Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2007, Rubrik Titelthema

Das neue CDU Grundsatzprogramm - Was bringt es Kindern, Jugendlichen und Familien?

Von Christiane Blömeke (Grüne/GAL), MdHB

Die CDU hat sich auf dem Parteitag in Hannover ein neues Grundsatzprogramm gegeben. Die Christdemokraten selbst sprechen von einer Modernisierung. Ein genauer Blick in das Programm offenbart, dass die CDU gesellschaftliche Realitäten von Kindern, Jugendlichen und Familien immer noch verkennt und bildungspolitisch nicht den Schritt ins 21. Jahrhundert geschafft hat.

Ehe als Leitbild


»Die Ehe ist unser Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau. Sie ist die beste und verlässlichste Grundlage für das Gelingen von Familie.«, heißt es im neuen CDU-Grundsatzprogramm. Eine Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe lehnt die CDU weiterhin genauso ab, wie ein Adoptionsrecht für Homosexuelle. Tatsächlich gibt es immer weniger traditionelle Familien in der Bundesrepublik während die Zahl Alleinerziehender und unverheirateter Lebensgemeinschaften mit Kindern kontinuierlich ansteigt. Nichteheliche Familienformen machen heute bundesweit schon ein Viertel aller Familien aus. Aus grüner Sicht ist Familie da, wo Kinder sind. Ob in klassischen Ehen, unverheirateter Partnerschaft, in Ein-Elternteil- oder Patchwork-Familien oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften – Familienpolitik sollte sich primär an den Bedürfnissen der Kinder orientieren.

Auch das Ehegattensplitting haben die Christdemokraten nicht angetastet. Dabei ist das Ehegattensplitting unter familien- und gleichstellungspolitischen Aspekten höchst fragwürdig. Das Ehegattensplitting fördert die Ehe, nicht die Familie. Es begünstigt vor allem Alleinverdienerehen mit hohem Einkommen und ungleichen Einkommensverhältnisse innerhalb der Ehe. Es gibt überwiegend Frauen einen Anreiz, nicht erwerbstätig zu sein oder nach der Geburt eines Kindes nicht in den Beruf zurückzukehren. Es kommt Kindern nur dann zugute, wenn die Eltern verheiratet sind und gut verdienen, und es ist ein Steuermodell, das eingetragene Lebenspartnerschaften ausschließt.
Den Steuervorteil für Verheiratete will die CDU noch um eine Kinderkomponente ergänzen. Auf den allerersten Blick scheint dieses als Familiensplitting bekannt gewordene Modell ein sinnvoller Schritt zu sein, schaut man aber genauer hin, wird deutlich, dass die steuerliche Berücksichtigung von Kindern wiederum nur denen zugute kommt, die überhaupt Steuern zahlen. Ein Drittel aller Familien zahlt wegen zu geringen Einkommens jedoch gar keine Steuern mehr. Den größten Vorteil erhielten also erneut sehr gut verdienende Familien mit mehreren Kindern. Auch mit der Einführung eines Familiensplittings würde die CDU vor allem die negativen Auswirkungen des Ehegattensplittings fortschreiben.

Dabei ist es möglich, die Besteuerung so zu verändern, dass Kinder und Familien gezielt gefördert werden. Wie soll das gehen? Wir Grüne möchten, dass jede/r Erwerbstätige individuell besteuert wird. Die Unterhaltspflicht in Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften bleibt dabei bestehen – sie würde mit einem übertragbaren Grundfreibetrag berücksichtigt. Mit der veränderten Besteuerung würden steuerliche Mehreinnahmen von insgesamt rund 16 Mrd. Euro erzielt. Dieses Geld wollen wir Grüne in den Ausbau der Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur und in eine Existenzsicherung für alle Kinder bis zur Beendigung der ersten Ausbildung investieren. Allein Hamburg würde durch die Individualbesteuerung Mehreinnahmen von rund 100 Mio. Euro erzielen. Damit ließen sich ein Rechtsanspruch auf ganztägige Kindertagesbetreuung ab dem ersten Lebensjahr und eine bessere Qualität der Betreuung finanzieren.

Widersprüchliche Signale in der
frühkindlichen Bildung


Die Kinderbetreuung soll ausgebaut werden, insbesondere für die unter Dreijährigen – bis zum Jahr 2013, so der Beschluss der Bundesregierung, der auch in das Grundsatzprogramm der CDU aufgenommen wurde. Die Richtung stimmt – allerdings geht der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur zu langsam voran.
Interessanter ist allerdings der Umstand, dass sich die CDU ein Hintertürchen für die Einführung des Betreuungsgeldes, also einer Geldleistung für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, offen gelassen hat. Dabei bietet das Betreuungsgeld gerade für bildungsferne und einkommensschwache Familien einen Anreiz, ihre Kinder nicht in Kindertagesstätten betreuen zu lassen und sich statt dessen eher für die Geldleistung zu entscheiden. Das Betreuungsgeld widerspricht auch der Zielsetzung des Elterngeldes. Die CDU wird sich irgendwann entscheiden müssen, ob sie Kindertagesstätten als Bildungsorte begreift und Anreize für junge Mütter schaffen will, nach der Geburt eines Kindes in den Beruf zurückzukehren oder die klassische Rollenverteilung zwischen Vater und Mutter mit einer Herdprämie honorieren will.

Heute wissen wir, dass Kinder von einer qualitativ guten Kindertagesbetreuung profitieren. Bis zum Schulalter werden die Grundlagen für kreative Entfaltung, für Forschergeist und eine entsprechende Lebenseinstellung gelegt. Deswegen sind neben den Eltern die Kindertagesstätten so wichtig. Sie haben einen umfassenden Bildungsauftrag, der weit über Sprachförderung hinausgeht. Sie sollen die vielfältigen Talente kleiner Kinder, ihre Wissenspotenziale, ihre Mehrsprachigkeit, ihre emotionale Intelligenz, ihr soziales Lernen wie auch ihren Bewegungsdrang frühzeitig und umfassend fördern.

Soziale Herkunft und Bildungschancen –
nichts aus PISA gelernt!


»Die soziale Herkunft junger Menschen darf nicht über ihre Zukunft entscheiden.« Damit haben die Christdemokraten die zentrale soziale Frage unserer Zeit erkannt, leider ziehen sie aus dieser Erkenntnis nicht die richtigen Schlüsse, beispielsweise in der Frage der Reform des Schulsystems. Denn auch die aktuelle PISA-Studie bescheinigt der Bundesrepublik, dass die Bildungschancen von Kindern von der Ausbildung und dem Geldbeutel der Eltern abhängig sind. Deutsche Schülerinnen und Schüler bleiben bei den erreichten Kompetenzen weiterhin nur Mittelmaß. Darüber kann auch das erfreuliche Ergebnis in den Naturwissenschaften nicht hinwegtäuschen. Doch selbst dort zeigt sich die soziale Spaltung: In Hauptschulen ist der naturwissenschaftliche Unterricht ein Stiefkind und die Leidtragenden sind Kinder aus Migrantenfamilien und bildungsfernen Schichten. Und was macht die CDU? Sie stellt in ihrem Grundsatzprogramm allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz fest, dass sich das gegliederte Schulsystem als erfolgreich erwiesen hat.

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Schule abbrechen oder nicht berufsausbildungsfähig sind, ist in Hamburg besonders groß. Aber auch die Hamburger CDU hält im Grundsatz am gegliederten Schulsystem fest, auch wenn es hier »nur« noch zwei Säulen, die Stadtteilschule und das Gymnasium, geben soll. Auch dieses Modell wird die grundlegenden Probleme der Mehrgliedrigkeit nicht beheben. Die Idee, Kinder auf zwei oder drei Säulen zu verteilen, ist aus grüner Sicht sozial ungerecht, leistungshemmend und für eine moderne Gesellschaft unhaltbar. Die Kinder nach Begabung einzuteilen, wie der CDU-Senat in Hamburg plant, widerspricht allen pädagogischen Erkenntnissen und der heutigen Berufswelt.

Wer eine kindgerechte Gesellschaft will, muss das Bildungssystem grundlegend reformieren. Die GAL setzt sich seit Jahren für inhaltliche und strukturelle Veränderung der Hamburger Schulen ein. Eine Schule für alle – das bedeutet die Vermeidung der Auslese nach sozialer Herkunft, längeres gemeinsames Lernen und die individuelle Förderung aller Kinder. Wir streben für alle Jugendlichen einen mittleren Schulabschluss an. Erst dann entscheidet sich, wer weitermacht bis zum Abitur und wer direkt eine berufliche Qualifikation anstrebt. Diese Schule vermeidet nicht nur die Nachteile des gegliederten Schulsystems. Sie ist auch in der Lage, individuell sowohl starke als auch schwächere Schülerinnen und Schüler zu fördern.

Was fehlt im neuen
Grundsatzprogramm der CDU?


Ich möchte an dieser Stelle kurz auf zwei Themen eingehen, die es der CDU offenbar nicht wert waren, in das neue Grundsatzprogramm aufgenommen zu werden.

Die CDU spricht viel über die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft. Von Kinder- und Jugendpartizipation ist aber an keiner Stelle die Rede. Uns Grünen ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Planungsprozessen sehr wichtig, weil es die Akzeptanz von Maßnahmen und Projekten erhöht und Kinder und Jugendliche die Möglichkeit erhalten, in Jugendräten, Jugendparlamenten oder projektbezogen ihre Interessen zu formulieren und selbst einzubringen. In Hamburg möchte die GAL die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen als verbindliche Aufgabe in das Bezirksverwaltungsgesetz aufnehmen.

Auch das Thema Kinderrechte hat im Grundsatzprogramm der CDU keine Berücksichtigung gefunden. Dabei haben internationale Vergleichsstudien wie zuletzt die Unicef-Kinderstudie der Bundesrepublik in puncto Kinderfreundlichkeit ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Kinder finden in unserer Gesellschaft als eigenständige Persönlichkeiten keine hinreichende Anerkennung. Gewalt gegen Kinder, Vernachlässigung aber auch fehlende Angebote zur Entfaltung und schlechte Beteiligungsmöglichkeiten zeigen, dass die Wertschätzung von Kindern nicht ausreichend verankert ist. Weder das Grundgesetz noch die Hamburger Verfassung enthalten ausdrück-
lich die Rechte des Kindes. Die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz oder die Hamburgische Verfassung würde die gesellschaftliche Wertschätzung von Kindern klar zum Ausdruck bringen und Staat und Gesellschaft auf die Berücksichtigung der Belange der Kinder in allen Lebensbereichen verpflichten.

Fazit

Was bringt das neue Grundsatzprogramm der CDU Kindern, Jugendlichen und Familien? Zu wenig, meine ich. Die CDU hat mit der Aufnahme des Betreuungsgeldes in ihr Programm belegt, dass Kindertageseinrichtungen im Bewusstsein vieler Christdemokraten immer noch nicht als Bildungsorte verankert sind. Sie gibt Steuer-
erleichterungen für Verheiratete den Vorzug vor einer gezielten Förderung von Kindern und Familien. Mit dem Festhalten an einem Schulsystem, das aussortiert statt individuell zu fördern, verschlechtert sie die Bildungschancen vieler Kinder in diesem Land. Sie nimmt weiter in Kauf, dass die soziale Herkunft über die Zukunft von Kindern entscheidet. Das neue Grundsatzprogramm zeigt auch, dass sich die CDU nach wie vor schwer tut, unterschiedliche Lebensformen anzuerkennen. Sie eröffnet jungen Menschen, insbesondere Mädchen, keine Perspektiven in einer sich verändernden Welt.