Rande des Naturschutzgebietes Lüneburger Heide steht ein flacher Backsteinbau mitten im Wald : Das Jugendferienheim der Schreberjugend Hamburg, wo jedes Jahr die Sommerferienfreizeit des Jugendverbandes stattfindet. Dieses Jahr sind 61 Kinder und 14 Betreuer in das Haus im Grünen gefahren.

Drei Wochen verbringen die 75 Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von acht bis 22 Jahren vor allem draußen : Sport, Gelände- und Nachtspiele stehen auf dem Programm der Sommerferienfreizeit der Schreberjugend, die jedes Jahr zu Beginn der Sommerschulferien stattfindet. Am zweiten Tag der Freizeit steht für den Vormittag »Französisch Brennball« auf dem Plan. Die Kinder rennen genauso wie die Betreuer auf dem Fußballfeld beim Haus zwischen zwei Reihen hin und her, sobald einer den anderen abgeklatscht hat. Wer dabei Teilnehmer und wer Betreuer ist, lässt sich allerdings nur am Alter festmachen. Denn die Älteren begegnen ihren Schützlingen nicht von oben herab – sondern auf Augenhöhe : »Es hält hier jeder zusammen – auch Teilnehmer und Betreuer«, sagt David über das Miteinander in Sprötze. Der 21-Jährige war seit 2007 jedes Jahr mit der Schreberjugend in Sprötze – zuerst als Teilnehmer, dieses Jahr bereits zum fünften Mal als Betreuer. »Wenn man einmal Teamer war, kommt man gerne wieder«, sagt er.

Quasi Stammgäste sind auch viele der Teilnehmer – den meisten gefällt es mitten im Wald so gut, dass sie jedes Jahr wiederkommen. Drei Viertel der Kinder und Jugendlichen, die letztes Jahr an der Ferienfreizeit teilnahmen, sind dieses Jahr wieder dabei. Obwohl das bedeutet, drei Wochen lang ohne Internet und Fernsehen zu sein und nur sporadischem Handyempfang zu haben. »Man ist schon abgeschnitten – der Alltag ist einfach weg«, sagt David. Das finden die meisten aber gar nicht so schlimm. »Hätte ich die Wahl in ein anderes Land zu fahren, würde ich trotzdem hier her kommen«, betont die 16 Jahre alte Charmaine, die bereits zum dritten Mal mit dabei ist. Sie findet es gar nicht verkehrt für drei Wochen mal von den sozialen Netzwerken wie Facebook wegzukommen, um die Leute im Jugendferienheim besser kennen zu lernen.

Um den Umgang miteinander und damit die soziale Kompetenz zu fördern, geht es der Schreberjugend grundsätzlich. Daher gibt es auch keine vorgefertigten Regeln, erklärt Hausleiter Detlef Siewert : »Die Gruppen müssen sich hier keinem Hausdrachen unterwerfen.« Das Miteinander müssen sie selber finden und regeln. Neben der Schreberjugend, die das Haus bewirtschaftet, sind viele unterschiedliche Gruppen zu Gast in dem Jugendferienheim – von der Kindergartengruppe bis zur Älterengruppe der Naturfreunde. Auch einige Unternehmen nutzen die Einrichtung : Die Post veranstaltet in Sprötze eine Einführungswoche für ihre Azubis, und die Hamburger Umweltbehörde bereitet junge Menschen auf ihr freiwilliges ökologisches Jahr vor. Die Schreberjugend selbst ist alle zwei Monate für ein Wochenende, an Ostern und im Sommer länger in Sprötze.

Viel Aktivität. Während der Freizeiten sind vor allem die Spiele draußen wichtig : »Man muss die Kinder ja irgendwie von den Handys wegholen«, sagt Marco Bruhn, der die Freizeit seit 2013 zusammen mit André leitet. Dafür opfert der sportliche 22-Jährige seinen Jahresurlaub. Den Rest des Jahres arbeitet er im Marketing bei einem Elektrogroßhandel in Hamburg. Vormittags stehen Spiele wie Französisch Brennball auf dem Programm, nachmittags geht es auf jeden Fall nach draußen für die Geländespiele. Und ab und zu wird sogar nach dem Abendessen noch weitergespielt. Zum Beispiel »Nacht der Mörder«, wo es darum geht, bestimmte Personen mit Wasser-, Mehlbomben oder Rasierschaum »umzubringen«. »Das endet immer in einer riesigen Schlacht«, berichtet Dawid augenzwinkernd, der bereits zum dritten Mal mit der Schreberjugend in Sprötze ist. »Das ist besser als zu Hause rum zu hängen«, meint der 15-Jährige Jordan – er ist sogar schon zum siebten Mal in Sprötze.

Ein Problem ist es allerdings im Vorwege der Ferienfreizeit, die Kinder überhaupt davon zu überzeugen, für drei Wochen nach Sprötze in den Wald zu kommen. »Als Stadtkind drei Wochen lang im Wald? Das konnte ich mir vorher gar nicht vorstellen«, erklärt etwa die 15-Jährige Lena. »Wenn sie erstmal hier sind, wollen sie auch bleiben oder wiederkommen«, sagt Marco Bruhn. Als er vor zehn Jahren zum ersten Mal als Teilnehmer in die Sommerferienfreizeit fuhr, waren noch insgesamt 80 Kinder dabei. Dann sank die Teilnehmerzahl immer weiter, bis es 2012 nur noch 27 waren. Um mehr Kinder und Jugendliche für die Freizeit ohne Fernsehen und Internet am Rande der Lüneburger Heide zu begeistern, rief die Schreberjugend vor einem Jahr die »Youngsters« ins Leben. Anfangs waren es ausschließlich Teilnehmer der bisherigen Freizeiten, die alle zwei Monate für ein Wochenende nach Sprötze fuhren. Doch inzwischen bringen sie Freunde mit, die dann auch zu den längeren Freizeiten zu Ostern und im Sommer mitkommen. Das Konzept geht auf : Seit 2013 kommen wieder mehr Kinder mit nach Sprötze.

Haus mit Geschichte. Das Jugendferienheim und das dazu gehörende dreieinhalb Hektar große Gelände wird seit 1929 für Kinder- und Jugendarbeit genutzt. Damals nutzte die Hitlerjugend das Gebäude unter anderem für die Segelfliegerausbildung. Ein Überbleibsel aus dieser Zeit ist die 200 Quadratmeter große Mehrzweckhalle, die damals für die Flugzeuge gebaut wurde. Heute proben dort die Musiker der Universität Hamburg und die Alsterfrösche, erzählt Heimleiter Detlef Siewert. Nach dem zweiten Weltkrieg ging das Jugendferienheim in den Besitz des Landesverbunds der Kleingärtner über – ihr Wappen prangt immer noch neben dem Eingang. Die Kleingärtner gaben die Bewirtschaftung des Gebäudes an die Schreberjugend ab, die in Sprötze seitdem Freizeiten und Seminare durchführt. An drei sogenannten »Arbeitswochenenden« pro Jahr kümmern sich Gruppen der Schreberjugend um die Pflege und den Ausbau des Hauses. So entstand unter anderem der Basketballplatz, der das Volleyball- und das Fußballfeld ergänzt. »Die Schreberjugend hat das alles in Eigenregie gemacht«, betont Detlef Siewert. Abgesehen von Strom und Gas ist das Haus auch ein »Selbstversorger« : Das (Trink-)Wasser wird aus 70 Metern Tiefe heraufgepumpt und nach der Benutzung in der eigenen Kläranlage gereinigt, bevor es unter dem Sportplatz wieder dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt wird. Und für das warme Duschwasser sorgt eine Solaranlage auf dem Dach.

»Es gibt kein schöneres Haus«, findet Detlef Siewert. Er leitet das Jugendferienheim seit 1996. Dabei war der gelernte Kraftwerkstechniker aus der DDR erst 1990 mit der Schreberjugend aus Cottbus zum ersten Mal selbst in Sprötze. Als er dann hörte, dass der alte Heimleiter gekündigt hatte, bewarb er sich sofort auf den Posten. »Ich möchte gar nichts anderes mehr machen«, sagt der 50-Jährige, der früher eigentlich Grundschullehrer werden wollte. Das durfte er wegen seiner politischen Einstellung in der DDR aber nicht. In Sprötze kann Detlef nun trotzdem Kinder auf dem Weg ins Erwachsenenleben begleiten : »Das ist sehr erstaunlich, was für eine Entwicklung die Kinder und Jugendlichen durchgemacht haben und wo sie heute stehen. Das ist schon ein geiles Gefühl!«
Genau wie zwei »Bufdis«, deren (Bundesfreiwilligendienst-) Stellen im Moment nicht besetzt sind, wohnt er mit seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern direkt auf dem Gelände des Ferienheims – in einem Backsteinhäuschen mit spitz zulaufendem Dach, das fast bis auf die Erde reicht.

»Nicht die Jugendorganisation der Karotten.« Von 1994 bis 1998 war Detlef auch Bundesvorstand der Schreberjugend. Trotzdem fällt es ihm schwer zu beschreiben, was die Organisation eigentlich ausmacht : »Die Schreberjugend ist nicht ganz einfach zu beschreiben, weil sie viel zu vielschichtig ist.« Zu beschreiben, was die Schreberjugend nicht ist, ist dagegen einfacher : »Wir sind nicht die Jugendorganisation der Karotten!« In Hamburg fungiert die Schreberjugend quasi als Dachverband für Jugendgruppen, die nicht in traditionellen Vereinen organisiert sind. Rund zehn verschiedene Gruppen gehören in der Hansestadt dazu – darunter sind sowohl die Youngsters als auch eine Fußball- und eine Dartgruppe. Einmal im Jahr treffen sie sich zur Landesjugendkonferenz, um den Fahrplan für das nächste Jahr festzulegen. Das Spektrum an Seminaren, die die Schreberjugend bereits in Sprötze durchgeführt hat, reicht von Juleicaschulungen bis zu Bauchtanzworkshops. Trotz der Vielfältigkeit des Vereins und seiner Gruppen, ist das »Wir-Gefühl ganz stark ausgeprägt«, betont Detlef.

Wir-Gefühl. Das merkt man auch im Umgang der Betreuer mit den Teilnehmern der Sommerferienfreizeit: Sie scheinen in Sprötze genau so viel Spaß zu haben wie die Kinder, denen sie immer auf Augenhöhe begegnen. Betreuer David findet es toll, »dass man sich so fühlt, als wäre man selber Teilnehmer.« Jeder der 14 Betreuer war auch mindestens einmal als Teilnehmer bei der Sommerferienfreizeit dabei. Manchmal tun sie sich jedoch auch schwer mit dem engen Verhältnis zu den Kindern, berichtet David : »Es ist eine Gratwanderung zwischen Autorität und wir-sind-deine-Freunde.«
Die quirlige 15-Jährige Lena lobt ebenfalls das Miteinander in Sprötze : »Es wird keiner ausgeschlossen, und die Stimmung in der Gruppe ist sehr gut.« Als am zweiten Tag zwei neue Kinder dazukommen und sich nach dem Mittagessen vorstellen, werden sie von den Anderen mit frenetischem Applaus empfangen.

Urlaub ermöglichen. Für die Schreberjugend gehört es selbstverständlich auch dazu, Kinder aus sozial schwachen Familien mit in die Freizeit zu nehmen und in die Gruppe zu integrieren. »Wir sind viel, viel offener und breit gefächerter – das ist dann auch mit unsere Aufgabe«, sagt Detlef. Gerade weil – im Gegensatz zu traditionellen Verbänden – viele Teilnehmer keine Mitglieder der Schreberjugend sind, hält er es für besonders wichtig, Kinder mitzunehmen, deren Eltern sich die Teilnahme an der Freizeit normalerweise nicht leisten können. Dabei hilft die Hamburger Sozialbehörde BASFI, indem sie die Kosten der Freizeit für bedürftige Familien von knapp 600 auf 150 Euro reduziert. Diese Unterstützung wird von immer mehr Kindern in Anspruch genommen, berichtet Marco Bruhns. Dieses Jahr sind es fünf von sechs Kindern. »Die Familien, die sich das nicht leisten können, freuen sich natürlich, dass ihre Kinder doch wegfahren können«, sagt er.

Konfliktpotential. Das führt manchmal allerdings auch zu Konflikten während der Freizeit : Einige der Kinder kämen aus einem Umfeld, in dem Gewalt als Lösung oder zur Etablierung einer Rangordnung üblich sei, erzählt Detlef. Dann müssen die Betreuer auch schon mal dazwischen gehen. Oft kommt das aber nicht vor, sagt der 16 Jahre alte Dawid : »Es ist halt nicht so, dass das eskaliert – man regelt das mit Worten.«

Unter anderem deshalb fühlen sich die Kinder und Jugendlichen hier so wohl. Charmaine würde sogar gerne noch länger bleiben. Weil sie eine Ausbildung zur Hörgeräteakustikerin beginnt, kann sie dieses Jahr nur zwei Wochen bleiben. Dabei würde sie viel lieber die vollen drei Wochen bleiben, sagt sie : »Sprötze ist wie ein zweites Zuhause.«


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Wirkungsstätte: Deutsche Schreberjugend Hamburg e.V.