Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2022, Rubrik Kommentar

Das autoritäre Gift

Von Destina Ücdemir, LJR-Vorsitzende

Eines vorweg: Der Landesjugendring Hamburg verurteilt den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Da punktum produktionsbedingt einen langen Vorlauf bis zur Publikation hat, kann an dieser Stelle auf das Tagesgeschehen nicht aktuell Bezug genommen werden. Das Positionspapier des Landesjugendrings gegen den Krieg und aktuelle Aufrufe finden sich unter www.ljr-hh.de.

Bewaffnete und kriegerische Konflikte haben in der Welt leidlich Konjunktur. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Auf der Hand liegt zunächst der Zuwachs an autoritär geführten Staaten. Nach dem Democracy Report 2022 des V-Dem Institute an der Universität Göteborg ist das Demokratieniveau weltweit auf das Niveau von 1989 gesunken. Durch den sukzessiven Vormarsch autoritärer Staatsstrukturen sind die demokratische Fortschritte der letzten 30 Jahre nunmehr vollends eliminiert. 5,4 Milliarden Menschen – rund 70 % der Weltbevölkerung – leben in Autokratien oder autoritär ausgehöhlten Demokratien. Der Zuwachs von Repression nach innen hat mehr Aggression nach außen zur Folge. So analysiert Hauke Hartmann, Mitautor der Bertelsmann-Studien zu politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozessen (BTI): »Wesentlich ist …, dass innenpolitische Repression und außenpolitische Repression zwei Seiten derselben Medaille von autoritären Regimen unter Druck sind. Die innenpolitische Unterdrückung oppositioneller Stimmen wie des Regimekritikers Alexei Nawalny und der Menschenrechtsorganisation Memorial in Russland findet ihre außenpolitische Entsprechung im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Hier geht es weniger um die Sorge vor einer etwaigen NATO-Erweiterung, sondern um die Furcht vor einer demokratischen und erfolgreichen Ukraine, die auch Demokrat:innen und Reformer:innen in Russland ermutigen könnte.«
 
Blick nach innen. Der Zuwachs an autoritären Tendenzen ist jedoch kein Problem jenseits der Europäischen Union. Das Erschreckende ist, dass auch in vielen demokratischen Ländern ein schleichender Übergang hin zur autoritären Strukturen stattfindet. In Polen und Ungarn beispielsweise arbeiten rechtspopulistische Regierungen daran, die Gewaltenteilung auszuhöhlen, die Justiz zu gängeln, die Opposition zu behindern und die Zivilgesellschaft zu schwächen. Und in allen EU-Ländern haben sich seit längerem mehr oder minder starke rechtspopulistische Parteien formiert, die das europäische Projekt von Demokratie und Zusammenhalt in Frage stellen und der Renaissance des Nationalen das Wort reden. Offen ist die Frage, in welcher Weise die Corona-Pandemie und deren Folgen sich mittelfristig auf die politische Entwicklung auswirken werden. Ökonomische Verwerfungen, die größer werdende soziale Spaltung und die Polarisierung der Gesellschaft könnten den Nährboden für autoritäre Bewegungen bilden. Die irrationalen Proteste gegen Pandemie-Maßnahmen, die Querdenker oder die Corona-Verschwörungstheoretiker erscheinen wie Vorboten einer dunklen Zeit.

Das Ermutigende an der derzeitigen Lage ist der stärker werdende Wille in Teilen der Bevölkerung, sich dem entgegenzusetzen. Was verloren gehen könnte, zeigt im Ausschnitt auch dieses Heft. Die Stiftungen und deren Fördermöglichkeiten für junge Menschen, die in diesem Heft vorgestellt werden, stehen für eine starke Zivilgesellschaft, die auf Teilhabe und Demokratie aus ist – und nicht auf Ausgrenzung und schleichende Autokratisierung. Es ist an der Zeit, einander solidarisch zu helfen.