Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2019, Rubrik Kommentar

Eine politische Jugend ermöglichen

Von Laura Vanselow, LJR-Vorsitzende

Freitag, den 2. März 2019: Tausende junge Menschen haben sich in der Hamburger Innenstadt versammelt. Mathe, Deutsch und co. sind heute nicht wichtig. Inspiriert durch Greta Thunberg, wollen sie stattdessen ihre Stimme laut werden lassen für eine entschiedenere Klimapolitik. Seit August letzten Jahres entschied sich Greta, jeden Freitag, anstatt zur Schule zu gehen, vor dem schwedischen Reichstag auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes aufmerksam zu machen. Inzwischen ist sie Inspiration für eine internationale Bewegung mit dem Namen fridays for future. An diesem ersten Freitag im März führt sie den Demonstrationszug durch die Hamburger Innenstadt. Während Greta in Schweden Ferien hat, hätten die Hamburger Schüler/ innen eigentlich in ihren Klassenräumen sitzen sollen. Tun sie aber nicht. Vielmehr gehen sie für ihre Idee der Zukunft auf die Straße – und tragen die Konsequenzen, denn die Hamburger Schulbehörde macht keinen Unterschied zwischen dem Engagement der Aktivisten zur Unterrichtszeit und einem gewöhnlichen Schwänzen desselben.

Ziviler Ungehorsam. So werden die fridays for future noch aus einer anderen Perspektive zu einem starken Zeichen. Die Demonstranten/innen haben erkannt, dass sie selbst für ihre Interessen und Belange eintreten müssen. Ohne Druck scheint die Politik für ihre Vorstellung der Zukunft und eines konsequenten Wandels in der Klimapolitik taub zu sein. Die fridays for future sind so auch zu einem Akt zivilen Ungehorsams geworden. Unerlaubt und unter Sanktion gestellt, halten sich Hamburger Schüler/innen des Unterrichts fern, um auf die Straße zu gehen und sich so einen Teil des poltischen Bereichs zu erkämpfen. Es ist ein Bereich, aus dem gerade Jugendliche gern ausgeschlossen werden, weil sie »keine Profis« (Christian Lindner) seien oder als ausschließlich konsumorientierte und total unpolitische Generation gelten. Dem ist mit Nichten so, dies zeigen nicht nur die vielen Engagierten bei den fridays for future (der auch am 15.3. – also in der Hamburger Schulferien – von ungebrochen vielen Jugendlichen begangen wurde), sondern dies belegt auch die Stoßrichtung des 15. Kinder- und Jugendberichts (KJB), der in den institutionellen Rahmenstrukturen des Aufwachsens von Kinder und Jugendlichen eher ein Hemmnis für ein politisches Engagement als eine Förderung zum mündigen, jungen Bürger sieht.

Jugend ermöglichen. Mit diesem Slogan wollen die Verfasser/innen des Berichts einen lebendigen Rahmen nicht allein für politische Bildungsbewegungen auszumachen. »Das Thema Freiräume ist in den letzten Jahren auf die (jugend-)politische Agenda gerückt. Dies hängt auch damit zusammen, dass für große Gruppen junger Menschen die Erwartungen an Lern- und Bildungsleistungen und die dafür aufzubringende Zeit kontinuierlich gestiegen sind. Gleichzeitig ist eine fortschreitende Institutionalisierung und pädagogische Inszenierung des Alltags junger Menschen erkennbar. Selbst gestaltbare Spiel- und Erprobungsräume sind demgegenüber im Schwinden begriffen.
… An den Begriff »Freiraum« geknüpft sind Auszeiten, Rückzugsorte, Erprobungsräume, Orte, die nicht mit Leistungszwang und Leistungsdruck sowie Fremdbestimmung verbunden sind. … Die Forderung nach mehr Freiraum beinhaltet dabei immer auch ein utopisches Moment.« (15. KJB, S. 50) Daraus folgt, dass nicht Schule, Ganztagsbetreuung und Ähnliches Jugendliche politisch bilden können, sondern dass diese Einrichtungen vielmehr zurücktreten müssen, um Jugendlichen ihr Jungsein ermöglichen. Partizipationsmöglichkeiten und Freiräume jenseits von Fremdbestimmung müssen erhalten und geschaffen werden. Demokratie im Sinne von Verantwortungsübernahme und Selbstwirksamkeit kann nur durch das Selbsterfahren erprobt und eingeübt werden. Gerade die Kinder- und Jugendarbeit sieht der KJB als einen lebendigen Raum an, in dem genau das gut stattfinden kann. Er betont aber auch, dass die vielfältigen Aufgaben nur durch entsprechende Ressourcen im Sinne von Freizeiten und -räumen für Jugendliche sowie einer finanziell auskömmlichen Ausstattung der Kinder- und Jugendarbeit gewährleistet werden können.

Fridays for free space? Der Landesjugendring Hamburg sieht seine Positionen zur Engagementförderung durch den 15. Kinder- und Jugendbericht gestärkt und wird sich weiter für die Umsetzung seiner Vollversammlungsbeschlüsse zur Finanzierung der Jugendverbandsarbeit und der School-life-balance für Schüler/innen nachdrücklich einsetzen. Denn für ein demokratisches und politisches Engagement braucht es Freiräume – und wo sie nicht ausreichend vorhanden, sind gegebenenfalls auch Akte des zivilen Ungehorsams wie bei den fridays for future notwendig.