Credit Points für Courage
Die Fachhochschule Erfurt erkennt gesellschaftliches Engagement ihrer Studenten als Studienleistung an. Ein Interview mit Vize-Präsidentin Ines Kadler*
ZEIT ONLINE: Frau Kadler, die FH Erfurt unterstützt Studenten, die sich beim »Netzwerk Courage«, einem Zusammenschluss verschiedener Träger, gesellschaftlich engagieren. Was ist die Idee dahinter?
Ines Kadler: Wir wollen es honorieren, wenn sich unsere Studenten außerhalb der Hochschule engagieren. Sie arbeiten in verschiedenen Projekten des Netzwerks mit, an dem Jugendhilfeträger wie die Arbeiterwohlfahrt, DGB-Jugend, die Falken oder die Jusos beteiligt sind. Für ihre Arbeit erhalten die Studenten Credit Points, die für das Studium angerechnet werden.
?: Wie muss man sich das vorstellen? Entspricht die Teilnahme an einem Projekt einer Seminararbeit?
I. K.: Für einen bestimmten Arbeitsaufwand gibt es eine genaue Anzahl von Punkten. So, als würde der Student ein Seminar besuchen, eine Hausarbeit schreiben oder ein Referat halten. Für bestimmte Projekte, die sich über mehrere Semester ziehen, kann es bis zu acht Punkte geben. Arbeitsaufwand im Studium und Projekt sind gleichgestellt.
?: Welche Projekte gibt es?
I. K.: Das Netzwerk veranstaltet Workshops in Schulen und anderen Ausbildungsstätten zu den Themen Rassismus, Diskriminierung, Vorurteile, Courage. Es finden auch Projekttage statt zu Solidarität, Demokratie und politischer Mitbestimmung oder zum bewussten Umgang mit Medien. Soziales Engagement steht im Mittelpunkt. Ein Team vor Ort arbeitet mit Jugendlichen ab der achten oder neunten Klasse. Das geschieht manchmal spielerisch, manchmal in einer Art Vortragreihe oder Rundgang.
?: Ist die Vergabe von Credit Points auf bestimmte Fachbereiche beschränkt?
I. K.: Das Angebot soll für alle unsere Studenten gelten. Soziales Engagement ist bei uns ein wichtiges Thema im Fachbereich Sozialwesen, im Zentrum für Weiterbildung und auch bei den Studenten und Uni-Gruppen selbst.
?: Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Netzwerk?
I. K.: Wir stellten fest, dass Zeitmangel und Überschneidungen mit dem Uniangebot ein Problem für engagierte Studenten wurden. Also haben wir uns überlegt, was wir tun können, damit soziales Engagement für Studenten attraktiv bleibt. Dass diese Arbeit jetzt gewürdigt wird, begrüßen die Studenten natürlich.
?: Wie viele Studenten nehmen teil?
I. K.: Es finden etwa 200 Veranstaltungen pro Jahr statt, bei jeder sind ein bis zwei Studenten beteiligt. Für das nächste anstehende Projekt haben sich zwölf oder dreizehn unserer Studenten beworben.
?: Gibt es innerhalb ihrer Hochschule auch Kritik an diesem Projekt?
I. K.: Nicht jeder Fachbereich hält dieses Engagement für so studienrelevant wie eine Hausarbeit, wir müssen für die Idee werben. Ich halte diese Erfahrungen für eine lebensqualifizierende Kompetenz. Als Hochschule wollen wir Leistungen der Studenten anerkennen, die im ersten Moment unterrichtsfern erscheinen. Das ist Teil des Bologna-Prozesses. Wir würden in Zukunft gerne jede Eigeninitiative der Studenten in solche Richtungen unterstützen und das Spektrum erweitern.
?: Die Junge Union Thüringen kritisiert, dass Sie beim Ehrenamt Unterschiede machen und nur bestimmte Aktivitäten als Studienleistung anerkennen.
I. K.: Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr können wir nicht honorieren, wie es die Junge Union fordert. Unser Projekt ist auch erst der Startschuss. Es wird sich erst zeigen, ob man auch andere Ehrenämter mit einem sozialen Hintergrund miteinbeziehen kann.
?: Ist die Hochschulpartnerschaft denn einmalig in der deutschen Hochschullandschaft?
I. K.: Ja, aber wir finden hoffentlich Nachahmer. Ich denke, dass gesellschaftliches Engagement als Studienleistung anerkannt werden muss.
-----------------------------------------------------------------
* Reprint des Interviews vom 14.02.2009 mit freundlicher Genehmigung von
ZEIT ONLINE. Die Fragen stellte Christian Weiss.