Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2015, Rubrik Titelthema

Eine globale Katastrophe

Zahlen zur Flüchtlingssituation und weiteres

Von Jürgen Garbers, Landesjugendring Hamburg

Wer über das Thema Flüchtlinge spricht, sollte sich die globale Dimension der Problematik vergegenwärtigen, um eine kurzschlüssige Sichtweise zu vermeiden. Dazu nachfolgend ein paar elementare Daten. Das Elend der von Vertreibung und Flucht betroffenen Menschen können diese Angaben zwar nicht beziffern. Doch schon die dürren Zahlen sind erschütternd. Wie andere Statistiken auch, so über Hunger oder die Rate der Säuglingssterblichkeit als Indizes von »Unterentwicklung«, belegen sie ein Elend in der Welt, das angesichts von Produktivität, Reichtum und den damit verbundenen Möglichkeiten alternativer Politik so nicht zu sein bräuchte.

Dimension der Flucht. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) schreibt in seinen letzten Jahresbericht : »Bis Ende 2014 wurden 59,5 Millionen Menschen zwangsweise als Folge von Verfolgung, Konflikten, allgemeiner Gewalt oder Menschenrechtsverletzungen verdrängt. Dies sind 8,3 Millionen mehr als im Vorjahr (51,2 Mio.) und der höchste jährliche Anstieg in einem einzigen Jahr.« (Quelle : www.unhcr.de) Würden diese 59,5 Millionen Menschen eine Nation bilden, so wäre diese der 24. größte Staat in der Welt. Von diesen 59,5 Millionen »displaced persons« befinden sich rund 19,5 Millionen auf der Flucht außerhalb ihres Heimatlandes, 38,2 Millionen sind inländisch vertrieben, allein 1,8 Millionen haben als Asylsuchende in einem anderen Land einen prekären Status erlangt. Seit dem II. Weltkrieg gab es damit noch nie so viele Flüchtlinge wie in 2014.
 
Woher kommen die Flüchtlinge? 3,9 Millionen und damit die meisten Menschen flohen 2014 aus Syrien, 2,7 Millionen stammen aus Afghanistan, 1,1 Millionen aus Somalia, rund 670.300 aus dem Sudan und über 508.600 aus dem Süd-Sudan.
Ein Bürgerkrieg – wie in Syrien – zählt somit zu den offensichtlichsten Auslösern von Flucht. Doch dies ist allein eine statistische Feststellung und keine Analyse von Ursachen.

Alter der Flüchtenden. Im Jahr 2014 waren – wiederum nach Angaben des UNHCR – 51 Prozent der weltweit Flüchtenden unter 18 Jahre alt, 46 Prozent zwischen 18 und 59 Jahre sowie nur 3 Prozent über 60 Jahre. Flucht ist damit wesentlich jugendlich geprägt. Ein Umstand, der viele Länder, die Asyl gewähren, aber deren Asylrecht auf Erwachsene ausgerichtet ist, unvorbereitet trifft. Oder anders herum gefragt : Wie sollen Minderjährige politische Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen im Antragsverfahren glaubhaft erklären können?

Wo finden Refugees Zuflucht? Die Türkei ist gegenwärtig das Land mit den meisten aufgenommenen Flüchtlingen. Allein 1,59 Millionen Menschen (darunter rund eine Million aus Syrien) haben dort in zum Teil riesigen Flüchtlingscamps Zuflucht gefunden. Weitere große Aufnehmerländer sind : Pakistan mit 1,51 Millionen, Libanon mit 1,15 Millionen, Iran mit 982.000, Ethiopien mit 695.500 und Jordanien mit 654.100 geflohenen Menschen.

Das bedeutet mit Blick auf die »Flucht verursachenden Länder« : Mehr als 80 Prozent aller Flüchtenden bleiben in der Region oder in den Nachbarstaaten ihrer Heimat. Und rund 80 Prozent der Flüchtlinge werden von den Ländern des globalen Südens aufgenommen.

Und Europa? Das Vorurteil sagt, Europa träge die Hauptlast am weltweiten Flüchtlingsstrom; dieser würde seinen Wohlstand bedrohen. Die Zahlen, siehe zur Verteilung der Flüchtlingsströme auch oben, belegen etwas anderes. Beispiel Syrien : Durch den Bürgerkrieg wurden 6,5 Millionen Menschen innerhalb Syriens vertrieben, weitere 2,8 Millionen Menschen flüchteten über die Heimatgrenze. Laut UNHCR haben allerdings nur 4 Prozent der Refugees Zuflucht in Europa gesucht respektive gefunden. Allein in den Libanon sind fast zehn Mal so viele Menschen als nach Europa insgesamt geflohen. Und mal vor Ort geschaut : 2014 kam ein in Hamburg verbliebener Flüchtling (gleich welcher Herkunft) auf 265 Einwohner; in Jordanien beispielsweise lag das Verhältnis bei 1 zu 11.

Nimmt Deutschland in Europa die meisten Flüchtlinge auf? Nach absoluten Zahlen ja, doch setzt man diese in Relation zur Einwohnerzahl ergibt sich ein anderes Bild : Laut Eurostat (ec.europa.eu/eurostat) werden in Ländern wie Schweden (5,7 Asylanträge pro 1.000 Einwohner), Österreich (2) oder Ungarn (1,9) in Relation mehr Asylanträge gestellt als in Deutschland (1,5). Weil Deutschland zudem von sogenannten sicheren Drittstaaten umgeben ist, kann es außerdem viele Geflüchtete ohne weitere Prüfung dorthin zurückschicken, von wo sie eingereist sind. Dies geschieht völlig unabhängig davon, ob ein Asylgrund vorliegt oder nicht. In Zahlen : 37,8 Prozent der rund 173.000 nach Deutschland Geflüchteten wurden 2014 direkt wieder ausgewiesen.

Was kostet die Versorgung Geflüchteter in Deutschland? Die Kosten sind gestiegen – aus zwei Gründen. Zum einen hat sich die Zahl der Geflüchteten erhöht. Rund 1,5 Milliarden Euro gab der Bund 2013 für Asylbewerberleistungen aus. Das sind 38 Prozent mehr als in 2012. Ende 2013 haben rund 225.000 Menschen (plus 36 Prozent gegenüber 2012) solche Leistungen bezogen. Im Vergleich zum gesamten Bundeshaushalt 2013 machen die Asylbewerberleistungen nur 0,48 Prozent des Gesamtetats aus. Für 2014 gibt es noch keine verlässlichen Angaben.

Zum anderen stiegen die Ausgaben, weil der Bund den Versorgungsatz für Flüchtlinge nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus 2012 anheben musste. Dieses hatte die seit 1993 geltenden Aufwendungen für Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig erklärt, weil es das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum bei Geflüchteten nicht gewährleistet sah. Die Bezüge pro Person lagen bis dato um bis zu 47 Prozent niedriger als bei Hartz-IV-Empfängern.

Allerdings ist bei der Frage Zuwanderung und Kosten ein Perspektivenwechsel notwendig. Schaut man nicht allein auf Asylbewerber sondern auf Zuwanderung insgesamt, dann ergibt sich ein ganz anderer Blick : Laut einer Studie der BertelsmannStiftung habe im Durchschnitt jeder in Deutschland lebende Mensch mit ausländischem Pass in seinem Leben 22.300 Euro mehr an den Staat überwiesen, als er im Gegenzug an Sozialtransfers erhalte. Folglich habe der Sozialstaat von dieser Bevölkerungsgruppe insgesamt in einer Höhe von 147,9 Milliarden Euro an Einnahmen profitiert. Die BertelsmannStiftung plädiert daher für eine schnellere Öffnung des Arbeitsmarktes auch für Asylbewerber.

Situation in Hamburg. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Hamburg um Schutz und Aufenthalt nachsuchten, gegenüber 2013 deutlich gestiegen. Von den insgesamt 13.042 Menschen, die sich als Asylsuchende und Duldungsantragsteller in Hamburg gemeldet haben, verblieben 6.970 Personen in Hamburg (6.638 Asylsuchende und 332 Duldungsantragsteller). 6.072 Personen wurden auf Basis des sogenannten Königsteiner Schlüssels, der die Lastenaufteilung regelt, auf andere Bundesländer in Deutschland verteilt. Für das Jahr 2015 rechnet die Hamburger Innenbehörde mit rund 11.000 verbleibenden Flüchtlingen.