Jugendverbände gedenken an Opfer des Holocaust
Deutsch-israelisch-polnisches Seminar der Jugendringe anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz
Von Katharina Möller, LJR, Alternative Stadtführerin
Das Thema »Holocaust« besitzt in den gesellschaftlichen Kontexten der drei Länder Polen, Israel und Deutschland eine unterschiedliche Präsenz. Junge Menschen werden durch das institutionalisierte Gedenken in ihrem Land geprägt und entwickeln unterschiedliche Bezüge zur Erinnerung an die NS-Geschichte sowie zum Umgang mit dem Holocaust. Diese Tatsache stellten auch die Teilnehmenden des Seminars der drei Jugendringe aus Deutschland, Polen und Israel bereits in den ersten Workshops fest.
Der Deutsche Bundesjugendring lud zusammen mit dem Polnischen Jugendring »Polska Rada Organizacji« (PROM) und dem Israelischen Jugendring »Council of Youth Movements in Israel« (CYMI) junge Menschen aus Jugendverbänden zu einem dreitägigen Seminar nach Krakau und Auschwitz ein. Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungs- und Konzentrationslagers Auschwitz fanden sich zwischen dem 24. und 27. Januar 2015 etwa 90 Teilnehmende aus Polen, Israel, Deutschland sowie aus Tschechien und Österreich zusammen. Im Rahmen dieser bisher einmaligen Zusammenkunft diskutierten sie gemeinsam über die zentrale Frage, wie Erziehungsarbeit über den Holocaust heute aussehen kann und sollte.
In intensiven drei Seminartagen tauschten sich die Teilnehmenden über ihre Erfahrungen mit der Bildung über den Nationalsozialismus aus. In einzelnen Workshops diskutierten die Teilnehmenden ihre persönlichen Berührungspunkte und näherten sich der Auseinandersetzung über ihre Rolle als Erzieher/in und die Perspektiven von zukünftiger Erziehungsarbeit.
Dabei trafen verschiedene nationale Perspektiven aufeinander, um deren Austausch es an vielen Stellen während des Seminars ging. In teils sehr persönlichen Gesprächen konnten die Teilnehmenden erfahren, dass für viele Israelis der Holocaust durch die Familiengeschichte von klein auf Teil ihrer Lebenswelt war, wohingegen viele der Teilnehmenden aus Polen und Deutschland erst in einem späteren Alter durch den Schulunterricht mit dem Thema in Kontakt kamen. Bei dem Austausch über die erste Berührung mit dem Themenfeld kam das Gespräch außerdem schnell auf die Bewertung der eigenen Erziehung über den Holocaust.
Über den persönlichen Austausch hinaus gingen die Teilnehmenden der Frage nach, wie sie in ihren jeweiligen Jugendverbänden mit dem Thema umgehen und in welcher Form eine weitere Auseinandersetzung in Zukunft gestaltet werden kann. Dies stellt unter Umständen eine Herausforderung für Jugendverbände dar, da das Thema Nationalsozialismus nicht unbedingt einen direkten Bezugspunkt zur eigenen Arbeit besitzt, sondern sich viele Verbände mit anderen Inhalten beschäftigen. Somit ist unklar, inwiefern das Seminar konkrete Anstöße für die Verbandsarbeit der Teilnehmenden bieten konnte. Anregungen und Denkanstöße für das eigene Handeln im Umgang mit dem Thema haben aber alle Teilnehmenden mitgenommen.
Die Begegnung mit Menschen, die den Holocaust überlebt haben, ist immer eine eindrucksvolle Erfahrung und stellt eine sehr wertvolle Möglichkeit dar, die uns aber nicht mehr lange zur Verfügung stehen wird. Beim Besuch der Gedenkstätte Auschwitz gab es die Gelegenheit, mit dem Zeitzeugen Asher Oud zu sprechen, der 1928 in Polen geboren wurde und mehrere Gettos sowie Auschwitz und Mauthausen überlebte. Er berichtete davon, wie er und seine Familie als Juden verfolgt und alle bis auf einen Bruder ermordet wurden. Mittlerweile lebt Asher Oud in Israel und hat drei Kinder sowie 13 Enkelkinder, worüber er sehr glücklich ist, da er dies als persönlichen Sieg über den Nationalsozialismus kennzeichnet. Diese Begegnung hat viele Teilnehmende bewegt und darüber hinaus die Frage aufgeworfen, wie sich Erinnerungsarbeit in Zukunft ohne Zeitzeugen/innen verändern wird und welche neuen Formen in diesem Bereich entwickelt werden müssen.
Die drei Jugendverbände unterzeichneten anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz eine gemeinsame Erklärung. In dieser wird darauf hingewiesen, dass Gedenken nicht nur um des Erinnerns Willen geschehen muss, sondern um aus der Vergangenheit zu lernen. Die Bildungsarbeit zum Holocaust und der gegenseitige Austausch sollen dabei helfen. Außerdem haben die Jugendverbände erklärt, dass sie sich für ein würdevolles Zusammenleben aller Menschen einsetzen und in der demokratischen Bildungsarbeit einen Schlüssel gegen das Vergessen sowie gegen Gewalt, Rassismus, Gleichgültigkeit und Hass sehen. (
www.dbjr.de/dbjr-info/artikel/detail/gemeinsame-erklaerung-der-jugendringe.html)
In den drei Tagen wurden viele fruchtbare Diskussionen angestoßen, auch wenn für manche weitergehenden Gespräche leider an vielen Stellen die Zeit fehlte. Das Seminar wurde von den Teilnehmenden insgesamt als sehr gewinnbringend empfunden, was sich auch in teils sehr emotionalen Äußerungen zeigte. Es wäre wünschenswert, wenn solche Begegnungen weitergeführt würden, denn der produktive Austausch über die Perspektive von politischer Bildungs- und Erinnerungsarbeit wird auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren.
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Über die AutorinKatharina Möller ist Historikerin und beim Arbeitskreis Alternative Stadtrundfahrten im Landesjugendring Hamburg aktiv. Sie und ein weiteres Mitglied des Arbeitskreises, Jonas Stier, waren als Teamende für den Landesjugendring bei dem Seminar dabei. Unter anderem durch ihr freiwilliges Engagement, bei dem sie Führungen zum Thema »Hamburg im Nationalsozialismus – Verfolgung und Widerstand« anbieten, ist ihnen der thematische Kontext vertraut. Das Angebot der Alternativen Stadtrundfahrten kann eingesehen und online gebucht werden unter:
www.alternative-stadtrundfahrten.de