Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2018, Rubrik Titelthema

Macht Euch lieber Sorgen, wenn wir uns melden!

Interview mit Mareike »tofu« Schöne, Gruppen- und Stammesleiterin im Stamm Dragon des Pfadfinder & Pfadfinderinnenbund Nordlicht


Welche Stichworte beschreiben für Dich das Pfadfindersein?

tofu: Das Erleben, das Miteinandersein und das Momente schenken.

Spielt Natur dabei eine große Rolle?

Ja, Pfadfinder wären für mich nicht Pfadfinder, wenn wir nur drinnen im Heim wären! Ich genieße es, nach draußen zu fahren. Du siehst viel mehr, du erlebst viel mehr. Du hast eine andere Stimmung, dadurch dass du aus deinem Umfeld rauskommst. Wenn ich z.B. in ein Heim fahre, packe ich immer zu viele Sachen ein. Wenn ich rausfahre, packe ich viel weniger ein. Ich minimiere mich auf das, was ich wirklich brauche, und erlebe viel mehr. Es ist das Schönste, wenn du morgens vom Vogelgezwitscher aufwachst und in den Sonnenaufgang gucken kannst.

Wie war es für Dich, das erste Mal als Gruppenleiterin auf Großfahrt zu fahren?

Aufregend. Für die Kleinen ist die erste Großfahrt sowieso aufregend, weil alles so neu ist. Doch das gilt auch für mich als Gruppenleiterin. Schließlich habe ich nun die Verantwortung und muss schauen, dass alles gut geht. Als Grüpplinge mochten wir es früher nicht, auf Großfahrt an unbekannten Häusern nach Wasser zu fragen. Nun musste ich das übernehmen, wenn das keiner von den Grüpplingen wollte. Das war komisch für mich.
Die Verantwortung auf einer Großfahrt ist natürlich anstrengender als auf einer Gruppenfahrt. Dass ein Wochenende lang alles gut läuft, ist viel wahrscheinlicher, als dass drei Wochen alles klappt. Trotzdem ist die Großfahrt die schönste Fahrt, die man im Jahr hat, weil man viel mehr zusammenwächst. Streitereien bleiben aber nie aus. Dann bist du als Gruppenleitung in der Pflicht, die Probleme zu lösen und Konflikte zu schlichten. Das fand ich immer am schwierigsten: Für die Kleinen da zu sein und es für sich selbst auch zu genießen. Trotzdem gibt es so viele Momente, von denen ich einfach nur denke, wie schön es ist, unterwegs zu sein.

Wie reagieren Eltern, wenn Ihr ihnen erzählt: »Wir machen eine Großfahrt, sind drei Wochen mit Euren Kindern weit weg und können Euch nur sagen, wann wir losfahren – und mit Glück auch, wann wir zurückkommen?«

Es gibt sehr verschiedene Eltern. Manche Eltern vermitteln uns das komplette Vertrauen und sagen: »Ihr schafft das! Unser Kind ist noch nie kaputt nach Hause gekommen.« Andere Eltern vertrauen uns zwar auch, wollen aber trotzdem genau wissen, wo wir lang wandern, wann wir wo sind und wie sie uns erreichen können. Deswegen machen wir vor einer Sommerfahrt immer einen Elternabend und versuchen, alle Fragen zu klären, damit selbst die größten Helikoptereltern denken, dass es klappen wird.
Aber es gibt immer auch Eltern, die sehr extrem sind. Die sind aufgeregter als die Kinder und wollen am liebsten permanente Statusmeldungen von uns bekommen. Ich verstehe vollkommen, dass sie sich um ihre Kinder sorgen. Doch ich wünsche mir, dass sie uns mit Vertrauen entgegenkommen. So wie wir auf ihre Sorgen eingehen.
Sich regelmäßig bei den Eltern zu melden, stört auf Fahrt eher. Denn eine Großfahrt ist auch eine Auszeit von dem Leben daheim. Man lebt komplett anders als zu Hause. Deswegen ist es viel schöner, eine klare Linie zwischen der Fahrt und dem Alltag zu Haus zu ziehen. Wir sagen immer, dass es uns gut geht, wenn wir uns nicht melden. Macht Euch lieber Sorgen, wenn wir uns melden!

Gibt es ein typisches Bild der Pfadfinderei?

Klar, (lacht) wir essen Regenwürmer, haben magische Bücher, helfen alten Leuten über die Straße und sammeln Abzeichen.

Würdest Du sagen, dass Ihr manche Klischees erfüllt?

Tatsächlich glaube ich das schon ein bisschen. Wenn ich neue Leute kennenlerne und denen von Pfadfindern erzähle, heißt es oft: »Ihr seid schon eine kleine Sekte.« Vielleicht weil wir ein paar Besonderheiten haben. Wenn man sich einmal drei Tage lang nicht gewaschen hat, weil wir auf Großfahrt in der Wildnis sind und dazu nicht die Möglichkeit haben, dann gehen wir einfach weiter. Auch wenn wir wissen, dass es nicht mehr so angenehm ist. Doch wenn ich dann in einer Stadt an Leuten vorbeigehe, denke ich schon: »Für die bist du jetzt dieser ranzige Pfadfinder. Ich habe eine Kluft an, sehe verwildert aus und stinke.« So gesehen erfüllen wir manchmal schon Klischees.

Wenn Jugendverbandsarbeit ein Geben und Nehmen ist: Was hast Du bekommen?

Ich habe Menschen glücklich machen können mit dem, was ich gemacht habe. Ich gebe Kindern die Möglichkeit rauszukommen. Wenn mir Eltern nach einer Fahrt schreiben, wie glücklich ihre Kinder nach Hause gekommen sind, ist das eine wirklich schöne Sache.
Außerdem habe ich sehr viele Freunde kennengelernt. Mein halber Freundeskreis besteht aus Pfadfindern und ist verteilt über ganz Deutschland. Überall kennst du jemanden, den du im Normalfall nicht kennengelernt hättest. Man geht offener auf Menschen zu.
Mir hat es persönlich sehr, sehr viel gegeben. Durch die Kinder und durch das Wegfahren habe ich ganz viele prägende Momente, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin.

(Das Interview führte Oliver Trier, Hamburg)