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Politisches und Rechtliches

Landesjugendring Hamburg e.V.

Zwei Jahre Corona-Pandemie – Kinder und Jugendliche als Pandemieverlierer:innen

Positionspapier des LJR-Vorstandes

Am 22. März 2020 traten erstmalig bundesweite Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung des Corona-Virus in Kraft. Einige Tage zuvor – am 16. März 2020 – wurde in Hamburg in den Schulen der digitale Unterricht gestartet, in den Kindertagesstätten auf eine Notbetreuung umgestellt und die Angebote der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit eingeschränkt. Innerhalb weniger Tage lebten Kinder und Jugendliche im Krisenmodus.

Die Maßnahmen wurden von jungen Menschen bereitwillig mitgetragen. Kinder und Jugendliche leisteten auf diese Weise einen wertvollen Beitrag zum Schutz der Risikogruppen, insbesondere der älteren Menschen. Die Sorge um die eigene Gesundheit, die der Großeltern und Familienangehörigen war und ist unter jungen Menschen groß.

Angesichts der Last auf ihren Schultern war das gezeigte Verantwortungsbewusstsein beeindruckend, denn die Folgen der Eindämmungsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche waren und sind weitreichend. Eine Normalisierung können wir auch mit einem Ende der Maßnahmen nicht unmittelbar erwarten.

Die politischen Debatten über die Folgen der Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche wurden über die Situation an den Schulen und in den Kindertagesstätten bestimmt. Die verschlafene Digitalisierung der Schulen konnte in der Kürze nicht nachgeholt werden und wird auch zukünftig eine große Baustelle bleiben. Das Homeschooling, die fehlenden Tablets und Konzepte digitalen Lernens benachteiligten ohnehin belastete Schüler:innen. Die Öffnung der Kindertagesstätten wurde vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie ausschließlich aus Sicht der erwerbstätigen Eltern betrachtet. Die Folgen des Wegfalls der Betreuung in den Kindertagesstätten für Kinder aus Familien, in denen eine Kindeswohlgefährdung zu befürchten ist, erhielt erst später mehr Aufmerksamkeit.

In verschiedenen Studien ist sehr gut dargestellt, inwiefern die beschlossenen Maßnahmen, insbesondere für ohnehin schon belastete Familien, eine zusätzliche Belastung darstellen. Wenn die Schule geschlossen hat, dann fehlt Kindern das Mittagessen. Wenn die Kita geschlossen hat, dann verlieren Kinder die im Alltag haltgebenden Routinen und Tagesstrukturen. Wenn Häuser der Jugend und Jugendverbände nur unter Einschränkungen arbeiten können, dann fehlen jungen Menschen Rückzugsräume sowie Räume, an denen sie ihren eigenen Interessen nachgehen können – außerhalb der kleinen Familienwohnung. Dieser Blick auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, abseits von Beschulung und Betreuung, wurde in der Corona-Pandemie leider zu selten oder nicht konsequent genug eingenommen. Die Diskussion um die Beschaffung von Luftfiltern wurde fast ausschließlich für Schulen diskutiert – als ob in den Kindertagesstätten oder in den Räumen und Einrichtungen der Jugendarbeit keine jungen Menschen zusammenkämen.

Wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen hat die Corona-Pandemie die in der Jugendpolitik gemachten Fehler und Mängel unübersehbar an die Öffentlichkeit gebracht. Von dem seit Jahren verfolgten Ziel einer eigenständigen Jugendpolitik sind wir leider noch weit entfernt. Es fehlt ein umfassendes Verständnis der Lebensphase Jugend und der politische Wille, gute Bedingungen ressortübergreifend und nachhaltig zu gestalten.

Als Vorstand des Landesjugendrings Hamburg fordern wir:

• Seit Beginn der Corona-Pandemie fordern wir ein Expert:innengremium bestehend aus Politik, Wissenschaft, Verwaltung, Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und jungen Menschen. Auch wenn die Eindämmungsmaßnahmen beendet werden, werden die Folgen uns noch lange beschäftigen. Es ist dringend geboten, Kinder und Jugendliche endlich konsequent an allen politischen Entscheidungen zu beteiligen, die zum Auffangen der Folgen der Eindämmungsmaßnahmen für junge Menschen getroffen werden.

• Junge Menschen haben seit Beginn der Pandemie auf vieles verzichten müssen. Neben dem eingeschränkten Besuch der Schule, Kita und auch der Universität oder der Ausbildungsstätte, mussten sich junge Menschen vor allem in ihrer Freizeitgestaltung und den sozialen Kontakten stark einschränken. Auch Feierlichkeiten wie Geburtstage oder Schulabschlüsse sowie Reisen oder Erholungsmaßnahmen wie Ferienfreizeiten konnten häufig nicht im üblichen Maße erfolgen. Um diese, für junge Menschen wichtigen Erfahrungen nachholen zu können, muss ihnen eine aus den Bußgeldern der Corona-Verstöße finanzierte Sonderzahlung zur Verfügung gestellt werden. Diese finanzielle Unterstützung würde auch eine Anerkennung für den Verzicht, die Einschränkungen und die darauffolgenden Belastungen junger Menschen deutlich machen.

• Ausgaben in die Kinder- und Jugendarbeit sind Investitionen in die Zukunft. Die Kosten der Corona-Pandemie und die geplanten zusätzlichen 100.000.000.000 € für die Bundeswehr belasten den Haushalt enorm. Sie dürfen nicht auf dem finanziellen Rücken der Kinder und Jugendlichen ausgetragen werden. Ohne Mittelerhöhungen und dauerhafte Eigenmittelabsenkungen werden langfristige Schäden in der Kinder- und Jugendarbeit, der Pandemiegeneration und somit in der Gesamtgesellschaft unvermeidbar sein. Ein erster Schritt wäre die Verlängerung des Aktionsprogramms Aufholen nach Corona des Bundes und dessen angemessene finanzielle Ausstattung.

• Laut den Ergebnissen der dritten COPSY-Befragungen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf leiden nach wie vor mehr Kinder und Jugendliche unter psychischen Belastungen als vor Beginn der Pandemie. Besonders Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligen Familien sind davon betroffen. Die Wartezeiten für ambulante, teilstationäre und stationäre Therapieplätze betragen häufige mehrere Monate. Daher müssen mehr Therapieplätze für Kinder und Jugendliche zur Verfügung gestellt werden, damit alle Betroffenen schnell die professionelle Hilfe bekommen können, die sie benötigen.

• Laut der Studie des Hamburger Gesundheitsamtes zählen die Hamburger Jugendverbände zu den „wichtigsten Hamburger Akteuren“ bei der Bewältigung der Pandemie. Die ehrenamtlichen Jugendgruppenleitungen haben – unter den jeweils herrschenden Bedingungen – „mit viel Kreativität und Einfallsreichtum“ meist wöchentlich stattfindende Gruppenstunden durchgeführt und somit ungezählten Kindern und Jugendlichen geholfen, durch die Pandemie zu kommen. Oft konnte nur von heute auf morgen geplant werden. Jetzt versuchen immer mehr Verantwortliche, mittelfristige Perspektiven für ihre jeweilige Gruppe bzw. Verbände zu entwickeln und stellen fest, dass ein nahtloses Anknüpfen an die Zeiten vor Corona nicht möglich ist, da trotz aller Bemühungen viele Kontakte verloren gingen bzw. erst wieder aufwändig neu geknüpft werden müssen. Von den für den Fortbestand der verbandlichen Jugendarbeit so wichtigen Juleica-Inhaber:innen der Jahrgänge 2020 und 2021 gibt es nur wenige. Es werden verstärkt Zweifel geäußert, ob „Aufholen“ und „nach Corona“ (noch) die treffenden Bezeichnungen sind? Jugendverbände benötigen eine breit aufgestellte Unterstützung für den Re-Start ihrer Arbeit als Sofortmaßnahme. Wir fordern darüber hinaus eine wissenschaftlich durchgeführte Erhebung zu den Folgen der Corona-Pandemie auf das Ehrenamt von jungen Menschen bzw. auf ihre Organisationen. Darauf aufbauend bedarf es an Entwicklung von passgenauen Hilfen. Dazu zählt auch der Einsatz von mehr hauptamtlichem Personal.

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Vorstand des Landesjugendrings Hamburg
Positionspapier als PDF
Hamburg, 28. März 2022