Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2007, Rubrik Nachrichten

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und ihre Zeitspuren

Ein Überblick zur Umgestaltung und zu aktuellen Ausstellungen

Von Karin Schawe, KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme befindet sich am Rande Hamburgs auf dem Gelände des ehemaligen größten Konzentrationslagers in Nordwestdeutschland. Sie erinnert an die 100.000 Menschen, die hier unter unmenschlichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen, gequält und ermordet wurden, mehr als die Hälfte der Häftlinge überlebte die nationalsozialistische Verfolgung nicht. Die Neuausrichtung der Gedenkstätte greift auch »Zeitspuren« des wechselvollen Umgangs mit der Erinnerungsarbeit auf.

Die Umgestaltung

Nach jahrzehntelangen Konflikten und Irritationen ist es gelungen, einen Gedenk- und Lernort zu präsentieren, der einen würdevollen Umgang mit der Geschichte ermöglicht und zugleich seinem Bildungsanspruch gerecht werden kann. Seit Oktober 1981 informieren hier verschiedene Ausstellungen über die Geschichte des Lagers und die Nachgeschichte.
Im Mai 2005 wurde die Gedenkstätte neu gestaltet und erweitert der Öffentlichkeit übergeben.
Die Schließung der Justizvollzugsanstalt, die 1948 auf dem Gelände des ehemaligen Schutzhaftlagers eingerichtet worden war, ermöglichte im Jahr 2003 den Beginn der Umgestaltungsmaßnahmen.

Das zweite im Jahr 1970 errichtete Gefängnis wurde Anfang 2007 abgerissen. An einem Teil der Außenmauer, das als Zeitdokument erhalten bleibt, ist eine im Mai 2007 eröffnete Ausstellung angebracht.
Das Gelände gliedert sich in den Gedenkbereich, der nicht verändert wurde, und in den völlig neu gestalteten Ausstellungsbereich. Die Gesamtfläche umfasst fünfundfünfzig Hektar.

In kaum einer anderen Gedenkstätte sind heute noch so viele ehemalige KZ-Gebäude erhalten wie in Neuengamme: Insgesamt 15 größere Gebäude mit rund 41.000 Quadratmetern umbauten Raumes, wobei es sich sowohl um Häftlingsunterkünfte, Überreste des Lagers für die Wachmannschaften als auch um Rüstungsbetriebe und das große Klinkerwerk handelt.

Die Planungen gingen davon aus, dass unmittelbar nach Auszug der Justizvollzugsanstalt die Flächen und Gebäude in die Gedenkstätte einbezogen werden. Bauten, die nach dem 4. Mai 1945 entstanden waren, sollten rückgebaut bzw. abgerissen werden. Historische Gebäude, die noch vorhanden waren, sollten erhalten bleiben, Rekonstruktionen historischer Gebäude wurden ausgeschlossen.

Im Jahr 2003 erfolgte zunächst der Abriss der Nachkriegsbauten des 1949/50 errichteten Zellentraktes, des Küchenanbaus und des Anbaus an der Hauptwache sowie des 1983 errichteten Einzelhaftgebäudes und der neuen Pforte.
Um den Nachkriegsumgang mit dem KZ-Gelände und die fünf Jahrzehnte währende Überbauung der Häftlingsbaracken durch das Gefängnis zu dokumentieren, blieb ein Teil der Außenmauer des Zellentraktes erhalten. Unmittelbar nach den Abrissmaßnahmen erfolgte die Gestaltung des ehemaligen Häftlingslagers. Die Grundflächen der Häftlingsbaracken, des Krankenreviers, des Arrestbunkers und der anderen Funktionsbaracken im »Schutzhaftlager« wurden durch Gabionen, gefüllt mit zerkleinertem Klinkerschutt aus dem Abriss der Strafanstalt (wobei es sich größtenteils um die 1948 demontierten Steine aus den riesigen Ringöfen des KZ-Klinkerwerkes handelt), kenntlich gemacht. Ein wichtiger Schritt war die Freilegung des historischen Appellplatzes und die Kennzeichnung der Zaunverläufe durch Stelen aus Stahl. Der östliche große Klinkerbau (ehem. Block 21 – 24) wurde als Gebäude für die neue Hauptausstellung zur Geschichte des KZ Neuengamme und der Außenlager hergerichtet und die historisch bedeutsamen Originalräume im Keller wurden zugänglich gemacht. Im westlichen Klinkergebäude (ehem. Block 1 – 4) befinden sich jetzt das Studienzentrum, das Archiv, eine Bibliothek und die Verwaltung.

Die aktuellen Ausstellungen
Am 4. Mai 2005 wurden die neuen Daueraus- stellungen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eröffnet. Alle Ausstellungen werden in Gebäuden aus der Zeit des Konzentrationslagers präsentiert, deren historische Bausubstanz zu diesem Zweck frei gelegt wurde.

Neben der Hauptausstellung Zeitspuren: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938 – 1945 und seine Nachgeschichte sind eine Studienausstellung Dienststelle KZ Neuengamme: Die Lager-SS und die Ergänzungsausstellungen zu Arbeit und Vernichtung: KZ-Zwangsarbeit in der Ziegelproduktion, zu Mobilisierung für die Kriegswirtschaft: KZ-Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion und die 2007 eröffnete Gefängnisse und Gedenkstätte: Dokumentation eines Widerspruchs zu sehen.
Die Wahl der Ausstellungsorte orientiert sich an den historischen Räumlichkeiten. Die wiederhergestellten Originalräume wurden von ihrem Raumeindruck her erhalten und so in die Konzeption der Ausstellungsgestaltung einbezogen.

Die Hauptausstellung Zeitspuren: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938 – 1945 und seine Nachgeschichte befindet sich in einem der beiden 1943/44 errichteten großen Klinkerbauten, die als Unterkunftsgebäude für Häftlinge dienten. Die Struktur des Gebäudes mit vier separat zugänglichen Häftlingsblöcken von je ca. 600 Quadratmetern, die jeweils in zwei große Unterkunftssäle, einem Waschraum und einer Latrine gegliedert waren, ist größtenteils erhalten geblieben und dort, wo das nicht der Fall war, für die Ausstellungsnutzung wieder hergestellt worden. Die verschiedenen Zeitschichten der Räume (Konzentrationslager, Nachkriegsnutzung als Internierungslager, Justizvollzugsanstalt) werden durch Informationstafeln und «Zeitschnitte« erklärt, die in die Ausstellungsgestaltung integriert wurden. Es entstand auch Raum für die Präsentation verschiedener Zeugnisse künstlerischen Schaffens von Häftlingen und für die Dokumentation der Nachkriegsgeschichte, ferner für einen Buch- und Medienverkauf und eine Cafeteria.

Die Geschichte des Konzentrationslagers Neuengamme und seiner Außenlager von 1938 bis 1945 bildet den Schwerpunkt der Hauptausstellung mit folgenden zehn Themenbereichen: »KZ-Standort Hamburg-Neuengamme«, »Die Häftlingsgruppen - Europa in Neuengamme«, »Alltag und Arbeit«, »Selbstbehauptung, Kultur, Widerstand«, »Vernichtung und Tod«, »Die Außenlager«, »Das Ende ...«, »Weiterleben nach der Befreiung«, »Die Nachnutzung des KZ-Geländes« und »Formen des Erinnerns«. Im Vordergrund steht dabei die Dokumentation der an diesem Ort begangenen Verbrechen, die Veranschaulichung der Dehumanisierung und die Darstellung des Leidens der Häftlinge, das für die Überlebenden mit der Befreiung im Mai 1945 nicht endete.

Der Umgang der Freien und Hansestadt Hamburg mit dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme wird in der Hauptausstellung ebenso dargestellt wie die sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändernden Erinnerungsformen und ihre geschichtspolitischen Implikationen im bis 1989 geteilten Deutschland.
Zentrales Anliegen war die Transparenz der Ausstellung, deren Gliederung gut erkennbar sein sollte: Die Informationen werden auf verschiedenen Ebenen präsentiert, und zwar sowohl für Besucherinnen und Besucher, die sich schnell informieren wollen, als auch für solche, die sich für Details interessieren und einzelne Aspekte vertiefen möchten.

Zur Vertiefung werden unterschiedliche Quellen-gattungen angeboten. Die Präsentation historischer Quellen wie Fotos, Aktenmaterial oder Exponate in Verbindung mit kurzen erläuternden Texten ist ein wichtiges Gestaltungsmittel. Ton- und Videoaufzeichnungen von Überlebenden und über 150 Biografiebücher sollen für die Besucher die Möglichkeit schaffen, sich in das Schicksal Einzelner hineinzudenken.
Zugleich machen aber gerade die Erinnerungs-berichte einzelner Menschen – seien es Überlebende oder Angehörige der britischen Armee, seien es im Internierungslager Neuengamme Inhaftierte, Politiker oder Angehörige der jüngeren Generation – deutlich, dass Geschichte nicht aus einer einzigen großen Erzählung besteht, sondern aus der Vielzahl unterschiedlicher, manchmal widersprüchlicher Geschichten. So ein multiperspektivischer Ansatz erweist sich besonders in den Fällen als sinnvoll, wo Bilder, Dokumente und Texte eindeutig der SS zuzuordnen sind und deren Blick auf die Ereignisse erkennen lassen. Diese Quellenaussagen werden deutlich durch die Berichte ehemaliger Häftlinge relativiert. Ein weiteres Prinzip bei der Erarbeitung dieser Ausstellung war es, die Rekonstruktion des historischen Geschehens und dessen Überlieferung auf möglichst vielen Ebenen einzuhalten. Dieser diskursiven Form der Quellenpräsentation und -interpretation entspricht die Methodenvielfalt im Umgang mit den Ausstellungsthemen.

Verschiedene neue Ausstellungen in weiteren historischen Gebäuden ergänzen die Hauptausstellung. Die Studienausstellung Dienststelle KZ Neuengamme: Die Lager-SS, wird in den ehemaligen SS-Garagen gezeigt. Hier liegen anhand von Prozessunterlagen, Dokumenten und SS-Personakten umfangreiche Informationsangebote zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Täter vor.
Ein Offenes Archiv neben der Studienausstellung bietet Besucherinnen und Besuchern mithilfe von Computern, Medienstationen, Lesemappen und Büchern zahlreiche weitere Möglichkeiten zur vertiefenden Recherche.
Eine weitere Ergänzungsausstellung zum Thema Arbeit und Vernichtung: KZ-Zwangsarbeit in der Ziegelproduktion befindet sich im ehemaligen Klinkerwerk. Sie informiert über die Errichtung, die Arbeitsbedingungen und Produktionsabläufe im Klinkerwerk und die Tongruben. Hier werden die Führerstadtplanungen der Nationalsozialisten für Hamburg dokumentiert und die Stellung des Klinkerwerks und des Arbeitseinsatzes der Häftlinge im KZ Neuengamme.

In den ehemaligen Walther-Werken ist die Ergänzungsausstellung zum Thema Mobilisierung für die Kriegswirtschaft: KZ-Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion zu sehen. Sie informiert über die Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Hamburg, über die KZ-Gefangenen in der Rüstungsindustrie und die KZ-Häftlingsarbeit in Neuengammer Rüstungsbetrieben.

Der Umgang mit dem Gelände nach 1945 ist Thema der 2007 eröffneten Ausstellung Gefängnisse und Gedenkstätte: Dokumentation eines Widerspruchs auf dem Gelände der ehemaligen Tongruben, angebracht an einem Mauerrest mit Wachturm des 2. Gefängnisses als Zeugnis des unsensiblen Nachkriegsumgangs mit dem historischen Ort. Die Erinnerung an die Jahrzehnte währende Gefängnisnutzung wird im Gelände weit sichtbar bleiben.

Die Ausstellung stellt Hintergründe und Umstände der Errichtung und des späteren Abrisses der beiden Gefängnisse dar, und sie zeigt die Bemühungen der verschiedenen Gruppierungen und Kräfte um die Errichtung einer Gedenkstätte an diesem Ort. Die Ausstellung dokumentiert die Widersprüche und Probleme, die damit verbunden waren.

Damit konnte die im Jahr 2003 begonnene Umgestaltung 2007 beendet werden. Auch dieser Teil des ehemaligen Lagergeländes, der für den Strafvollzug genutzt wurde, gehört jetzt zur Gedenkstätte und ist öffentlich zugänglich.
Drei durch Informationstafeln erklärte Rundwege erschließen das große Außengelände und führen an den erhaltenen historischen Gebäuden und Anlagen vorbei.
Die neue Hauptausstellung und die sie ergänzenden Teilausstellungen, mit ihren vielfältigen Informationsangeboten, in denen die Geschichte auch der jeweiligen Räumlichkeiten und die Zeitschnitte wahrnehmbar sind, wie auch das gestaltete Außengelände mit archäologischen Freilegungen und den Markierungen der Barackengrundflächen und Zaunverläufe, kommentieren das nicht immer für sich sprechende Areal und machen die Geschichte des Ortes wieder sichtbar.

Neue Formen der Vermittlung
Die Neueröffnung der Gedenkstätte im Mai 2005 hatte nicht allein die Gestaltung des historischen Geländes und der neuen Ausstellungen zur Folge. Ein neues Selbstverständnis, neue Mittel der pädagogischen Arbeit, der verstärkte Einsatz von Medien, neue Formen der Vermittlung und der Öffentlichkeitsarbeit werden notwendig und führen gleichzeitig zu einer größeren öffentlichen Wahrnehmung.

Die Umgestaltung des Geländes, der Ausstellungen, der übrigen Gebäude und die damit einhergehende Umstrukturierung der Arbeitsbereiche erfordert ein neues Erscheinungsbild. Formale Änderungen ergaben sich auf Grund der veränderten Topografie, z.B. durch andere Hausnummern, durch die Einbeziehung weiterer Gebäude, veränderte Öffnungszeiten usw.. Außerdem entstanden besondere Anforderungen an ein Orientierungssystem auf dem Gelände der Gedenkstätte.
Neue inhaltliche Anforderungen auf Grund der veränderten und erweiterten Aufgabenstellungen, wie z.B. durch die stärkere Ausprägung der beiden Orientierungen als Gedenk- und Lernort müssen sich im Erscheinungsbild der Gedenkstätte niederschlagen. Veränderungen bringen neue Herausforderungen mit sich und erfordern eine neue Zieldiskussion und Standortbestimmung.

Informative Führungen über das Gelände und durch die Ausstellungen, Anleitungen für Gruppenarbeit und Beratung der Lehrerinnen und Lehrer von Schulklassen und weitere Forschungen gehören zur alltäglichen Arbeit der Gedenkstätte. Was aber muss folgen, wie entwickeln wir das, was es bereits gibt, weiter?

Das neue Programmprofil der Studienzentrums »setzt die Vermittlung der Geschichte des KZ Neuengamme in Bezug zu aktuellen Fragestellungen, die für die Auseinandersetzung mit der Shoah, mit Menschenrechtsverletzungen in Vergangenheit und Zukunft, für die Entwicklung demokratischen Denkens und Handelns, für die Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Identität und für das Miteinander verschiedener Kulturen wegweisend sind« (Freie und Hansestadt Hamburg, Bürgerschaftsdrucksache 16/6403).

Die neue Gedenkstättengestaltung, die Ausstellungen und die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit zeigen »Zeitspuren« auf, die längst nicht vollständig aufgedeckt sind. Die Suche danach und ihr Sichtbarmachen für die Zukunft wird eine Aufgabe sein, die eng verknüpft ist mit unserem Ziel, eine würdige Gedenkstätte zu bewahren und einen Ort der aktiven Bildungsarbeit zu entwickeln.


Literatur:
Detlef Garbe
: »Das Schandmahl auslöschen«. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme zwischen Gefängnisbau und -rückbau: Geschichte, Ausstellungskonzepte und Perspektiven, in: Museale und mediale Präsentationen in Gedenkstätten. Hg.: KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Bremen 2001 (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 6 / Edition Temmen), S. 51-71.
Insa Eschebach, Detlef Garbe, Hermann Kaienburg, Christl Wickert: Steinhaus II. KZ Neuengamme und Nachgeschichte, Werkheft 1 (Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme) Hamburg (Eigendruck) 2002.
Andreas Ehresmann: Häftlingsunterkünfte Steinhaus I und II, Werkheft 2 (Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme) Hamburg (Eigendruck) 2003.


Info: KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Jean-Dolidier-Weg 75, 21039 Hamburg
Tel.: 040-428131500; Fax: 040-428131525
e-mail: info@kz-gedenkstaette-neuengamme.de
www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de
Öffnungszeiten der Ausstellungen: Montag - Freitag 9.30 - 16 Uhr; Samstag, Sonntag und an Feiertagen: April bis September: 12 - 19 Uhr, Oktober bis März: 12 - 17 Uhr
Der Eintritt ist frei.
Das Gelände ist auch außerhalb der Öffnungszeiten zugänglich.