Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2020, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Raus aus dem »neuen Alltag«

Serie WirkungsStätten: Ein digitales Tante Emma-Treffen bei der Evangelischen Jugend in Neuengamme

Die Evangelische Jugend Neuengamme (EJN) war gerade dabei, sich mit den neuen Umständen unter Corona zu arrangieren, als im Oktober die tägliche Zahl der Neuinfektionen wieder sprunghaft anstieg. Kurzentschlossen setzte der konfessionelle Jugendverband seinen pandemie-konformen Regelbetrieb aus und macht seinen Mitgliedern wieder digitale Angebote – obwohl die Eindämmungsverordnung für Jugendverbände bislang keinen Lockdown vorsieht.

Während sich die ersten ehrenamtlichen Teamer/innen im virtuellen Meetingraum versammeln, trudeln offensichtlich noch einige Last-Minute-Absagen per Messenger im Gruppenchat ein. »Wie Du Dich bemühst, jede Absage mit einem kurzen ›ok‹ oder ›alles klar‹ zu beantworten, ist echt bewundernswert«, lobt Anke ein wenig spöttisch Martins gewissenhafte Reaktionen. Der Diakon ist in der evangelischen Gemeinde Neuengamme hauptamtlich für die Kinder- und Jugendarbeit verantwortlich und hat wie immer sämtliche Teamer/innen der Evangelischen Jugend Neuengamme (EJN) eingeladen. Eigentlich treffen sich die Ehrenamtlichen der EJN jeden dritten Donnerstagabend eines Monats in ihrer Gemeinde zur sogenannten »Langzeitfortbildung Tante-Emma«. Doch seit Anfang November ist die EJV wieder im Lockdown-Modus und weicht mit ihren Programmen auf Online-Angebote aus. Auch dieses Tante-Emma-Treffen findet dementsprechend wieder als Zoom-Meeting statt.

Status quo ante. Sich vorerst auf digitale Angebote zu beschränken, ist für die EJN ein großer Schritt. Denn normalerweise schafft die evangelische Jugend mit ihren Angeboten vor allem Raum für persönliche Begegnungen. In der Regel können sich Jugendliche ab 13 Jahren in den Jugendräumen der EJN die ganze Woche über ungestört mit Altersgenossen die Zeit vertreiben. Mittwochs kommen Jugendliche auch aus den umliegenden Gemeinden Altengamme, Curslack und Kirchwerder in den Jugendkeller. Dienstags treffen sich in den Gruppenstunden der sogenannten Jungschar Kinder ab sieben Jahren. Die Konfirmanden zwischen 13 und 15 Jahren treffen sich dagegen immer mittwochs. Ältere Jugendliche können entweder bei einer der beiden Theatergruppen mitmachen oder sich als Teamer/innen engagieren.

»Was ich an der EJN so sehr schätze, ist, dass sie ein so bunter Haufen ist«, meint Antonia, während sie auf die übrigen Teamer/innen wartet. »Wir sind ganz oft ein wenig chaotisch, aber das macht es so sympathisch. Es ist eine schöne Mischung aus Chaos und Struktur.« Sie ist seit ihrer Konfirmation bei der EJN dabei und engagiert sich weiterhin ehrenamtlich, obwohl sie mittlerweile nach Rahlstedt gezogen sei. Durch die EJN sei es viel leichter gewesen, neue Freundschaften zu schließen und im Stadtteil richtig anzukommen, nachdem sie mit ihren Eltern nach Neuengamme gezogen war. »Ich habe mir immer gesagt, dass ich so lange weitermache, wie es Spaß macht – und daran hat sich nach all den Jahren nichts geändert.«Gemeinsam mit den evangelischen Jugendgruppen in Kirchwerder, Altengamme und Curslack bildet die EJN die Evangelische Jugend Vierlande (EJV).

Tante Emma. Als sich Finn, der jüngste der Runde, ohne Kamera einloggt, wird schnell die Vermutung aufgeworfen, dass er eine neue Frisur habe. Seine mangelnde Begeisterung, ein Beweisfoto in den Gruppenchat zu stellen, kann den Verdacht natürlich kaum entkräften, aber er versichert aufrichtig, dass lediglich die Kamera nicht funktinoiere. Währenddessen freut sich Antonia, endlich wieder dabei zu sein: »Es ist so schön, Eure Stimmen zu hören!« In der Zwischenzeit haben sich elf Teamer/innen im Zoom-Meeting eingefunden und Martin begrüßt die Anwesenden: »Meistens ist man ja erst eine Viertelstunde später vollständig.« Als er davon spricht, dass hoffentlich alle ein buntes Blatt Papier und eine Schere für den anschießenden Bastelcrashkurs parat haben, werden die Ehrenamtlichen kurz unruhig, weil die meisten nur weiße Papiere und offensichtlich keine Schere vorbereitet haben. Neben einer Basteleinheit umfasst die Tagesordnung der heutigen Sitzung einen kurzen Impuls zu Beginn, Berichte aus dem Gemeindeleben und einem pädagogischen Block, in dem die Teamer/innen Raum für Austausch und Probleme haben. »Bei unseren Tante Emma-Treffen ist eigentlich für jede/n was dabei – deswegen auch der Name. Vor allem aber haben wir Raum für alle Themen, so dass sich unsere Leute in der Regel das holen können, was sie brauchen«, erzählt Martin.

Neue Normalität. Eigentlich hatte sich die EJN gerade sehr gut mit den corona-bedingten Umständen arrangiert: Hygienekonzepte waren geschrieben und die Kinder- und Jugendgruppen waren endlich wieder regelmäßig vor Ort.
Wie üblich traf sich beispielsweise dienstags die Jungschar im Gemeindehaus. »Weil die Kinder aber aus so vielen unterschiedlichen Schulen und Klassen kommen, haben wir es vorgezogen, die Gruppe zu teilen und die Treffen mit höchstens sieben Kindern auf 60 anstelle von 90 Minuten zu begrenzen«, erklärt Martin. »Dazwischen machen wir für eine halbe Stunde Pause, um die benutzten Räume zu reinigen und zu desinfizieren.« Das werde auch verständnisvoll aufgenommen. »Aber natürlich würden die Kinder viel lieber wieder in einer Gruppe zusammenkommen«, versichert der Diakon schmunzelnd. Ähnlich laufe es auch für die Konfirmanden, die wie die Kleinen auf zwei Gruppen aufgeteilt wurden und sich mittwochs und donnerstags treffen.

Auch für die Theatergruppe Szene 5 habe sich eine Lösung gefunden. »Durch Abstands- und Hygieneregeln war an Proben oder gar Aufführungen leider nicht mehr zu denken«, erinnert sich Martin. »Dann kam uns jedoch die Idee, ein Hörspiel auf die Beine zu stellen.« Die Jugendlichen sprachen ihre Dialoge zu Hause einfach auf dem Handy ein, und ihr Gruppenleiter Norman spielte beim Zusammenschneiden der Aufnahmen noch Musik und Geräusche ein. Das Ergebnis veröffentlichte die Gruppe auf der Homepage der EJN, wo es nach wie vor abrufbar ist.

Doch der neue Alltag war nicht von langer Dauer. Ende Oktober entschied sich die EJN dafür, die eigenen Angebote wieder runterzufahren und vorerst wieder ins Digitale auszuweichen. »Wir wollen damit Verantwortung übernehmen und unseren Teil dazu beitragen, dass die zweite Welle gebrochen wird«, beschreibt Diakon Martin die Beweggründe der evangelischen Jugend. Tatsächlich schränkt sich die EJN damit weitaus stärker ein, als sie eigentlich müsste. Denn die Hamburger Eindämmungsverordnung sieht bislang keine Einschränkungen für die Arbeit der Kinder- und Jugendverbände vor. Es gab jedoch auch ganz praktische Gründe für die Entscheidung. Als angesichts der hohen Infektionszahlen nur noch fünf Konfirmanden zum Treffen in Kirchwerder erschienen, erschien es weitaus sinnvoller, wieder auf das Internet auszuweichen. »So können wir einfach mehr Leute erreichen«, sagt Martin. »Außerdem wissen wir dieses Mal wenigstens, worauf wir uns einlassen und wie es funktionieren kann.«

Skifreizeit & Tannenbaumverkauf. »Müssen wir eigentlich auch die Skifreizeit im März absagen«, erkundigt sich Andre, der schon als Teilnehmer mitgefahren ist und die Skireise nun schon fünfmal als Teamer begleitet hat. Sehr optimistisch zeigt sich Martin allerdings nicht. Die Reise müsse zwar erst im Januar storniert werden, um mögliche Ausfallkosten zu vermeiden. Doch die aktuelle Lage gebe nur wenig Anlass zur Hoffnung auf einen ungetrübten Winterspaß. »Ganz anders sieht es dagegen mit unserem Tannenbaumverkauf aus«, leitet der Diakon ein neues Thema ein. Da das traditionelle Tannenbaumfest der Freiwilligen Feuerwehr Neuengamme ausfalle, gäbe es dieses Jahr einen auf zwei Wochen verlängerten Tannenbaumverkauf am örtlichen Bootshaus. Den Erlös aus dem Verkauf würden sich der Förderverein der Feuerwehr und die EJN teilen. »Wir müssen nur noch einmal schauen, wer von uns beim Verkauf aushelfen kann«, erzählt Martin den Teamer/innen und muss auch nicht lange warten, bis nicht nur die meisten Schichten gut gefüllt, sondern auch schon erste Ideen für die musikalische Begleitung und kulinarische Versorgung des Verkaufsstands ausgetauscht worden sind.
Stadtranderholung als Zeltlagerersatz. »Anfang des Jahres hat uns Corona noch kalt erwischt« erzählt Martin. »Natürlich haben wir im März unseren Betrieb eingestellt und schon frühzeitig alle Freizeiten für den Sommer abgesagt.« Anstelle der festen Angebote im Gemeindehaus habe die EJN nun zu virtuellen Treffen über Zoom eingeladen. »Wir haben aber schnell gemerkt, dass diese Formate zwar vor allem dabei helfen, den Kontakt zu den Jugendlichen zu halten, für eine intensivere Beziehungsarbeit allerdings kaum geeignet sind.«

Deswegen habe man sich rasch dazu entschieden, für zwei Wochen ein neues Ferienprogramm auf die Beine zu stellen, als sich im Sommer doch noch erste Lockerungen abgezeichneten. »Die Kinder sollten nach Möglichkeiten nicht auch noch auf ihr Zeltlager verzichten und so haben wir einfach hier vor Ort was organisiert – nur halt ohne Übernachtung«, meint Martin. Jeweils 15 Kinder im Alter von acht bis dreizehn Jahren hätten so für eine Woche an dem bunten Programm teilnehmen können. »Zwischen 10 und 16 Uhr sind die Teilnehmer/innen kreativ geworden oder haben sich nach Herzenslust ausgetobt. Sie konnten batiken, Insektenhotels bauen, Kerzen gießen, Blumenbeete aus Euro-Paletten bauen oder Zweigenfiguren basteln. Die Resonanz auf unseren Plan war wirklich gut, denn in Nullkommanichts war die Freizeit ausgebucht«, freut sich Martin. Beeindruckend sei auch der beherzte Einsatz der ehrenamtlichen Teamer/innen gewesen. »Über die zwei Wochen haben insgesamt 14 Leute mitgeholfen. Da die meisten nach der Absage im März ihren Sonderurlaub bereits zurückgenommen hatten, waren viele nicht mehr so flexibel – und trotzdem hatten wir immer jemanden, die oder der die Kinder bespaßt, eingekauft oder gekocht hat.« Für die meisten sei das neue Format natürlich ungewohnt gewesen. Auch die Mundschutzmasken hätten so manche Handgriffe anstrengender ausfallen lassen. »Aber am Ende haben alle sehr viel Spaß gehabt!«

Zukunft ohne Corona. »Wann soll das Zeltlager nochmal losgehen«, will Stefan wissen, als Martin von den Planungen der Ferienfreizeit im nächsten Jahr berichtet. Stefan ist nämlich für die Kanufahrt in Schweden verantwortlich – und die sollte sich möglichst nicht mit dem Zeltlager überlappen. Schließlich wollen einige
der jüngeren Teamer/innen im Anschluss gern bei der Kanufahrt dabei sein. Doch auch wenn die Hoffnungen der Teamer/innen auf Ferienfreizeiten unter halbwegs normalen Bedingungen groß sind, dürfte ein Zeltlager im nächsten Jahr noch mit einigen Umstellungen verbunden sein. »2021 wollen wir wieder mit zehn anderen evangelischen Jugendgruppen aus Hamburg auf unseren traditionellen Zeltplatz in Niedersachsen fahren«, erzählt Martin. »Aber es werden immer nur zwei Gemeinden gleichzeitig vor Ort sein, denn im Moment müssen wir einfach damit rechnen, dass wir auch im Sommer noch Abstände einhalten und Hygieneregeln befolgen müssen. Doch wenn ich sehe, wie motiviert unsere Leute sind, dann mache ich mir eigentlich keine Sorgen!

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