Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2019, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Machen statt warten

Sozialaktion des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend in Hamburg

Von Oliver Trier, Bund der Deutschen Katholischen Jugend Hamburg

Ende Mai beteiligten sich die katholischen Jugendverbände im Erzbistum Hamburg an der bundesweiten 72-Stunden-Aktion des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), um die Welt mit ihren Aktionen ein klein bisschen besser zu machen. In konkreten Zahlen bedeutete das: 30 angemeldete Gruppen, fast 750 aktive Menschen und eine bessere Welt.

Let’s get it started! Begeisterung sieht anders aus. Soeben hat der DPSG-Stamm Jacques Marquette erfahren, welche Aufgabe es in den nächsten 72 Stunden zu meistern gilt – und die Blankeneser Pfadfinder/innen ringen noch ganz hanseatisch mit der richtigen Reaktion auf die frohe Botschaft. Es dauert einen kleinen Moment, bis der Gruppe klar wird, was genau sie eigentlich machen soll: »Cool, Möbel bauen, das können wir!«

Als die Gruppe sich im Dezember 2018 zur 72-Stunden-Aktion angemeldet hatte, mussten sich die Pfadfinder/innen zwischen zwei verschiedenen Projektvarianten entscheiden: Do-it oder Get-it. Wer lieber im Vorfeld planen wollte, wie das eigene Projekt während der Sozialaktion aussehen sollte, entschied sich für Do-it. Doch die Blankeneser/innen wollten sich lieber überraschen lassen und meldeten ihre Gruppe als Get-it-Projekt an. Dementsprechend wussten sie bis gerade eben nicht, welche Aufgabe auf sie warten würde. Von dieser Unklarheit befreit, stürzen sich die Pfadfinder/innen nun voller Tatendrang in die Planung der kommenden drei Tage.

»Uns schickt der Himmel!« Unter diesem Motto beteiligten sich vom 23. bis zum 26. Mai in ganz Deutschland mehr als 85.000 junge Menschen in knapp 3.400 Projekten an der bundesweiten 72-Stunden-Aktion. Der BDKJ und seine Jugendverbände hatten Kinder und Jugendliche eingeladen, zwischen Donnerstag, 17:07 Uhr, und Sonntag, 17:07 Uhr, mit ihrem Glauben sprichwörtlich Berge zu versetzen und die Welt mit sozialen, ökologischen oder politischen Projekten ein bisschen besser zu machen.

Diaspora. »Hier oben im Norden fällt das Ganze natürlich ein wenig kleiner aus«, erzählt Zita, während sie den Pfadfindern/innen beim Planen zuschaut. Eigentlich ist Zita Bildungsreferentin der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) und der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ). Aber seit über einem Jahr ist sie auch für die Aktionsgruppen in Hamburg verantwortlich. Sie bildet allein den sogenannten Koordinierungskreis (KoKreis) für das Bundesland Hamburg und hat die Aufgabe für den DPSG-Stamm vorbereitet. »Ein ›KoKreis‹ ist ein gutes Beispiel dafür, dass die 72-Stunden-Aktion ursprünglich aus Gegenden kommt, in denen es deutlich mehr Katholiken/innen gibt«, erklärt sie. »Doch hier sind auf viel Fläche nur wenig Menschen katholisch. Diaspora nennen wir das.« Zu dem Erzbistum gehören neben Hamburg auch Schleswig-Holstein und der Mecklenburger Teil von Mecklenburg-Vorpommern. Von der Fläche her ist es damit das größte Bistum in Deutschland. Schaut man aber auf die Mitgliederzahlen steht es auf Platz 21 von 27 Bistümern in Deutschland. Um die Kräfte zu bündeln, plante der BDKJ die Aktion auch bewusst als Kooperation mit der Katholischen Jugend Mecklenburg (KJM) und dem Referat Kinder und Jugend des Erzbistum Hamburgs (RKJ). »Wenn wir auf die Zahlen schauen, sind wir sehr zufrieden«, freut sich Zita. »Mit 30 Gruppen und fast 750 Aktiven haben wir mehr Anmeldungen als 2013, als wir das erste Mal bei der 72-Stunden-Aktion teilgenommen haben. Sehr erfreulich ist auch, dass wir dieses Mal den Anteil der Aktionsgruppen aus den Reihen der Jugendverbände steigern konnten.«

Do-it. Am Freitagmorgen herrscht schon rege Betriebsamkeit im Jugendraum der St. Bonifatiuskirche in Wilhelmsburg. 30 Jugendliche sitzen um einen großen Tisch und einer Vielzahl an Blumentöpfen herum. »Wir malen Blumentöpfe an und bepflanzen sie«, erklärt die elfjährige Frieda, während sie mit bunten Händen begeistert von ihrem Projekt mit der Kolpingjugend erzählt. »Wir wollen damit auf Friedhöfe gehen und uns um Gräber kümmern, die von niemanden gepflegt werden.«

»Ursprünglich hatten wir geplant, uns im Auftrag von Angehörigen um Gräber zu kümmern, deren Pflege sie selbst nicht mehr schaffen«, berichtet Projektleiterin Kira von den Vorbereitungen im Vorfeld der Aktion. »Deswegen haben wir beispielsweise im Wochenblatt oder auch im Gottesdienst auf unsere Aktion hingewiesen. Doch es hat sich niemand gemeldet.« Die Gruppe sei dann direkt auf Friedhofsverwaltungen zugegangen, um zu klären, welche Optionen es gäbe. »Es war allerdings nicht überall so, dass wir problemlos Genehmigungen für unser Vorhaben bekommen haben. Doch für heute und morgen haben wir nun drei Friedhöfe in Wilhelmsburg und Billstedt gefunden, auf denen wir aktiv werden können.«

In der Aktionszentrale. »Das alles ist echt anstrengend – aber auch ziemlich geil!« Katharina seufzt zufrieden, als sie mit ihren Kollegen/innen Joana, Jakob und Patrick auf die zurückliegenden, aber vor allem auch auf die kommenden Tage schaut. Die vier bilden gemeinsam den Diözesanvorstand des BDKJ im Erzbistum Hamburg und tragen damit die Verantwortung für die 72-Stunden-Aktion in Norddeutschland. Inzwischen ist es Freitagabend, der 24. Mai, um 21:30 Uhr und die Sozialaktion läuft seit 28 Stunden.
Für die drei Tage haben sie sich vorgenommen, alle Aktionsgruppen zu besuchen. »Es ist wirklich schön zu sehen, dass bislang alles wie am Schnürchen läuft und unsere Hoffnungen auf allgegenwärtige Begeisterung und Motivation nicht enttäuscht werden«, berichtet Katharina nach der allabendlichen Tagesrückschau in der Aktionszentrale. Monatelang hatten sich Katharina und ihre Kollegen/innen auf die Sozialaktion vorbereitet und voller Spannung dem Start entgegen gefiebert.

Motivation ins Unbekannte. »In Hamburg ist die 72-Stunden-Aktion unter unseren Jugendverbänden noch nicht so verbreitet und bekannt«, erklärt Katharina und schaut aus dem Büro im 4. Stock in der Langen Reihe im Stadtteil St. Georg auf die untergehende Abendsonne. »Wir machen erst zum zweiten Mal bei der bundesweiten Aktion mit und somit hatten wir vor allem damit zu kämpfen, dass viele überhaupt nicht wussten, worum es geht. Wir selbst kannten das Format ja auch nur aus Erzählungen und Berichten, denn die letzte Aktion war vor sechs Jahren.«

Vor dem gleichen Problem stand der DPSG-Stamm in Blankenese. Nur zwei Leiterinnen kannten die Aktion, und es lag an ihnen, Gruppenmitglieder und Gruppenleiter/innen dafür zu begeistern, als gesamter Stamm mitzumachen. »Es war eine Motivation ins Unbekannte«, meint Andrea, die Leiterin der Blankeneser Aktionsgruppe ein paar Kilometer weiter westlich am Lagerfeuer sitzend. »Wir hatten uns für die Get-it Variante entschieden, weil wir uns davon noch mehr Potential für uns als Gruppe versprachen. Aber dadurch wurde es schwierig, Leiter/innen, Gruppenmitglieder und Eltern zu überzeugen. Doch spätestens seitdem die Aufgabe klar ist, gibt es großen Zuspruch.« Tatsächlich beteiligt sich der ganze Stamm an der Aktion. Während der gesamten 72 Stunden hat sich die Gruppe ein kleines Camp auf der Wiese der Kirchengemeinde aufgeschlagen und von den Jüngsten mit sieben Jahren bis zu ehemaligen Pfadfindern/innen packen alle mit an.

Begeisterung. Am Samstagmittag kommt Patrick, einer von Katharinas Vorstandskollegen/innen, gerade von seinem Besuch bei der CAJ in St. Georg zurück und nutzt die Zeit für eine Stippvisite in der Aktionszentrale, bevor er sich wieder auf den Weg macht – zu weiteren Aktionsgruppen in Hamm, Borgfelde und Volksdorf. »Ich bin ganz euphorisch. In den letzten Tagen habe ich gesehen, wie Kinder und Jugendliche anpacken und nicht abwarten, was sie mit ihrem Engagement alles erreichen können. Und das Schönste daran ist vielleicht, dass ihre Begeisterung sich auch auf Ihr Umfeld auswirkt. So sieht Kirche aus, wenn man junge Menschen machen lässt.«

Ganz begeistert zeigt sich Patrick auch von der Vielfalt an Projektideen. Die Katholische Studierende Jugend (KSJ) organisiert zum Beispiel einen Nachhaltigkeitsflohmarkt, die CAJ baut eine Büchertauschkiste, die KjG sammelt englischsprachige Bücher für eine Mädchenschule in Tansania, und junge Wölflinge der DPSG in Rahlstedt wollen am Sonntag Teebeutel herstellen, um sie im Viertel zu verteilen, damit »kranke Menschen wieder gesund werden«. »Im Zweifel ist es nicht wichtig, 72 Stunden lang etwas durchzuziehen. Auch ein Projekt, das nur zwei Stunden dauert, ist ein wichtiger Teil unserer Aktion. Denn die Teilnehmer/innen haben die Chance, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Wir alle können was bewegen, solange wir nur anfangen!«

Unterstützung. »Machen statt warten« – diesen Punkt hob auch die Sozialsenatorin Dr. Melanie Leonhard hervor, als der BDKJ sie als Schirmherrin für die 72-Stunden-Aktion in Hamburg gewinnen konnte: »Spaß dabei haben, die Welt besser machen, bunt und kreativ und vielfältig. Gut, dass es die 72-Stunden-Aktion gibt!« Bereits am Freitag hatte sie sich mit einer Pfadfindergruppe aus Ottensen getroffen, die eine Patenschaft für zwei Grünstreifen in ihrem Viertel übernommen haben und sich akribisch auf das Treffen und den Austausch mit der Senatorin vorbereitet hatten.

Neben der Hamburger Sozialsenatorin übernahmen auch die Minister/innen Dr. Heiner Garg und Stefanie Drese die Schirmherrschaft für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. »Diese breite Unterstützung hat es uns ermöglicht, so viele Gruppen für die 72-Stunden-Aktion zu gewinnen«, ist sich Patrick sicher. Einen wesentlichen Beitrag habe auch das Bonifatiuswerk geliefert, ergänzt er dann noch. Denn mit der Unterstützung des katholischen Hilfswerks konnte der BDKJ eine Projektstelle für die Leitung der Sozialaktion im Erzbistum einrichten.

Öjendorfer Friedhof. »Was machen Sie denn hier? Feiern Sie eine Party«, wundert sich der ältere Herr, als er sich dem Pavillon nähert, unter dem Kira mit dem Mittagessen auf ihre Gruppe wartet. Nachdem sie gestern noch Gräber auf dem Wilhelmsburger Friedhof Finkenriek gepflegt haben, sind die Jugendlichen an diesem Samstagvormittag schon auf dem Friedhof Schiffbek aktiv geworden. Bevor sie sich nun um Gräber im Öjendorfer Friedhof kümmern, steht das Mittagsessen auf dem Programm. Genau damit wartet Kira unter einem Pavillon auf die Aktionsgruppe und erklärt dem erstaunten Herrn von ihrem Projekt. Zufrieden zieht er zunächst weiter, um kurz darauf mit einer Bitte zurückzukehren. Er habe kürzlich eine Operation am Knie gehabt und dadurch falle es ihm schwer, sich um das Grab seiner Frau zu kümmern. Ob ihm womöglich ein oder zwei Jugendliche zur Hand gehen könnten? Können sie natürlich – und so kommt die Kolpingjugend zumindest im Kleinen doch noch dazu, ihre ursprüngliche Idee zu verwirklichen und Angehörigen bei der Grabpflege zu unterstützen.

Kooperation. »Beim nächsten Mal würden wir uns noch intensiver darum bemühen, das Spektrum zu vergrößern und weitere Partner ins Boot zu holen«, überlegt Katharina am Sonntag kurz vor Ende der Sozialaktion. »Es wäre schön, auch andere Verbände für die Aktion zu begeistern. Natürlich böten sich konfessionelle Jugendgruppen an, aber grundsätzlich ist die Aktion offen für alle, die bereit sind sich für andere zu engagieren und unsere Werte von Solidarität, Toleranz und Weltoffenheit teilen. Deswegen würde es auch nicht passen, wenn plötzlich eine Gruppe der Jungen Alternative (JA) mitmachen wollte.«

Glücklich. In Billstedt grillen die Jugendlichen zum Abschluss ihres Projekts im Gemeindehaus der St. Pauluskirche und schauen stolz auf das Erreichte der letzten Tage. Sie haben über 150 Blumentöpfe bemalt und knapp 170 Blumen gepflanzt. Mindestens genauso viele Gräber haben sie in den letzten Tagen wieder hergerichtet und sauber gemacht. In Billstedt und Öjendorf haben sie sich um anonyme Gräber und um Kriegsgräber gekümmert. Am eindrucksvollsten sei es jedoch gewesen, sich um Kindergräber zu kümmern. »Es war komplett anders, als wir es uns bei der ersten Planung vorgestellt haben«, meint Kira rückblickend. »Aber es war eine super coole Aktion.«

Drei Stunden später, um kurz nach vier, gönnen sich die Blankeneser Pfadfinder/innen ein Eis an der Langen Reihe. Innerhalb von 72 Stunden haben sie nicht nur die vorgegebene Anzahl von Palettenmöbeln für ein geplantes Pop-Up-Projekt des Erzbistums hergestellt und abgeliefert. Angesichts der umfangreichen Material- und Palettenspenden, die sie erhalten hatten, konnten sie darüber hinaus noch extra Aufträge von Nachbarn/innen aus ihrem Viertel annehmen und ausführen. Ob es eine weitere Auflage der 72-Stunden-Aktion geben wird, steht noch in den Sternen. »Wichtig wäre mir, dass es nicht wieder sechs Jahre dauert«, meint Katharina. »Denn bei einer solchen langen Zeitspanne ist die Gefahr groß, dass das Wissen um die Aktion verloren geht.« Geht es nach den Jungpfadfindern/innen vom Stamm Jacques Marquette, wäre dagegen eine ganz andere Frage zu klären: »Warum eigentlich nur 72 Stunden? 96 Stunden wären doch viel cooler!«

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Alle Photos © Ralf Adloff und Bund der Deutschen Katholischen Jugend