Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2019, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Gruppenstunde mit Blaulicht

Serie WirkungsStätten: Die Jugendfeuerwehr Lohbrügge

Von Oliver Trier, Hamburg

In Lohbrügge werden Kinderträume wahr. Bei der örtlichen Jugendfeuerwehr lernen Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren den Umgang mit Strahlrohr, Wassersschläuchen und Co. Doch das ist nicht alles. Die Jugendfeuerwehr bietet mit ihren wöchentlichen Zusammenkünften ein Lernfeld für Zusammenhalt, Toleranz und Vielfalt.

»Eine Person unter Last. Derzeit nichts Näheres bekannt«, tönt es aus dem Funkgerät, und das Warten der Einsatzgruppe Lohbrügge I hat ein Ende. Jakob nimmt das Funkgerät in die Hand und wiederholt zur Bestätigung die eingegangenen Anweisungen. Dann schickt der 17-Jährige die Gruppe raus zum Einsatz. Denn für diesen Abend übernimmt er die Rolle des Gruppenführers und leitet den Einsatz der sieben Jugendlichen.

Es ist Dienstagabend, nass und kalt – die Jugendfeuerwehr Lohbrügge ist zu einer Übung ausgerückt. Auf dem Betriebsgelände eines Unternehmens für Gastechnik hat das Betreuerteam um den Jugendfeuerwehrwart Jonas zwei Stationen vorbereitet. »Bei so einer Übung haben die Jugendlichen die Gelegenheit, all das, was sie gelernt haben, auch einmal anzuwenden und Abläufe zu verinnerlichen«, erklärt Jonas. »Aber am Ende geht es darum, sich als Gruppe zu bewähren und Herausforderungen gemeinsam zu meistern.«

Als Gruppenführer muss sich Jakob zunächst einen eigenen Eindruck von der vorliegenden Situation machen und erkundet die Unglücksstelle. Beim Verladen ist eine Palette samt Ladung auf das Bein eines Mitarbeiters gestürzt und muss erst gehoben werden, bevor der Mitarbeiter Erste Hilfe erhalten kann. Nachdem er einen aufgebrachten Kollegen des Opfers zur Seite genommen hat, erteilt Jakob seiner Gruppe die Einsatzbefehle. Sofort eilen die Jugendlichen los, um ihre Aufgaben zu erledigen. Aufmerksam beobachten die Betreuer, wie die Jugendlichen mit der Situation umgehen. Zunächst kümmert sich einer um die verletzte Person, während die anderen Hebekissen, Stützblöcke, Schläuche und Druckflaschen zur Unglücksstelle bringen.

Wie alles begann. Vor noch nicht einmal 30 Minuten standen die insgesamt 15 Jugendlichen noch in Dienstkleidung vor der Feuerwache am Lohbrügger Markt bereit, um mit ihrer wöchentlichen Zusammenkunft zu beginnen. Pünktlich 18.15 Uhr begrüßte Jonas die Gruppe und erzählte von dem geplanten Programm. Danach bestimmte er mit Jakob und Julius die beiden Ältesten zu den Gruppenführern der anstehenden Übungen und verteilte die Jugendlichen auf die beiden Gruppen. Kurz darauf stiegen die zwei Gruppen auch schon in die Einsatzfahrzeuge und fuhren los.

Die Jugendfeuerwehr Lohbrügge gibt es seit fast 50 Jahren. 1971 wurde sie von der Freiwilligen Feuerwehr ins Leben gerufen, um etwas gegen die damals herrschende Nachwuchssorgen zu unternehmen. »Dieser Plan ist tatsächlich aufgegangen, wenn man sich die heutige Lage anschaut«, freut sich der Jugendfeuerwehrwart. »Mit 20 Jugendlichen übersteigen wir unsere Kapazitäten um zwei Plätze und haben eine lange Warteliste.«

Anfangs habe die Jugendfeuerwehr nur Jungen aufgenommen. Doch das sei schon lange her, und im Moment täten sieben Mädchen neben dreizehn Jungs ihren Dienst in der Gruppe. »Toleranz und Vielfalt sind für uns als Jugendfeuerwehr wichtige Werte und gelebter Alltag«, erklärt Jonas. »Deswegen sind wir auch offen für alle Jugendlichen aus der Umgebung. Zusammenhalt ist uns allerdings auch sehr wichtig und neue Mitglieder müssen zur Gruppe passen.« Wer auf der Warteliste ganz oben stünde, werde zu drei Zusammenkünften eingeladen. »Dann müssen sich sowohl die Bewerber/innen als auch die Jugendgruppe entscheiden, ob es passt oder nicht.«

Brandschutzlage. Während Jakobs Gruppe sich bemüht, Ladung und Palette so schnell wie möglich vom Bein des verunglückten Mitarbeiters zu heben, steht Julius’ Trupp vor einer ganz anderen Aufgabe. Die acht Jugendlichen sollen eine sogenannte Brandschutzlage überprüfen. Über Funk hieß es, dass Rauch aus einer Betriebshalle gemeldet worden sei. Da Julius sich die Halle nur von außen anschauen kann, fällt sein Erkundungsgang kurz aus. In knappen Sätzen schildert er seiner Gruppe die Situation und erteilt Anweisungen. Dann geht alles ganz schnell. Routiniert suchen die Jugendlichen die benötigten Schläuche und Verbindungsstücke aus dem Löschfahrzeug. Keine drei Minuten später ist der Angriffstrupp, also die zwei Gruppenmitglieder, die als erstes die verrauchte Halle betreten werden, bereit, sich Zugang zur Halle zu verschaffen.

Mitbestimmt. Jakob und Julius übernehmen nicht nur während der laufenden Übung Verantwortung für die Gruppe sondern auch im Alltag. Die beiden wurden von ihren Kameraden für ein Jahr zu Jugendsprechern gewählt und vertreten die Anliegen der Gruppe gegenüber den Jugendwarten und Betreuern. Außerdem vertreten sie die Lohbrügger  Jugendlichen auf der Delegiertenversammlung der Jugendfeuerwehr Hamburg. Doch für beide steht bald der 18. Geburtstag an und damit auch die Frage, wie es für sie weitergeht. Denn mit der Volljährigkeit scheidet man automatisch aus der Jugendfeuerwehr aus und die Jugendlichen müssen sich entscheiden, ob sie auch der Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr reizt oder ob sie andere Pläne haben.
Jakob ist seit sechseinhalb Jahren dabei. Für ihn habe es kaum eine andere Möglichkeit gegeben, als bei der Jugendfeuerwehr mitzumachen, erzählt der 17-Jährige. »Mein Vater war schon bei der Feuerwehr, meine Schwester auch. Also war es für mich ein Kindheitstraum zur Feuerwehr zu gehen.« Ihn reize besonders die Gruppe – und ebenso die vielfältigen Aufgaben, die die Jugendlichen im Laufe des Jahres zu meistern hätten. »Es macht immer noch Spaß. Jetzt wurde ich in die Freiwillige Feuerwehr gewählt und könnte da auch weitermachen.«

Gewählte Leitung. Diesen Wechsel haben Jonas und sein Stellvertreter Philip schon vor gut zehn Jahren vollzogen. Inzwischen kümmert sich Jonas seit acht Jahren in leitender Funktion um die Jugendfeuerwehr in Lohbrügge. 2011 wurde er stellvertretender Jugendfeuerwehrwart. Ein Jahr später wählten ihn die Jugendlichen zum Jugendfeuerwehrwart und Philip folgte ihm als Stellvertreter. Auch ihr Leitungsteam wählt die Jugendfeuerwehr selbst. Wer kandidieren will, muss Mitglied der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr sein.

»Als Leitungsteam sind Philip und ich für vier Jahre gewählt. Wir kümmern uns um alles, was mit der Jugendfeuerwehr zu tun hat«, erzählt Jonas. »In Absprache mit den Jugendlichen erstellen wir das Jahresprogramm und vertreten ihre Interessen gegenüber der Freiwilligen Feuerwehr«, erklärt Philip. Zu zweit wäre das kaum zu schaffen, denn für die Jugendwarte kommt der reguläre Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr noch hinzu. »Deswegen sind wir froh, dass wir ein Betreuerteam an unserer Seite haben«, betont Jonas. In Lohbrügge werden die beiden Jugendwarte von einem sechsköpfigen Betreuerteam unterstützt. »So können wir immer absprechen, wer sich wann um was kümmern kann.« Egal wie zeitintensiv die Aufgaben auch seien, »Jugendfeuerwehr ist der beste Dienst, den Du in der Freiwilligen Feuerwehr machen kannst«, versichern Jonas und Philipp.

Übungswechsel. Nachdem Jakobs Gruppe erfolgreich die schwere Ladung vom Bein des Mitarbeiters gehoben hat, fährt sie zu der zweiten Übung. Die Stimmung im Löschfahrzeug ist ausgelassen und die Jugendlichen erzählen, wie sie zur Jugendfeuerwehr gekommen sind und was sie am gemeinsamen Dienst so begeistert. »Ich liebe einfach Feuerwehr«, strahlt Leni-Marie. »Ich habe mich schon immer für Feuerwehrsachen begeistert; und seitdem wir hergezogen sind, ist es hier einfach perfekt für mich.« Für Martha dagegen gaben vor allem ihre Freunde den Ausschlag mitzumachen: »Der Großteil meines Freundeskreises ist bei der Feuerwehr. Nicht nur in Lohbrügge, sondern auch in den Wehren der Umgebung. Die haben mich dazu gebracht, hier mitzumachen.« »Mir macht es Spaß, denn es ist wie eine Familie«, meint Lukas. Er habe schon anderthalb Jahre in der Niendorfer Jugendfeuerwehr mitgemacht, bevor er vor dreieinhalb Jahren nach Lohbrügge gezogen und auch hier sofort zur Jugendfeuerwehr gegangen sei. »Es ist einfach cool, dass hier alle gleich behandelt werden. Es ist egal, wo Du herkommst, was Du glaubst, ob Du eine Behinderung hast oder was auch immer. Das ist hier nicht wichtig.« Wirklich wichtig sei ein ganz anderer Punkt: »Die Wasserschlacht im Sommer, das ist das beste«, versichert Jakob unter lautstarker Zustimmung aller anderen. »Und das Zeltlager im Sommer!«

Programm und Alltag. »Natürlich ist unsere Jugendarbeit davon geprägt, dass wir den Jugendlichen feuerwehrtechnische Inhalte vermitteln«, erzählt Jonas, während die Betreuer die Übungsstationen für die nächste Gruppe herrichten. »Aber letzten Endes machen wir klassische Jugendarbeit wie so viele andere. Schließlich kommen die Jugendlichen nur, wenn unser Angebot sie begeistert.« So seien auch Wanderungen, Ausflüge und Zeltlager fester und wichtiger Teil des Jahresprogramms. »Großen Spaß haben die Jugendlichen auch an den Wettkämpfen«, fügt Philip hinzu. Sich auf Landesebene mit den anderen Wehren zu messen, motiviere die Jugendlichen sehr. Doch auch hier gehe es darum, sich als Gruppe zu bewähren und die Jugendlichen der anderen Jugendfeuerwehren kennenzulernen. »Feuerwehr ist eine große Gemeinschaft«, meint Jonas. Die Jugendfeuerwehr Lohbrügge pflege beispielsweise enge Partnerschaften mit den Jugendfeuerwehren Suderburg aus Niedersachsen und Staaken aus Berlin. »Mit den Berlinern fahren wir regelmäßig gemeinsam auf Zeltlager und versuchen, uns zu den Weihnachtsfeiern zu besuchen. Dieses Jahr dürfen kommen die Berliner zu uns. Aber das muss noch genauer geplant werden.«

Manöverkritik. Vom Halleneingang aus erkundigt sich Jakob bei seinem Angriffstrupp, ob sie schon eine Ursache für die Rauchentwicklung finden konnten. Ausgestattet mit Strahlrohr und Wärmebildkamera krabbeln die beiden Jugendlichen am Boden entlang und suchen noch nach der Rauchquelle.

Am anderen Ende des Betriebsgeländes steht Julius als Gruppenführer ein wenig abseits von seinen Kameraden/innen. »So kann er den Überblick besser behalten«, erklärt Jonas, während die Gruppe dafür sorgt, dass Hebekissen und Holzkeile an die richtigen Stellen kommen, um die Ladung sicher heben zu können. Dabei achten die Älteren darauf, ihren jüngeren Kameraden/innen bei unbekannten Handgriffen zu erklären, wie sie die Aufgaben gut und sicher durchführen können. Zuletzt verbinden die Jugendlichen das schmale Hebekissen mit Gaskartuschen und warten auf ein Kommando von Julius. Sachte lässt er die Ladung heben, bis zwei Jugendliche das Unfallopfer bergen können. Direkt im Anschluss an die Übung geben die Betreuer Rückmeldung zur Herangehensweise der Gruppe und Tipps für ähnliche Gefahrensituationen.

Abschlussbesprechung. Um 20 Uhr ist die Übung abgeschlossen, und alle Geräte sind wieder eingeräumt. Die Jugendfeuerwehr fährt zurück in die Wache, wo die Jugendlichen schnell die Einsatzkleidung ablegen. Auf dem Weg zur Abschlussbesprechung im ersten Stock sind die Mädchen und Jungen noch voller Adrenalin. »So eine Übung wie heute macht man nicht alle Tage« freut sich Martha. »Das war wirklich schön«, stimmt ihr Lukas zu. »Die Übung, die Location – und das Blaulicht! Das macht einfach Spaß«.

Jonas sieht das ganz ähnlich, als er zum Abschluss gemeinsam mit den Jugendlichen einen letzten Blick auf die Übung wirft. Aufgrund des nahen Jahresendes bleiben nicht mehr viele Projekte, die es noch zu diskutieren gibt. Und so gehört die Frage, wie es um die Planung der Weihnachtsfeier steht, zu den längeren Punkten des Abends, bevor Jonas sich für diese Woche von den Jugendlichen verabschiedet.

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Info:
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Wirkungsstätte: Jugendfeuerwehr Hamburg