Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2022, Rubrik Titelthema

»Egal, wie man aussieht oder wo man herkommt …«

Interview mit Olivia Brzeski-Stübbecke (Fuhlsbüttel, 16), Thamer Abada (Altona, 16) und Nils Pank (Moorburg, 16) von der Jugendfeuerwehr Hamburg

Jenseits der Jugendfeuerwehr: Wie seid Ihr durch die Pandemie gelangt? Ihr seid Schüler?

Olivia: Ja, wir sind Schüler, Nils wechselt im Sommer in eine Ausbildung. In der Zeit des Homeschoolings war für mich insbesondere die Einseitigkeit bei den Online-Konferenzen frustrierend. Man konnte sich kaum beteiligen. Die Lehrer hatten meistens eine Präsentation vorbereitet und haben diese dann herunter gespult. Schule war so wirklich anstrengend. Ich hatte das Gefühl, wir bekamen mehr Aufgaben gestellt, als wenn wir vor Ort in der Schule gewesen wären. Ich saß von morgens bis in den Nachmittag im Online-Unterricht. Und dann folgten noch die Hausaufgaben, so dass ich häufig bis 18 Uhr mit der Schule beschäftigt war.

Thamer: Das Homeschooling war wirklich schlimm – gerade für mich, da meine Schulleistungen wesentlich von meiner Beteiligung im Unterricht abhängen. Bei schriftlichen Prüfungen bin ich zwar recht gut, aber meine Note bessert sich durch meine mündlichen Leistungen. Ich liebe es, mich aktiv im Unterricht zu beteiligen. Während der Zeit des Homeschoolings war das kaum möglich, und so sind meine Noten schlechter geworden. Das ganze Mündliche war ja weggefallen. Es war fürchterlich ermüdend, die ganze Zeit am Rechner zu sitzen. Irgendwann gibt man auf. Vor Ort in der Schule bin ich motivierter.

Nils: Zu Hause war ich sehr eingepfercht. Und wenn es dann ein Treffen der Jugendfeuerwehr gab, auch wenn es zeitweise nur online war, so war das für mich total wichtig, einfach mal wieder mit den Freunden zu quatschen und den Kopf frei zu kriegen. Homeschooling war dagegen sehr hart. Wenn man zu Hause rumhockt, ist die Xbox verlockender, als Hausaufgaben zu machen. Ich blieb in den Konferenzen zwar drin, wurde aber überdrüssig, so dass ich nebenbei auch mal gekocht habe. So haben meine Noten den Absturz gemacht.

Es fehlt also die Schule als sozialer Raum, der gemeinsam motiviert, am Unterricht teilzunehmen?

Nils: Nicht nur das. In der Schule kann der Lehrer auch ganz anders auf einen eingehen. Mein Mathelehrer zum Beispiel: Wenn der sieht, dass ich mit einem großen Fragezeichen auf dem Kopf dasitze, kommt er bei mir vorbei und erklärt mir die neuen Matheformeln noch mal direkt. So löst sich manche Blockade. Bei Online-Konferenzen ist so etwas gar nicht möglich.

In dieser Zeit war die Jugendfeuerwehr der Rettungsanker für Euch?

Olivia: Es gab viel Stress zu Hause, wenn man die ganze Zeit eng mit den Geschwistern aufeinander hockt. Da war es dann für mich eine Flucht aus dem Ärger, wenn ich zur Feuerwehr gehen konnte. Da konnte ich endlich mit Leuten reden, die mich verstehen und die gleiche Sorgen haben. So konnten wir einander helfen und uns unterstützen.

Nils: Die Jugendfeuerwehr ist unsere zweite Familie. Sie gab uns in dieser Zeit einen riesigen Rückhalt.

Thamer: Auch wenn es nur zwei Stunden bei der Jugendfeuerwehr in der Woche waren: Endlich konnte ich mal wieder abschalten. Zuhause teile ich das Zimmer mit meiner Schwester. Beim Homeschooling sitzen wir dann gemeinsam im Zimmer und haben uns so in den Konferenzen gegenseitig gestört. Zudem hatten wir nur ein Laptop zunächst und mussten uns immer absprechen, wer wann dieses Gerät bei den Meetings nutzen konnte. Zur Not nutzte die andere Person dann ein Handy. Das hat gar nicht gut funktioniert.
Wenn ich dann meine Freunde von der Jugendfeuerwehr und die Betreuer gesehen habe, auch wenn es manchmal nur online war, war das ein richtig schöner Moment. Ich habe die ganze Woche da-rauf hin gefiebert.

Ihr seid Landesjugendsprecher in der Jugendfeuerwehr Hamburg. Was habt Ihr für Aufgaben?

Nils: Wir vertreten die jungen Mitglieder der Jugendfeuerwehr auf der Landesebene und auf der Bundesebene. Wir sind für die rund 1.000 Jugendlichen in der Hamburger Jugendfeuerwehr das Sprachrohr nach oben. Jede Wehr – so wie in der Schule jede Schulklasse – wählt ihren Jugendsprecher. Der wird dann auf die Delegiertenversammlung geschickt, welche alle zwei Jahre die vier Landesjugendsprecher wählt.

Eine Vertretung nur innerhalb der Jugendfeuerwehr?

Nils: Nein, auch darüber hinaus gegenüber der Freiwilligen Feuerwehr. Wir sitzen zudem noch in verschiedenen Gremien. So bin ich Mitglied im Bundesjugendforum. In diesem Forum treffen sich aus jedem Bundesland die Landesjugendsprecher.

Startet Ihr nach zwei Jahren voller Pandemie-Einschränkungen in der Jugendfeuerwehr jetzt wieder durch?

Nils: Wir haben in den Wachen noch ein paar Auflagen, insbesondere weiterhin Masken zu tragen und Mindestabstände einzuhalten. Aber wir können wieder mit Veranstaltungen loslegen. So veranstaltet die Jugendfeuerwehr Wellingsbüttel nach zwei Jahren endlich wieder die beliebte Nachtwanderung – mit über 400 Jugendlichen aus den einzelnen Jugendfeuerwehren in Hamburg. Das ist eine der größten Veranstaltungen, die wir im Jahr haben.

Thamer: Das ist jetzt wirklich die erste Veranstaltung nach zwei Jahren Pandemie, die allen Jugendfeuerwehren in Hamburg offen steht. Das freut uns riesig. Davor hatten wir strenge Auflagen. Es durften sich nicht mehr als fünf einzelne Jugendfeuerwehren treffen. Letztes Jahr gab es eine abgespeckte Version der Nachtwanderung im Online-Format.

Nachtwanderung klingt romantisch, es ist aber ein Wettkampf?

Nils: Richtig. Es ist ein Wettkampf mit einzelnen Stationen, die in der Nacht erwandert werden. Wir starten um 19 Uhr, und der Wettkampf zieht sich dann bis nach Mitternacht.

Auf den Stationen sind Feuerwehrübungen zu machen?

Nils: Die zu lösenden Aufgaben sind zumeist feuerwehrtechnische Aufgaben, in Theorie und Praxis, aber auch Aufgaben aus anderen Bereichen, etwa Allgemeinwissen. Und ebenso Fragen wie: Welchen Vogel hörst Du gerade zwitschern?

Noch einmal zurück auf die Zeit des Lockdowns. Die Jugendfeuerwehr war sehr hart von besonderen Einschränkungen betroffen, oder?

Olivia: Während der Zeiten des Lockdowns waren wir als Jugendfeuerwehr von den Wachen der Freiwilligen Feuerwehr zunächst ausgeschlossen. Dies war zweimal der Fall. Zum Teil über drei Monate. Das war eine Schutzmaßnahme, um Ansteckungen zu vermeiden und so die Einsatzfähigkeit der Freiwilligen Feuerwehr zu gewährleisten. In dieser Zeit durften wir also nicht in unsere Räumlichkeiten.

Was habt Ihr in dieser Zeit ohne Treffpunkte gemacht?

Nils: Wir haben sehr viel Online-Unterricht zur feuerwehrtechnischen Theorie gemacht. Einige Betreuer von uns haben auch Videos produziert, in denen Feuerwehrübungen dargestellt wurden. Das sollte uns vorbereiten, diese Übungen dann ausführen zu können, wenn wir später wieder vor Ort eintreffen. Es gab auch andere Aktionen. So ist die Jugendfeuerwehr Kirchdorf beispielsweise bei ihren Mitgliedern herumgefahren und hat ihnen kleine Beutel mit Zutaten für ein Essen vor die Tür gestellt. So haben sie – zuhause, aber online verbunden – miteinander gekocht und gegessen. So lebte die Familie, die wir als Jugendfeuerwehr bilden, über die soziale Trennung hinweg weiter.

Thamer: Dieses Engagement unserer Betreuer ist wirklich hervorzuheben. Sie haben sich richtig viel Mühe gegeben, um die Gruppen zusammen zu halten. Was uns in der Feuerwehr auszeichnet, ist das Zusammengehörigkeitsgefühl. Das haben die Jugendfeuerwehrbetreuer in der Zeit des Lockdowns geschafft, auch nach Hause zu tragen. Sie wussten, die Leute der Jugendfeuerwehr müssen zu Hause bleiben, damit die Freiwillige Feuerwehr weiter vor Ort ihren Dienst machen kann. So hatten sie die Motivation, der Jugendfeuerwehr etwas zurück zu geben. Das war klasse, statt zu sagen: »Jungs wir sehen uns erst in einem halben Jahr vielleicht wieder …«

Laut einer kleinen Anfrage in der Hamburgischen Bürgerschaft und deren Antwort durch den Senat habt Ihr als Jugendfeuerwehr trotz Pandemie Eure Mitgliedschaft von rund 1.000 Jugendlichen in den letzten Jahren halten können. Wie habt Ihr das geschafft?

Thamer: Unser Glück ist, dass das Interesse an der Jugendfeuerwehr so groß ist und es bei vielen Standorten immer noch Wartelisten gibt. Bei unserer Wehr sind zwar zwei Leute ausgeschieden, doch das konnten wir leicht auffangen durch Leute von der Warteliste. Das erscheint mir als der Grund, warum unsere Mitgliedszahlen insgesamt so stabil geblieben sind. Ende 2021 hatten 27 Jugendfeuerwehren mehr Interessierte, als sie aufnehmen konnten.

Zudem gibt es ja noch jüngeren Nachwuchs, die insgesamt neun Minifeuerwehren …

Olivia: Ja, deren Altersstufe reicht von fünf bis neun Jahren. Wenn diese dann aus dem Alter der Minis heraus gewachsen sind, kommen sie zu uns.

Nils: Durch den Nachwuchs aus den Minis ist die Jugendfeuerwehr sehr jung geworden. Ich bin jetzt 16 und zähle damit schon zu den Älteren in meinem Standort. Viele andere sind jünger. Wir haben gerade letzte Woche sechs neue Mitglieder mit 13 Jahren aufgenommen. Wir haben also unsere Zahlen halten können, weil wir die Abgänge durch Neuaufnahmen kompensieren konnten. Und es ist doch klar, Jugendfeuerwehr ist das Geilste auf der Welt. Und wenn Du einmal bei der Feuerwehr bist, dann wirst Du diese auch nicht wieder verlassen.

Olivia: Auch in meiner Jugendfeuerwehr in Fuhlsbüttel ist es unglaublich. Die Mini-Feuerwehr hat eine ewig lange Wartelisten und ebenso gilt das für die Jugendfeuerwehr. Das versetzt uns in die Lage, bei Neuaufnahmen darauf zu achten, mehr weibliche Jugendliche aufzunehmen. Und weil wir so viele Anträge haben, versuchen wir, ältere Jugendliche mit 14 und 15 Jahren aufzunehmen. Wir sind zurzeit 35 Leute und damit die größte Jugendfeuerwehr in Hamburg. Normalerweise liegt die Gruppenstärke bei 20 Personen.

Nils: Es gibt aber auch sehr kleine Jugendfeuerwehren. Unsere Feuerwehr in Moorburg ist so klein, dass einige Feuerwehrfahrzeuge beim Bauern in der Scheune stehen.

Also keine Probleme bei den Mitgliedszahlen?

Thamer: Im Großen und Ganzen nein, aber es gibt einzelne kleine Jugendfeuerwehren, die nur aus fünf oder sechs Personen bestehen. Und da fragen sich die Leute, ob es sich noch lohnt, diese Jugendfeuerwehr am Leben zu halten.

Die Jugendfeuerwehr hat viele internationale Partner und macht viele Austauschprogramme. Was geschah in den letzten zwei Jahren?

Thamer: Die internationalen Austausche waren ausgesetzt. Sie werden jetzt wieder anlaufen. In der Zwischenzeit haben wir versucht, diese Begegnungen auf digitaler Ebene am Laufen zu halten. Das hat aber nicht so gut geklappt.
Ich möchte aber abschließend einmal für die Jugendfeuerwehr werben. Macht bei uns einfach einen Schnupperdienst. Einfach mal vorbeikommen und die Jugendfeuerwehr kennenlernen. Dann merkt man ganz schnell, es ist eine zweite Familie, in die man hinein wächst – egal, wie man aussieht, wo man herkommt oder was man für eine Religion hat.

(Das Interview führte Jürgen Garbers, LJR Hamburg)