Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2019, Rubrik Kommentar

Fridays for Europe und ein Europa für Alle

Von Anne Dewitz, LJR-Vorsitzende

Letzte Woche fuhr ich mit dem Zug vom Tegernsee nach München und unterhielt mich mit einer Frau, die ich zuvor an einer Bushaltestelle kennengelernt und die mich eingeladen hatte, sie zu begleiten. Diese Frau, eine waschechte Münchnerin, wie sie mir berichtete, erzählte mir von ihrem Sohn, der in der Schweiz lebt, von ihrer italienischen Großmutter, von ihrer Nachbarin, die AfD-Parolen nachplappert, und wie sie versucht, diese zu parieren und dabei mit ihr im Gespräch zu bleiben. Auch ging es darum, wie sich München verändert hat über die Jahre. Ich war beeindruckt von ihrer offenen Art und dem positiven Blick auf die Diversität der Stadt. Als sie mich danach fragte, was ich beruflich mache, erzählte ich ihr, dass ich für eine Austauschorganisation – AFS (ursprünglich American Field Service) – arbeite. Diese Organisation wurde nach dem ersten Weltkrieg von jungen Amerikanern gegründet, die im Weltkrieg einen freiwilligen Sanitätsdienst geleistet hatten. Der AFS wurde also von Menschen ins Leben gerufen, die den Krieg in Europa miterlebt hatten und um jeden Preis verhindert wollten, dass so etwas noch einmal passiert. Schon damals war die Idee, nicht Grenzen und Nationalstaaten zu stärken, sondern diese durch die Begegnung und den Austausch von jungen Menschen zu überwinden. So organisierten der AFS Austausche von Europa nach Amerika und später dann auch innerhalb Europas. Meine Gesprächspartnerin und ich waren uns einig, dass diese Idee in der heutigen Zeit wichtiger denn je ist. Bei all den nationalistischen Tendenzen muss es darum gehen, die Grenzen weiter abzubauen anstatt sie zu schließen. Dabei können Begegnung mit dem erst einmal Fremden und Anderen nur helfen.

Eine andere Geschichte von zivilgesellschaftlichem Engagement, die sich sogar zu zivilem Ungehorsam steigerte, hat Jan Böhmermann wieder ins Gedächtnis gerufen. Ein Studentensturm auf die deutsch-französische Grenze – oder wie er es nennt: die »Fridays for Europe«. 1950 stürmten bei St. Germanshof 300 europabegeisterte Studenten/innen die deutsch-französische Grenze, zerstörten Schlagbäume und rissen französische wie deutsche Grenz- und Zollschilder herunter und ersetzen sie durch Schilder mit der Aufschrift »Sie bleiben in Europa«. Ich finde, das war für die damalige Zeit ein starkes Statement, welches von der Politik nicht ungehört blieb. Diese damalige Forderung nach der Auflösung der Grenzen ist heute Realität. Eine Realität, die für viele von uns Normalität – aber keineswegs unangreifbar ist. Die Idee eines vereinten und freien Europas ist noch lange nicht realisiert. Die Idee ist brillant, aber die Umsetzung lässt an zu vielen Stellen (Flüchtlingspolitik, Parlament) zu wünschen übrig. Aber ist das ein Grund, diese Idee zu verwerfen? Ich sage nein.

Was es dafür braucht, sind engagierte, solidarische und bewegte Europäer/innen, die die Deutungshoheit über die Kritik an der EU nicht den Nationalisten in Ungarn, Polen oder Großbritannien überlassen, sondern sie sich zurück erobern und eine europäische Zukunft gestalten wollen: Für eine Zukunft als ein solidarisches, demokratisches, diverses und friedliches Europa – und ohne Rassismus und nationalistische Ideen, die Europa zerfurchen und auseinander treiben. Diese Tendenzen haben einst in den Krieg geführt.

Verbrüderung und Verschwesterung. Ich rufe an dieser Stelle in Erinnerung, dass die EU 2012 den Friedensnobelpreis erhalten hat. In der Begründung hieß es, dass man sich für die EU deshalb entschieden habe, da sie eine wichtige, stabilisierende Rolle bei der Umwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem Kontinent des Friedens gespielt hat. »Die Arbeit der EU repräsentiert ›Bruderschaft zwischen den Nationen‹ und entspricht einer Form von ›Friedenskongress‹, wie Alfred Nobel dies als Kriterium für den Friedenspreis 1895 in seinem Testament umschrieben hat.« Verbrüderung und Verschwesterung von Nationen – genau das fehlt an vielen Stellen gerade so sehr wie echte Solidarität. In unserem LJR-Beschluss zu »Mehr Mittel für die Jugendverbandsarbeit« heißt es: »Jugendverbände erfüllen für die Zivilgesellschaft wichtige sozialpolitische Aufgaben: Sie sind Orte non-formalen Lernens, an denen sich Kinder und Jugendliche Wissen, Werte, Selbst- und Sozialkompetenz aneignen und Partizipation und Demokratieprozesse kennen- und erlernen. Sie sind wichtige Werkstätten und Lernorte für zivilgesellschaftliches Engagement, Demokratie, kritisches Staatsbürgertum und Selbstorganisation.« Für mich ist das sowohl Auftrag wie auch Aufruf: Lasst uns für einen solidarischen, europäischen Raum eintreten: Fridays for Future und ein Europa für Alle. Geht auf die Straße. Engagiert Euch im Kleinen wie im Großen. Gestaltet und kritisiert. Bleibt wehrhaft, bunt, divers, diskussionsfreudig, laut – und geht wählen!