Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2022, Rubrik Titelthema

»Wir haben viel nachzuholen …«

Interview mit Nadja Wendland (34) vom Internationalen Jugendverband Europa – Lateinamerika (ijel)

Bist Du über einen internationalen Austausch beim ijel eingestiegen?

Nadja: Nein, über ein Praktikum in 2012. Ein Studienkollege in Bremen hatte mir den ijel empfohlen. Während des Praktikums habe ich gleich beim Lateinamerika-Festival mitgeholfen. Dieses war ja lange Zeit das größte Event des ijel – zunächst im damaligen Museum für Völkerkunde und später in der Fabrik in Altona. In meiner Praktikumszeit war zudem eine Gruppe aus Kuba zu Besuch. Ich fand das Austauschkonzept sehr interessant und spannend, so dass ich große Lust hatte, im nächsten Jahr mit nach Kuba zu dem Austausch zu reisen. So bin ich dabei geblieben und habe alle Stufen im Verband durchlaufen. Seit 2017 bin ich im Vorstand des ijel aktiv. Das ist nun schon meine dritte Amtsperiode im Vorstand. Erst als Beisitzerin und aktuell als erste Vorsitzende. Über die Jahre habe ich zudem bei verschiedenen internationalen Austauschen mitgewirkt. Zunächst als Co-Leiterin, um Erfahrungen zu sammeln. Dieses Jahr werde ich als Leiterin einen Austausch durchführen und eine jüngere Person anlernen. Dieses Mentoring ist eine Säule in unserem Verband, um jüngere Mitglieder an die Aufgaben bei einem Austausch heranzuführen.

Dieses Jahr könnt Ihr nach zwei Jahren Pandemie endlich wieder mit internationalen Austauschprojekten durchstarten. Was habt Ihr vor in diesem Jahr?

Nadja: Sehr viel. Wir haben viel nachzuholen, was in den letzten zwei Jahren auf Eis lag. Zunächst empfangen wir eine Gruppe aus Barranquilla, Kolumbien. Wir treffen junge Menschen, die sich im Programm Univoluntarios engagieren. Das ist ein soziales Freiwilligenprogramm der dortigen Universidad del Norte. Mit diesem Partner haben wir bereits mehrere Austausche realisiert. Das Treffen in diesem Jahr ist bereits das vierte gemeinsame Projekt. 2019 war zuletzt eine Hamburger Gruppe vor Ort in Kolumbien, und dieses Jahr machen wir die Rückbegegnung in Hamburg. Es werden 15 Kolumbianer nach Hamburg kommen.

Zudem fahren wir dieses Jahr nach Guadalajara in Mexiko. Dort haben wir mit der Conectando Culturas einen langjährigen Partner. Der Austausch wird über drei Wochen im August laufen. Das Thema wird Umweltschutz in globaler Perspektive sein. Für diesen Austausch suchen wir noch Teilnehmende und zudem auch junge Menschen, die Betreuungsaufgaben übernehmen können. Dass wir da noch suchen, ist eine unmittelbare Folge der Pandemie. Und der dritte Austausch, den wir dieses Jahr unternehmen werden, ist eine Reise nach Chile. Dort haben wir eine neue Kooperation mit einem Theaterkollektiv E.L.A.S. in Valparaíso. Diese Gruppe hat sich vor ein paar Jahren während der sozialen Proteste in Chile gegründet. Sie machen Theater und Performance als Protestaktionen. Wir werden mit ihnen gemeinsam verschiedene Performances einstudieren und diese dann im öffentlichen Raum aufführen.

Dass Ihr zumindest für einen Austausch noch Teamer sucht, ist also eine unmittelbare Folge der Pandemie. Wie seid Ihr als Jugendverband, der von Austauschprogrammen lebt, durch diese Zeit gekommen? Internationale Austausche konnten die letzten zwei Jahre wohl nicht stattfinden, oder?

Nadja: Richtig. Wir haben gleichwohl einiges gemacht. Aber nicht in dem Umfang, wie wir es gewollt haben. Im ersten Pandemiejahr mussten wir zunächst alle geplanten Austausche absagen. Wir haben versucht, dies aufzufangen, indem wir unsere vereinsinternen Treffen in den digitalen Raum verlagert haben. Da aber der Alltag unserer Mitglieder, dies sind Schüler, Berufsanfänger oder Studenten, sowieso schon stark durch Online-Meetings geprägt war, stellte sich schnell eine digitale Müdigkeit ein. Wir haben es 2020 immerhin noch geschafft, ein Vereinswochenende unter den damals geltenden Corona-Auflagen zu machen. Wir sind ein Wochenende gemeinsam weggefahren, und das war nach der langen Zeit des Nicht-Sehens sehr schön. Aber es ist richtig, dass die aktive Arbeit im Verband weitgehend zum Erliegen kam.

Ohne Austausche braucht es keine Planungstreffen, und so hattet Ihr eine lange Durststrecke. Konntet Ihr in 2021 etwas unternehmen?

Nadja: Wir haben uns dann überlegt, ein internationales Austauschprojekt online ins Leben zu rufen. Das war ein wunderschönes Projekt, ein theaterpädagogischer Workshop, der sich über mehrere Monate erstreckte. Angesichts der Pandemielage haben wir ihn social un/distancing genannt. Er wurde von einer Theaterpädagogin angeleitet und hat richtig Spaß gemacht.

Diese Workshops konntet Ihr mit internationalen Partnern realisieren?

Nadja: Ja, das hat geklappt. Beteiligt waren unsere Kooperationspartner in Peru und ein paar Leute aus Mexiko. Es kam eine spannende Gruppe zusammen. Angesichts der Hürden, die uns die Pandemie in den Weg gelegt hat, war dieses theaterpädagogische Projekt ein gelungener Ausweg. Wir haben das Projekt digital dokumentiert – zu finden unter www.socialundistancing.art.

Habt Ihr in den Pandemiejahren Hilfspakete in Anspruch genommen? Zum Beispiel vom Bundesprogramm »Aufholen nach Corona«?

Nadja: Wir haben zunächst viel Hilfe von der Sozialbehörde bekommen. Zum Beispiel in der Frage der Eigenmittel bei der Finanzierung unserer Räumlichkeiten, die wir mangels Einnahmen in den Pandemiejahren nicht mehr erbringen konnten. Normalerweise finanzieren wir unsere Eigenmittel über Projekte und Events wie das Lateinamerika-Festival. Da kam uns glücklicherweise die Sozialbehörde entgegen. Für die aktuellen Austauschmaßnahmen in diesem Jahr haben wir dann Gelder aus dem Förderprogramm »Aufholen nach Corona« erhalten.

Noch mal zurück zu Eurer personellen Lage. Ist das Eure größte Sorge nach zwei Jahren Pandemie?

Nadja: Momentan schon. Das trifft insbesondere unseren Mexiko-Austausch. Als wir diesen vor zwei Jahren planten, hatten wir zur Durchführung noch genug Leute an Bord. Diese besaßen Erfahrungen im internationalen Austausch und waren auch im Besitz der Juleica. Diese Leute fehlen uns nun. Das ist sehr schade – gerade jetzt, wo wir nun durchstarten wollen. So suchen wir jetzt nach Wegen, diese Lücken zu schließen.

Diese Lücken sind gewiss auch deshalb entstanden, weil aus dem Kreis der Teilnehmenden an einem internationalen Austausches keine neuen Kräfte gewonnen werden konnten. Erlebt Ihr also – gewissermaßen zeitverzögert – erst jetzt die strukturellen Folgen der Pandemie in Eurem Jugendverband?

Nadja: Das ist richtig. Dadurch, dass wir nur wenige Veranstaltungen haben machen können, sind kaum neue Leute hinzu gestoßen. Im letzten Sommer haben wir – natürlich unter den Corona-Auflagen – Seminare, Workshops und Sportaktivitäten angeboten. Zunächst für vier Wochen und dann noch über ein paar Wochenenden im Herbst.

Wie lange wird es brauchen, bis Ihr den Verbandsstatus aus der Zeit vor der Pandemie wieder erlangen könnt?

Nadja: Die Strukturen sind da, aber das können wir nicht prognostizieren. Wir hoffen, da wir nun mit dem ersten Austausch direkt in Hamburg starten können, dass wir darüber wieder Leute gewinnen, die uns auch bei unseren weiteren Projekten helfen können.

(Das Interview führte Jürgen Garbers, LJR Hamburg)