Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2022, Rubrik Titelthema

Mitwirkung mit Wirkung

Neue Broschüre im Rahmen der Jugendstrategie der Bundesregierung

Die neuen Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung sind vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinsam mit dem Deutschen Bundesjugendring und mit Unterstützung von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis erarbeitet worden.

Neben der Beschreibung eines Verständnisses von Beteiligung und Methoden zur Beteiligung werden die Standards beschrieben, zu den wesentlichen zählen: Beteiligung braucht förderliche institutionelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Beteiligung schließt alle jungen Menschen ein, Beteiligung braucht Qualifikation, Beteiligung ist transparent und Beteiligung wird überprüft.

Zu den aufgeführten Handlungsfeldern zählen unter anderem Familienbildung, -beratung und -arbeit, Kindertagesbetreuung, Schule und Ganztag, offene Kinder- und Jugendarbeit, Kinder- und Jugendverbände, Kinder- und Jugendarbeit im Sport, kulturelle Kinder- und Jugendbildung, außerschulische politische Jugendbildung, internationale Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit sowie Einrichtungen und Dienste der Hilfen zur Erziehung. Ein Kapitel ist der digitalen Beteiligung gewidmet.

Onlineversion der Broschüre:
https://standards.jugendbeteiligung.de

Empfehlungen für Qualitätsstandards

Text: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Familie

Offene Kinder- und Jugendarbeit
• Es gehört zum Selbstverständnis des Trägers und der Einrichtung, dass die Angebote und Inhalte von den Besucher*innen mitbestimmt, mitgestaltet und mit ihnen gemeinsam organisiert werden.

• Beteiligungsrechte, -strukturen und -verfahren sind institutionell verankert und können jederzeit und von allen Fachkräften in Anspruch genommen werden.

• Für die unterschiedlichen Adressat*innengruppen und ihre Interessen werden geeignete Beteiligungsverfahren implementiert und regelmäßig überprüft. Ggf. erhalten Kinder und Jugendliche Unterstützung bei der Ausgestaltung von Beteiligungsprozessen. Die Fachkräfte sind qualifiziert, mit kontroversen Interessen und Bedarfen konstruktiv umzugehen.

• Angebote und Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit eröffnen barrierefreie Freiräume, innerhalb derer Selbstbestimmung und Selbstorganisation ermöglicht wird. Dies spiegelt sich sowohl in der Konzeption als auch im Alltag wider. Entsprechende Organisationsentwicklungsprozesse stellen sicher, dass die Einrichtungen auf veränderte Anliegen und Bedarfe reagieren können.

• Beteiligung im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bezieht sich sowohl auf die Einrichtungen als auch auf den Sozialraum.

Kinder- und Jugendverbände
• Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen wird auf allen Ebenen und im Hinblick auf alle Inhalte und Themen der Verbände von allen Verantwortlichen und Beteiligten gewollt, gelebt und alters- und lebenslagengerecht aktiv gefördert. Kinder und Jugendliche haben jederzeit die Möglichkeit, eigene Themen einzubringen. Beteiligung bezieht sich dabei nicht nur auf die verbandsinternen Themen, Strukturen und Verfahren, sondern auch auf das kinder- und jugend- bzw. gesellschaftspolitische Engagement der Verbände.

• Die Verfahren zur Beteiligung sind altersgruppen- und lebenslagengerecht sowie barrierefrei angelegt und werden regelmäßig darauf hin überprüft bzw. weiterentwickelt.

• Es stehen ausreichend Ressourcen (Finanzmittel, Kompetenzen, Zeit und Freiräume) für die demokratischen Aushandlungsprozesse durch die Kinder und Jugendlichen sowie ggf. für ihre Unterstützung zur Verfügung.

• Es gibt einen breiten verbandsinternen und verbandsübergreifenden sowie verbindlichen Konsens, dass Beteiligung von Kindern und Jugendlichen neben der Freiwilligkeit das leitende fachliche Prinzip der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit darstellt. Alle haupt- und ehrenamtlich Verantwortlichen tragen diesen Konsens mit und leben ihn praktisch.

• Haupt- und ehrenamtliche Fachkräfte, Gruppenleiter*innen sowie Multiplikator*innen werden durch Fortbildungen im Bereich Beteiligung qualifiziert und befähigt, die eigenen Beteiligungsprozesse kritisch zu überprüfen.

• Landes- und Bundesverbände, Dachverbände sowie Jugendringe geben fachliche Impulse zur Stärkung von Beteiligungsprozessen vor Ort.

Kinder- und Jugendarbeit im Sport
• Teilnahme von Kindern und Jugendlichen an Bewegung, Spiel und Sport im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit im Sport ist so organisiert, dass beteiligungsförderliche Erfahrungen gemacht und Kompetenzen erworben werden.

• Dazu gehört auch die Überprüfung der Rolle der haupt-, neben- und ehrenamtlichen Fachkräfte und dabei vor allem der Trainer*innen und Übungsleiter*innen sowie die immer wieder neu vorzunehmende Nachjustierung des Spannungsverhältnisses von Leistungsprinzip und der Orientierung an sportlichem Erfolg einerseits und von Teilnahme und Beteiligung andererseits im Sinne eines auf Beteiligung orientierten Angebotes.

• Qualifikationsangebote für Multiplikator*innen von Landessportjugenden und sonstigen Jugend- und Sportverbänden werden dafür genutzt, eine beteiligungsfördernde Haltung sowie Methodenkompetenz sicherzustellen und Prozesse der Organisationsentwicklung voranzutreiben. Kinder und Jugendliche sollten ebenfalls die Möglichkeit haben, sich zu qualifizieren.

• Kindern und Jugendlichen werden im Rahmen der Vereine und Verbände und ihrer Gremien alters- und lebenslagengerecht Möglichkeiten der Beteiligung im Sinne von Mitbestimmung und Entscheidung, Mitsprache und Aushandlung sowie Mitgestaltung und Engagement auf allen Ebenen und in jeder Hinsicht ermöglicht.

• Ein breites Spektrum an beteiligungsfördernden pädagogischen Konzepten, Methoden und Prinzipien unterstützt Kinder und Jugendliche, ihre Interessen zu erkennen und wirksam zu vertreten. Diese werden regelmäßig hinsichtlich ihrer Zugänge und ihrer Wirksamkeit überprüft.

• Voraussetzung dafür sind Raum, Zeit, finanzielle Ausstattung sowie eine Kultur, die jungen Menschen Selbstgestaltungsmöglichkeiten in eigener Verantwortung bietet.

Internationale Jugendarbeit
• Bei bestehenden Jugendwerken sowie im Fall von Neugründungen werden Jugendliche und ihre Interessenvertretungen immer bei der Besetzung der dortigen Gremien einbezogen.

•  In bilateralen Gremien der internationalen Zusammenarbeit werden Interessenvertretungen junger Menschen einbezogen.

• Beteiligung ist in allen Feldern und Angeboten der internationalen Jugendarbeit Standard und Thema des Austausches.

• Im Vorfeld der Begegnung oder des Austausches sollten sich alle Beteiligten gemeinsam über die Programmgestaltung verständigen. Das Programm sollte Freiräume für selbstorganisierte Gestaltungsmöglichkeiten beinhalten.

• Kinder und Jugendliche sind an allen Phasen (Vorbereitung, Durchführung, Nachbereitung) beteiligt. Sie planen die Begegnung von vorne-herein mit und haben während der Durchführung Raum für Gestaltung. In der Nachbereitung fließen ihre Änderungsvorschläge, Ideen und ihre Kritik in die Planung weiterer Aktivitäten ein. Zur Ermöglichung von Beteiligung steht in der Planungsphase ausreichend Zeit zur Verfügung.

• Begleitpersonen und Betreuende verfügen über die in diesem Kontext notwendigen interkulturellen Kompetenzen und bekommen die Möglichkeit, sich dahingehend zu qualifizieren.

• Um allen jungen Menschen die Möglichkeit zur Teilnahme und Teilhabe an Angeboten der Internationalen Jugendarbeit zu ermöglichen, werden vorhandene Schwellen (z. B. Teilnahmebeiträge, Informationshürden etc.) abgebaut. Mit Blick auf junge Menschen mit Behinderungen gilt es, vorhandene Hürden jeder Art abzubauen und ggf. die Angebote im Hinblick auf Barrierefreiheit weiterzuentwickeln.

Beteiligung junger Menschen in der Kommune
• Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss kommunalpolitisch gewollt, ernst genommen und unterstützt werden. Es bedarf eines die gesamte kommunale Politik und Verwaltung umfassenden Konsens und einer entsprechenden politischen Willenserklärung. Der politische Wille muss sich in verbindlichen Verfahren, Strukturen und Dialogformen wiederfinden.

• Gemeinsam verabschiedete und mit Kindern und Jugendlichen erarbeitete Leitbilder zur Beteiligung in der Kommune formulieren die gemeinsamen Ziele, regeln die Verfahren und klären die Strukturen.

• Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene bezieht sich auf alle sie betreffenden kommunalen Handlungsfelder, also neben der Schule und der Kinder- und Jugendhilfe, z. B. auf Verkehrspolitik, Wohnpolitik, Stadt- und Regionalentwicklung, Infrastruktur, Klimaschutz etc.

• Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene setzt frühzeitige Transparenz über Planungsvorhaben der Kommune voraus.

• Initiativen von Kindern und Jugendlichen, sich zu beteiligen, werden gefördert und angeregt. Kinder und Jugendliche werden auf kinder- und jugendgerechten Wegen und Arten, wozu auch die sozialen Medien gehören, motiviert, sich zu beteiligen.

• Die Beteiligungsmöglichkeiten sind vielfältig und werden den unterschiedlichen Bedürfnissen aller Kinder und Jugendlichen unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, körperlichen, geistigen und psychischen Voraussetzungen und Bildungshintergrund gerecht. Institutionelle Rahmenbedingungen und die Verfahren sind lebensweltnah, altersgerecht und inklusiv gestaltet. Beteiligungsgremien sind an- oder mindestens rückgekoppelt an bestehende Strukturen, wie z. B. Kreisjugendringe, Kinder- und Jugendhilfeausschüsse, Kinder- und Jugendbeauftragte, Einrichtungsbeiräte und -vertretungen etc.

• Es gibt transparente (Aus-)Wahlverfahren zur Zusammensetzung der Beteiligungsgremien und entsprechende Informationsmöglichkeiten.

• Es gibt vor Ort unabhängige Ansprechpartner zur Initiierung und Unterstützung von Beteiligungsprozessen. Diese sind ausreichend ausgestattet und verfügen über angemessene eigene Budgets.

• Vertretungen von selbstorganisierten Zusammenschlüssen von Kindern und Jugendlichen gehören dem Jugendhilfeausschuss als beratende Mitglieder an. Jugendämter arbeiten mit den selbstorganisierten Zusammenschlüssen von Kindern und Jugendlichen zusammen, vor allem wenn es um Lösungen von Problemen im Gemeinwesen geht. Sie fördern und regen Selbstorganisationen von Kindern und Jugendlichen vor Ort an.

Beteiligung junger Menschen auf Landesebene
• Auf Landesebene bestehen verschiedene, auf Dauer gestellte und verbindliche Verfahren und Gremien, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich an den sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen und ihre Interessen zu vertreten. Vorhandene Strukturen auf Landesebene sollten dabei gestärkt werden, Parallelstrukturen sind zu vermeiden.

• Neben Selbstvertretungsgremien, die sich für die Anliegen und Interessen bestimmter Gruppen (z. B. Schüler*innen) engagieren und von dort aus mandatiert sind, gibt es auch offene und so weit wie möglich barrierefreie Beteiligungsformate, die im Prinzip allen Kindern und Jugendlichen zugänglich sind.

• Die Auswahlverfahren zur Mitwirkung in den Gremien sind transparent und werden offensiv landesweit beworben. Entsprechende Informationsmöglichkeiten stehen zur Verfügung. Ziel ist es, ein breites und inklusives Spektrum der Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen für die Gremien zu gewinnen.

• Mindestens über Vereinbarungen wird geregelt, wie die Beschlüsse der Beteiligungsgremien in den politischen und administrativen Raum kommuniziert werden, welche Verbindlichkeit der Befassung besteht und dass es Rückmeldungen über die Art des Umganges mit ihnen gibt.

• Die Verfahren und Gremien werden durch Fachkräfte, eine Servicestelle bzw. bestehende Träger wie etwa Landesjugendringe oder andere Träger begleitet und unterstützt und verfügen über ein angemessenes eigenes Budget für diese Arbeit.

• Die Umsetzung von Kinder- und Jugendbeteiligung erfolgt auch im Rahmen von landespolitischen Programmen und Strategien, die unter Mitwirkung der Interessenvertreter*innen von Kindern und Jugendlichen stets weiterentwickelt werden sollten.

• Bereits bestehende Strukturen wie etwa die Kinder- und Jugendverbände, Jugendringe, Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit und die Schüler*innenvertretungen sollten bedarfsgerecht gefördert und ggf. ausgebaut werden. Wirksame Beteiligung benötigt dauerhaft angelegte Strukturen, Ressourcen und Unterstützung für (Jugend-)Engagement.

Beteiligung junger Menschen auf Bundesebene
• Beteiligungsprozesse junger Menschen auf Bundesebene machen von Beginn an transparent, welche Funktion der Beteiligungsprozess hat, wie er in die politischen und administrativen Prozesse eingebettet ist und wie das weitere Verfahren sein wird.

• Es bedarf alters- und lebenslagenbezogen angemessener Formen der Ansprache, der Kommunikation und des Dialogs. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei auf die Nutzung sowie Weiterentwicklung barrierefreier digitaler und anderer inklusiver Angebote zu legen.

• Beteiligungsprozesse junger Menschen auf Bundesebene werden unterstützt und organisiert durch eigenständige Servicestellen und/oder in Kooperation mit geeigneten Trägern und Interessenvertretungen von Kindern und Jugendlichen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendpolitik bzw. -hilfe.

• Kinder und Jugendliche, die an Beteiligungsprozessen auf Bundesebene teilnehmen, werden im Vorfeld alters- und lebenslagengerecht informiert, vorbereitet und begleitet.

• Beteiligungsprozesse auf Bundesebene mit Kindern und Jugendlichen werden systematisch ausgewertet und weiterentwickelt. Neben der Frage der Angemessenheit des Verfahrens und der Rahmenbedingungen gilt es zu prüfen, inwieweit es gelungen ist, die Pluralität der Interessen und Anliegen von Kindern und Jugendlichen sichtbar zu machen.

• Beteiligungsprozesse junger Menschen auf Bundesebene sind eingebettet in ressortbezogene und ressortübergreifende Qualitätsentwicklungsprozesse. Es besteht ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch mit erfahrenen Akteuren für Beteiligung und Interessenvertretungen junger Menschen auf Bundesebene.