Von Katharina Tenti, Jugendarbeitskreis im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, und Nora Weuster, Landesjugendring Hamburg
Die Hamburgerin Ilse Baustian war erst 17 Jahre alt, als sie am 29. April 1945 in der Heilanstalt am Steinhof in Wien ermordet wurde. Ihr Leben galt als »unwert«. Sie wurde aufgrund ihrer Behinderung zum Opfer der Nationalsozialisten.
Die Geschichte von Ilse Baustian wurde von einer Gruppe Jugendlicher aufgearbeitet, die sich in einem Geschichtsprojekt des Landesjugendrings Hamburg in Kooperation mit dem Jugendarbeitskreis im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (JAK) mit der sog. »NS-Euthanasie« beschäftigten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde im Juli 1933 mit dem »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« der Grundstein für die NS-Erbgesundheits- und Rassenpolitik gelegt. Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder wurden aufgrund ihrer (angeblichen) Behinderung oder Erkrankung systematisch ermordet, zwangssterilisiert und in medizinischen Versuchen misshandelt oder getötet. Erst in den letzten Jahren wurde dieser Aspekt der NS-Geschichte von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit stärker in den Blick genommen.
Bei ihren Recherchen im Archiv der ehemaligen »Alsterdorfer Anstalten« untersuchten die Jugendlichen die in Teilen erhaltene Patientenakte Ilse Baustians. Ilse Baustian wurde am 18. August 1928 in Hamburg geboren und lebte bis zu ihrem zehnten Lebensjahr gemeinsam mit ihren Eltern Dora und Willi und ihrer jüngeren Schwester Carla in der Harburger Chaussee 89. Am 28. Januar 1939 wurde Ilse auf Antrag des Landesjugendamtes in die Alsterdorfer Anstalten in Hamburg eingewiesen. Dort verblieb sie eineinhalb Jahre, bis sie auf Wunsch ihrer Eltern im Juli 1940 wieder nach Hause entlassen wurde. Im Oktober desselben Jahres stellte Ilses Mutter Dora fest, dass sie nicht in der Lage war, ihre Tochter zu Hause zu betreuen, so dass sie um erneute Aufnahme Ilses in die Alsterdorfer Anstalten bat. Am 4. Januar 1941 kam Ilse dort zum zweiten Mal an. Im August 1943 wurde sie gemeinsam mit 227 anderen Frauen und Mädchen nach Wien in die »Heilanstalt« am Steinhof transportiert. Dort starb sie am 29. April 1945 – nach offiziellen Angaben an einem »Darmkatarrh«. Die Heilanstalt am Steinhof stellte ein Zentrum der NS-Medizinverbrechen dar. Zwischen 1941 und 1945 starben hier über 3.500 Menschen an den Folgen von systematischer Vernachlässigung und Überbelegung, Medikamentenknappheit, Nahrungsmittelentzug sowie an der der Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Ilses Eltern erfuhren erst ein Jahr später, im Frühjahr 1946, vom Tod ihrer Tochter.
Um an Ilse Baustian zu erinnern, verlegten die Jugendlichen in Anwesenheit des Künstlers Günter Demnig am 1. Juni einen Stolperstein vor ihrem ehemaligen Wohnhaus. In Gedenken an ihr Schicksal trugen Laura-Sophie Neubauer und Janis Veits Auszüge aus dem Briefwechsel zwischen Ilses Eltern und den Anstalten in Hamburg und Wien vor und zeichneten so den Leidensweg von Ilse und ihrer Familie nach. Christoph Machens begleitete die Gedenkveranstaltung musikalisch mit einigen Stücken auf der Geige.
Da auch die aktuelle Situation von Menschen mit Behinderung immer wieder Thema während der Vorbereitung war, skizzierte Isa Božic vom treffpunkt.elbinsel in einem Kurzvortrag den Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe der letzten Jahrzehnte – vom Prinzip der Verwahrung bis hin zum Leitbild der Selbstbestimmung und Chancengleichheit – und lud zu Fragen und Diskussionen ein. Bemerkenswert: Auch ohne große »Reklame« kamen Anwohner und Nachbarn zur Gedenkveranstaltung.