Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2023, Rubrik Titelthema

Selber machen … !

Interview mit Aktiven

? ?  Die Jugendfeuerwehr Hamburg hat bereits ein Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt. Gleichwohl: Ihr wollt ein neues. Warum?

Patrick: Wir haben vor rund zehn Jahren als Jugendfeuerwehr ein Konzept entwickelt, das acht unterschiedliche Maßnahmen zur Prävention vor sexualisierter Gewalt enthält, darunter auch den Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen. Dieses Schutzkonzept hat den Rang einer »Anweisung des Landesbereichsführers« aufgrund einer Rechtsverordnung und daher ein hohes Gewicht innerhalb der gesamten Organisation mit ihren über 1.000 Jugendlichen und über 2.500 Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehren. Die besondere Struktur der Jugendfeuerwehr als Bestandteil der Freiwilligen Feuerwehr ermöglicht es uns, schnell und klar Maßnahmen anzuweisen, um im Verdachtsfall Personen auszuschließen. Nach zehn Jahren wollen wir prüfen, ob diese Maßnahmen zielführend waren und wo nachgesteuert werden muss. Dafür wollen wir intensiver als damals nicht nur unsere Gremien sondern auch direkt unsere Mitglieder in den Evaluations- und Entwicklungsprozess einbinden.

? ?  Also mehr Partizipation bei der Erarbeitung?

Patrick: Das ist der entscheidende Punkt. Wenn ein Schutzkonzept später in der Praxis gelebt werden soll, dann muss es durch Mitglieder der Jugendfeuerwehr erarbeitet und zudem partizipativ abgestimmt werden. Dieser Prozess ist bereits ein Teil der Präventionsarbeit. Denn darüber greifen wir ein bestehendes Problembewusstsein hinsichtlich sexualisierter Gewalt auf und schaffen den Raum für eine vertiefte Sensibilisierung in konkreten Gefährdungslagen. Wir haben nun einen ehrenamtlichen Arbeitskreis zur Erarbeitung eines eigenen Schutzkonzeptes für die Jugendfeuerwehr ins Leben gerufen. Um auch Expertise von außen zu erhalten, wird uns eine Honorarkraft auf dem Wege der Erarbeitung unterstützen.

? ?  Selber-machen ist ebenso das Grundprinzip bei Pfadfinder*innen. Zumal in Verbänden, die keine hauptamtliche Unterstützung haben – wie in euren Verbänden, dem Bund christlicher Gemeinde-Pfadfinder*innen (CGP) und dem Deutschen Pfadfinderbund Hamburg (DPBH). Wie weit seid ihr mit der Erarbeitung eines Schutzkonzeptes?

stizu: Wir fangen in der CGP keineswegs von vorne an. Im Gegenteil. Wir haben ein selbst erarbeitetes Schutzkonzept, bereits ein Präventionsteam als Ansprechpersonen bei Vorfällen – dazu zählt lumo – und arbeiten zur Zeit daran, unser Schutzkonzept weiter im Verbandsalltag zu verankern. Auf unseren Lagern ist beispielsweise immer jemand von unserem Präventionsteam vor Ort. Zudem ist die Präventionsthematik integraler Bestandteil unserer Ausbildung von Jugendleiter*innen.

lumo: Die Herausforderung, ein Schutzkonzept für seinen Verband aufzusetzen und im Alltag zu implementieren, ist ein sehr langwieriger und zeitintensiver Vorgang. Da braucht man einen langen Atem. Entscheidend ist dabei, an der Verbandsidentität und der sich daraus ergebenden Haltung anzuknüpfen. Wollen wir Gewalt im eigenen Verband? Wollen wir Machtmissbrauch? Da ist die Antwort doch klar. Das wollen wir nicht. Also wollen wir das auch nicht in Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt. Diese Antwort ist ebenso klar. Doch genau dieses scheinbar Selbstverständliche muss in einem gemeinsamen Prozess herausgearbeitet und vergegenwärtigt werden. Und zwar auf allen Ebenen in unserem Pfadfinder*innenverband. Deshalb ist es so wichtig, in der Frage der Prävention sexualisierter Gewalt bei der eigenen Verbandsidentität anzuknüpfen, um die eigenen Leute mitzunehmen. Es gilt, eine Haltung gegen jede Art von Gewalt und Machtmissbrauch zu bestärken.

? ?  Macht ihr das im Deutschen Pfadfinderbund Hamburg anders?

Sarah: Nein, ganz im Gegenteil. Ohne innerverbandliche Partizipation gelingt nichts beim Prozess, eine Präventionskultur im Jugendverband zu etablieren. Während wir beim DPBH für die Intervention bei Vorfällen zwar ein geschlossenes Team gebildet haben, so ist das Team, das die Präventionsfrage behandelt, offen auch für jüngere Verbandsmitglieder. So gelingt es uns, mehr Leute einzubinden und das Thema breiter in den Verband zu streuen. Wichtig ist zudem der Faktor der überverbandlichen Vernetzungstreffen. Pfadfinder*innenverbände unterschiedlicher Art begegnen sich beispielsweise auf gemeinsamen Lagern oder Veranstaltungen. Und wenn dann dort die einen sehen, was andere in den Fragen um Machtmissbrauch und Prävention bei sich schon vorangebracht haben, dann hat das eine Außenwirkung, die andere ermutigt, solche Fragen auch in ihrem Verband anzugehen.

? ?  Präventionsarbeit ist wichtig, Sexualpädagogik ebenso. Die Selbsterfahrung eigener Sexualität und der Geschlechtsidentität ist im Jugendalter zentral. Das verläuft nicht jenseits der Jugendverbandsarbeit sondern ist Thema mitten drin. Wie geht ihr damit um?

Sarah: Das Sich-selbst-auszuprobieren ist ja ein Kernelement der Pfadfinder*innenarbeit. Dazu gehören eben auch Fragen von Gender, Verhalten und Orientierung. Bei uns gibt es viele körperbezogene Aktivitäten, und damit gehört das Austesten von Grenzen dazu. Sexualisierte Gewalt ist aber keine Spielform. Deshalb ist es uns wichtig, beide Seiten – Prävention und Sexualpädagogik – zusammen zu denken. Gleichwohl ist es bei uns so, dass wir uns zur Zeit auf die Prävention konzentrieren. Da ist aktuell der Bedarf größer. Sexualpädagogik zu implementieren, wäre der nächste große Schritt. Das bedürfte vielfacher Abstimmung, auch im Hinblick auf die Eltern unserer Mitglieder. Aber es ist ein Thema, das immer wieder in unserem Verband auftaucht, weil sich Mitglieder des Vereins der LGBTQIA* zugehörig fühlen.

lumo: Wir sind noch nicht an dem Punkt, wo wir ein eigenes Konzept zur Sexualpädagogik haben. Aber das ist ja kein Thema, wo Jugendverbände allein zuständig wären. Da sind Elternhaus, Schule und andere Kontexte junger Menschen ebenso wichtig und gefordert. Idealerweise sollte aber die Präventionsarbeit auch Sexualpädagogik mit einschließen. Das widerspricht sich ja nicht, sondern sollte sich ergänzen.

? ?  Wo könnte das LJR-Projekt zu Prävention und Empowerment eure Arbeit unterstützen?

Sarah: Da gibt es viele Anknüpfungspunkte. So bei vielen Detailfragen: Schön wäre es z.B. zu wissen, wenn man auf Beratungsstellen zugeht, welche von diesen überhaupt verstehen, wie Jugendverbandsarbeit aufgebaut ist. Dieses immer erst erklären zu müssen, ist sehr hinderlich. Zudem ist das Forum zum überverbandlichen Austausch eine gute Idee. Verbände, die noch am Anfang der Präventionsthematik stehen, können hier von anderen, weiter fortgeschrittenen lernen, dass die Realisation ein partizipativer Prozess ist. Und dass man am Anfang nicht gleich alles machen kann. Aber es ist wichtig, sich auf den Weg zu machen.

 

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LJR-Präventionsprojekt zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und Empowerment

Jugendverbände stehen als selbstorganisierte Freiräume junger Menschen in besonderer Verantwortung. Das Präventionsprojekt unterstützt alle Hamburger Jugendverbände bei der Weiterentwicklung ihrer Präventions- und Interventionsmaßnahmen, bei der Stärkung eines wirksamen Kinderschutzes und sichert so den Schutz vor sexualisierter Gewalt dauerhaft.

Das Projekt richtet sich an alle Aktiven im Verband, insbesondere an Vorstände, Vertrauenspersonen, Bildungsreferent*innen, Juleica-Inhaber*innen und Multiplikator*innen. Es bietet euch Workshops und Fortbildungen, um Schutzkonzepte verbandsspezifisch (weiter) zu entwickeln und die Prävention sexualisierter Gewalt im Jugendverband zu verankern.

Mit Seminaren zu Themen wie Kinderrechten, Partizipation, Inklusion oder digitaler Gewalt empowern wir Aktive in den Jugendverbänden, neue Themen in die eigene Gruppenarbeit oder Freizeit einfließen zu lassen und qualifizieren diese.

Das gesamte Programm gestalten wir mit euch gemeinsam. Dafür laden wir regelmäßig zu einem Runden Tisch Kinder- und Jugendschutz ein, damit eure Themen aufgegriffen werden und ihr euch untereinander fachlich austauschen und mit weiteren Organisationen vernetzen könnt.

Kontakt und Beratung: Landesjugendring Hamburg e.V. | Karolin Joppich | Tel.: (040) 25 49 75 12 | karolin.joppich@remove-this.ljr-hh.de 

Dieses Projekt wird gefördert durch:
• Amt für Familie – Sozialbehörde | www.hamburg.de/sozialbehoerde
• BUDNIANER HILFE e.V. | www.budnianer-hilfe.de