Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2016, Rubrik Titelthema

Jugendpolitik – eigenständig, vernetzt, kompetent?!

Von Benno Hafeneger, Uni Marburg

Über Jugend und Jugendpolitik wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts und dann auch in der Geschichte der Bundesrepublik zyklisch wiederkehrend diskutiert. Vor allem wenn Kinder- und Jugendberichte vorgelegt werden, wenn jugendpolitische Proklamationen und Ziele bzw. Strategien einer »Neuen und Eigenständigen Jugendpolitik« verabschiedet werden, aber vor allem wenn Teile der jungen Generation »auffallen«, mit gesellschaftlich und politisch problematischen und unerwünschten Einstellungen und Verhaltensweisen auf sich aufmerksam  machen, dann wird »Jugend« zum öffentlichen Thema – und dann wird auch jugendpolitisch reagiert. »Jugend und Jugendpolitik« gehören – im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext verortet und mit unterschiedlichen Interessen verbunden – zu den verhandelten Dauerthemen der Republik (vgl. Hornstein 1999, Luedtke/Wiezorek 2015). Dabei hat sich Jugendpolitik zu einem komplexen und gesetzlich geregelten sowie förderungspolitisch differenzierten Feld mit einer Vielfalt von Akteuren entwickelt, das heute von der EU- über die nationale Ebene, die  Länder und Kommunen bis in die Pluralität der freien Träger (vor allem den Jugendverbänden, Bildungsstätten und Wohlfahrtsverbänden) sowie vielfältigen Initiativen reicht.

Jugendverbände/-ringe gehören mit einer langen Tradition und auf allen körperschaftlichen Ebenen zu einem – nach wie vor – wichtigen Akteur, und sie bestimmen die zeitbezogene jugendpolitische Agenda mit. Sie waren und sind immer wieder neu herausgefordert, ihre Ziele, Aktivitäten und Forderungen zu begründen, sich zu positionieren und streitend einzubringen. Dabei sind Jugendarbeit und Jugendpolitik die  beiden  Kernfelder  von Jugendverbänden/-ringen, die – bei einer Vielfalt von verbandlichen Aktivitäten – zunächst getrennt, zugleich (vor allem über die Jugendringe) miteinander zusammenhängen und verwoben  sind.

Im Folgenden soll das jugendpolitische Feld mit Blick auf die Jugendverbände/-ringe mit acht Markierungen abgesteckt werden.  Dabei ist darauf hinzuweisen, das empirisch gesicherte Erkenntnisse zum Verhältnis von Jugend(verbands)arbeit und Jugendpolitik (bisher) kaum vorliegen; das gilt für die kommunale, Landes- und Bundesebene. In der Realität streut das jugendpolitische Feld bzw. reichen die erkennbaren Strategien – so aus der Beobachterperspektive – von »innovativ und aktiv«, »reaktiv und  pragmatisch«  bis  hin zu »nicht vorhanden« bzw. »kaum erkennbar« (vgl. Lindner 2012, Neu u.a. 2016).

1. Was ist Jugendpolitik?

In einer prinzipiellen und allgemeinen Verständigung ist zunächst zu vergegenwärtigen, dass Jugendpolitik der Diskurs im öffentlichen (politischen und verbandlichen) Raum, die öffentliche Einmischung in die Diskussion über die junge Generation, über deren Themen, Fragen und Probleme sowie deren Zukunft ist. Dabei  geht es um differenzierte »Jugenddiagnosen« und die Auseinandersetzung mit Jugendbildern, um die Bedeutung von Subjekt- und Demokratieentwicklung, Partizipation und Integration, die Auseinandersetzung mit demokratie- und menschenfeindlichen Entwicklungen einerseits, dann um Wege und jugendpolitische »Instrumente« für gesellschaftlich erwünschte, demokratiefördernde Entwicklungen sowie von angemessenen Problemlösungen andererseits. So wie andere Politikbereiche – z. B. Schul-, Familien- oder Arbeitsmarktpolitik – für spezifische Bereiche des jugendlichen Lebens zuständig sind, so ist die Jugendpolitik »im Kern« für die lebensweltlichen Zusammenhänge und  eine »gelingende Jugendphase« in der Freizeit (und darüber hinaus) zuständig. Ihre Aufgabe ist  es, dafür die notwendigen und angemessenen Rahmenbedingungen zu begründen, zu schaffen und angemessene »Instrumente« zu etablieren. Diese reflektieren als staatliche und gesellschaftliche Steuerungsinstrumente zugleich immer auch die zeitbezogenen – positiven oder negativen – Blicke auf die junge Generation, die angebotenen Deutungen von (problematischen) Entwicklungen in und Interessen an der jungen Generation (vgl. Gronemeyer/Hoffmann 2014, Luedtke/Wiezorek 2015).

2. Tradition

Die Jugendpolitik der Jugendverbände und -ringe hat eine lange Tradition in der deutschen Geschichte Das gilt für die Kaiserzeit (im Rahmen der Preußischen Jugendpflegeerlasse), die Weimarer Republik (mit dem « Reichsausschuss  der  deutschen  Jugendverbände« und dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz) und die Geschichte der Bundesrepublik (mit der Gesetzgebung und den Jugendringen als Instrument auf allen Ebenen). Auf Entwicklungen und Weichenstellungen für die junge Generation haben sie wiederholt Einfluss genommen und Initiativen entwickelt, hier waren sie ein wichtiger und anerkannter (und streitbarer) Partner der Politik. Diese Tradition ist in den westlichen Ländern (der EU) – die andere Traditionen und Organisationsformen der Jugendarbeit haben – einmalig, weil die Jugendverbände in der Lage sind, bis zu 40% – so eine wiederkehrende Zahl in der langen Geschichte – der jungen Generation zu organisieren bzw. zu erreichen. Das war und ist eine Voraussetzung, ein relevanter zivilgesellschaftlicher Akteur sowie ein starker und robuster Partner gegenüber der bzw. in Politik und Gesellschaft zu sein, an dem man nicht »vorbei kommt«.

Jugendverbände und -ringe hatten und haben bei jugendpolitischen Entscheidungen und Weichenstellungen phasenweise eine herausgehobene Bedeutung und ein besonderes Gewicht. Das gilt vor allem für die Gesetzgebung mit den Jugendbildungsgesetzen, Bildungsurlaubsgesetzen, dann für die Jugendleiterfreistellung und Juleica, für Förderprogramme, internationale/regionale Kontakte, für vielfältige politisch-pädagogische Projekte (z. B. historische Stadtrundfahrten) und Trägerschaften von Aktivitäten und Einrichtungen.

3. Sechs  Verständnisse

Neben dem skizzierten – prinzipiellen und allgemeinen – Verständnis von Jugendpolitik können grob sechs Verständnisse bzw. Ebenen von Jugendpolitik – so meine Beobachtung – unterschieden und identifiziert werden. Sie kommen so idealtypisch kaum vor, aber es sind jeweils Akzentsetzungen, die zeigen, was unter Jugendpolitik verstanden wird bzw. werden kann:

• Jugendpolitik mit einem sehr breiten Verständnis und mit Blick auf den Alltag der verbandlichen Jugendarbeit. Dieser wird immer auch als Jugendpolitik verstanden, weil Jugendliche sich hier auch unmittelbar und direkt für ihre Interessen engagieren und Erfahrungen machen, die möglicherweise zur Folge haben (können), auch weitergehende Interessen und Forderungen – für die Jugendgruppe, den Verband, die Kommune – zu entwickeln und zu formulieren.

• Jugendpolitik mit einem breiten Verständnis als Einmischungs-/Querschnittspolitik in der Auseinandersetzung mit Fragen und Themen, Entwicklungen und Weichenstellungen, von denen immer auch die junge Generation betroffen ist; der Anspruch ist dabei, die Interessen   von »allen« Jugendlichen zu vertreten. Dazu gehören u.a. die Sozial- und Bildungspolitik,  die Wohnungs- und Verkehrspolitik, die Kultur- und Familienpolitik. Auf diese gilt es – einmischend und offensiv – Einfluss zu nehmen, weil hier über die Lebensbedingungen der jungen Generation und deren Zukunft entschieden  wird.

• Jugendpolitik im engeren Sinne als Jugendhilfepolitik, im Bereich der jugendhilfepolitischen Gesetzgebung, der Förderung und Ausstattung. Dieses Verständnis ist an der Absicherung  und  weiteren  Profilierung  der »Instrumente« orientiert, mit denen die eigenen verbandlichen Interessen im  Feld einer arbeitsteiligen Kinder- und Jugendhilfe gesichert sind. Hier ist man zugleich Partner im Feld der Kinder- und Jugendhilfe, der – u.a. in den Kinder- und Jugendhilfeausschüssen – sowohl das gesamte Feld im Blick hat als auch für »sich selber sorgt«.

• Jugendpolitik im ganz engen Sinne als Interessen vertretende Verbandspolitik, in der Mitgliederrekrutierung, Verbandsbindung und Übergänge in den Erwachsenenverband (Sport, Kirchen, Gewerkschaften, Feuerwehr u.a.) im Mittelpunkt stehen. Hier geht es – ganz konservativ und in einem konkurrierenden Feld – um die unmittelbar eigenen (legitimen) Interessen, den Erhalt von Strukturen und Zuständigkeiten.

• Jugendpolitik als Aufgabe und Herausforderung mit der Expertise aus der Jugendarbeit Politikberatung vorzunehmen und (förderungspolitische) Entwicklungen zu beeinflussen. Dieses Verständnis bedeutet einen eigenen Aktionsplan zu haben, Vorhaben und Forderungen überzeugend (z. B. vor dem Hintergrund eigener Bedarfserhebungen, durch Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen) vermitteln zu können sowie Kenntnisse über politische Prozesse; dazu gehört auch die Schärfung des eigenen  Blickes  durch  Perspektivenwechsel – d. h. sich in die Seite der Politik versetzen zu können.

• Jugendpolitik als Entwicklungsaufgabe und Dauerprozess bedeutet dreierlei: Erstens die verbandsinterne Qualifizierung vor allem mit Blick auf strategische Kompetenz, ein Bewusstsein für jugendpolitische Gestaltungsmöglichkeiten; zweitens die Suche von Bündnispartnern und Netzwerkarbeit. Hier geht es um Kontakt- und Vertrauensarbeit, eine Atmosphäre der Wertschätzung und Anerkennung unter Partnern – wohl wissend, wie begrenzt die eigenen Möglichkeiten sind. Dabei geht es um strategische Orientierungen, wie z. B. am Erhalt und der Erweiterung von eigenständigen Jugendwelten (Orten und Zeiten) und bei der Entwicklung von kooperationsorientierten kommunalen bzw. sozialräumlich begründeten Bildungslandschaften mitzuarbeiten. Drittens geht es um – möglichst institutionalisierte – Partnerschaften von Wissenschaft und Praxis, um eine Forschungs- und Kooperationskultur, die das Potenzial (wie Studien, Konzeptionsentwicklung, Fachtagungen, Weiterbildung, Wissenstransfer, Modellversuche) ausschöpft, das in solchen Wissenschafts-Praxiszusammenhängen (kooperativer Praxisforschung) liegt; solche Überlegungen gelten vor allem für die professionelle Praxis (vgl. Hüttemann u.a. 2016).

Die skizzierten jugendpolitischen Selbstverständnisse und Akzente sind nicht konkurrierend und stehen sich nicht als Alternativen gegenüber, aber es gilt schon zu vergewissern und zu entscheiden, welche Akzente und Mischungen favorisiert werden und welche Akteursrolle man damit im jugendpolitischen Feld spielt bzw. spielen will.

4. Jugendpolitische Kompetenz

Die Frage, was Jugendverbände und -ringe befähigt Jugendpolitik zu machen, kann mit den Erfahrungskontexten der Jugendarbeit und mit dem Wissen über die junge Generation beantwortet werden. Es sind deren lebensweltlichen (nicht schulischen und ausbildungsbezogenen) Zugänge zu Jugendlichen, ihre Wahrnehmungen und Kenntnisse »über« Jugendliche, die es zu vergewissern, öffentlich zu kommunizieren und der Politik mitzuteilen gilt. Jugendverbände und -ringe müssen hier deutlich machen, dass sie mit diesem »Merkmal« über originäre Erfahrungen in der Jugendarbeit – mit all ihren Aktivitäten, Angeboten und Einrichtungen, ihrem Verständnis von Bildung in informellen und nonformalen Kontexten (vgl. den Zwölften Kinder- und Jugendbericht aus dem Jahr  2006)– verfügen und substantielles Wissen »über« Jugendliche haben bzw. in der Lage, diese zur Sprache kommen zu lassen. Und ein weiteres Kompetenzmerkmal ist von Bedeutung, das sich auf das »Reden über die junge Generation« bezieht. Bei allen Problementwicklungen und Krisenmarkierungen innerhalb der jungen Generation, die es öffentlich zu machen gilt, sind Jugendverbände/-ringe vor allem auch ein Akteur, der positive Entwicklungen – Engagement, Freiwilligkeit, Verantwortung, Solidarität, Gerechtigkeit, Toleranz, Zusammenhalt öffentlich einbringen und damit ein positives Jugendbild markieren kann. Sie können somit einen wichtigen Beitrag zur Differenzierung leisten, wie in der Gesellschaft »über Jugend« geredet wird und welche Zukunftsvorstellungen es über die Gesellschaft in einer konflikthaften und krisengeschüttelten Welt gibt.

Damit zeigen Jugendverbände/-ringe dass sie Kompetenz haben, angemessene jugendpolitische Ziele und »Instrumente« zu entwickeln, zu begründen, welche sie in ihrem Zuständigkeitsbereich und mit ihren (erweiterten) Ressourcen dann auch umsetzen können. Das bedeutet im Selbstverständnis, dass Jugendverbände und -ringe keine jugendpolitischen (nörgelnden oder rituell fordernden) Bittsteller sind, sondern – mit Blick in die Sozialisation und Bildung, die Entwicklung von Demokratie und Zivilgesellschaft – wirklich was Bedeutsames anzubieten haben.

5. Regel- oder Projektförderung

Immer wieder ging es in der Geschichte – und das gilt gerade auch für aktuelle Entwicklungen – der staatlichen Jugendpolitik um das Spannungsfeld von breiter Regelförderung und Absicherung von Jugendverbänden (als Regelträgern) auf der einen Seite; dann um befristete Projektförderungen, die Innovationen dienen bzw. anstoßen sollen und/oder sich auf spezifische Problemgruppen, Mentalitäten und Verhaltensweisen unter Jugendlichen beziehen, auf der anderen Seite. In dieses Spannungsfeld sind Jugendverbände und -ringe einbezogen, hier müssen sie sich mit einer klugen »Sowohl-als-auch«-Strategie verhalten, aber neben der Teilnahme an der Projektförderung zugleich u.a. ihre zentrale Kompetenz und ihren basalen Auftrag,   ihr   originäres, unverwechselbares »Credo« offensiv vertreten Möglichst viele Jugendliche über einen längeren Zeitraum zu erreichen, ihnen Erfahrungen von »sinnvoller Freizeit«, Demokratie und Solidarität, Emanzipation und Wirksamkeit zu ermöglichen. Gerade die langjährige Einbindung in die Jugendarbeit ermöglicht – garantieren kann sie das nicht – Sozialisationserfahrungen, die mit Anerkennung, Einbindung und Partizipation verbunden und  damit  mental prägend sein können.   Hier lohnt der Streit mit der Politik auf einer – Planungssicherheit gebenden – Regelförderung zu bestehen, die zugleich vielfältige Aktivitäten ermöglicht und offen ist für neue Formate der Jugendarbeit.

6. Gremien vs. Mobilisierung

Jugendpolitik ist immer die notwendige innerverbandliche und organisierte Gremienpolitik; das betrifft und bezieht sich vor allem auf die internen Strukturen der Jugendringe und die Kinder- und Jugendhilfeausschüsse, Gespräche mit Politik und Verwaltung, Mitarbeit in Arbeitszusammenhängen und Vernetzungsstrukturen u.a. zur Prävention, in Netzwerken gegen rechts, zur Flüchtlingsarbeit. Diese Form von stellvertretender und advokatorischer Politik gehört zum jugendpolitischen Profil der gewählten und hauptamtlichen Akteure in Jugendverbänden und -ringen – und sie entspricht dem parlamentarischen und gremienbezogenen Politikbetrieb. Jugendpolitik kann aber auch in mobilisierender Absicht – der Motivierung und Einbindung von Jugendlichen (»von unten«) – akzentuiert werden; hier wird versucht, Jugendliche selbst zur Sprache kommen zu lassen bzw. sie dazu zu befähigen. Dieser Ansatz von Mobilisierung und Befähigung hat eine lange Tradition im Community Organizing, von Selbstorganisation und im Empowerment – im Sinne von »Engagement von unten aufzubauen«, sei- ne »Interessen selber zu vertreten«. Welche Strategievarianten man auch favorisiert, immer gehört es zur Reflexion von jugendpolitischen Interessen, das Spannungsfeld zu vergegenwärtigen – ob das meine oder die Interessen von Jugendlichen sind.

7. Professionalität

Jugendverbände und -ringe sind im Feld der Jugendpolitik mit ehren- und hauptamtlichen Akteuren vertreten, beide Strukturelemente (Ehren- und Hauptamtlichkeit) und Kompetenzen haben eine lange Tradition und ergänzen sich. Auf Bezirks-, Diözesan-, Landeskirchen- ebene, auf Landes- und  Bundesebene bedarf es – will man ernsthafter Partner sein – einer professionalisierten Jugendpolitik, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat. Neben Professionalität in der Jugendarbeit (Jugendbildungsreferenten/-innen) bedarf es auch jugendpolitischer Professionalität, die mit spezifischen Kompetenzen (agieren im Feld, Öffentlichkeitsarbeit, Plausibilisieren von Forderungen u.a.) verbunden ist. Dabei ist ihre Kompetenz an die Erfahrungen in der Jugendarbeit, deren Ziele und Aufgaben gebunden; zugleich ist sie fachlich/wissenschaftlich fundiert. Beide Aspekte geben Legitimation, schaffen Selbstbewusstsein und sind Motivationen für jugendpolitisches  Engagement.  Hier  können Jugendverbände/-ringe mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen – mit ihrer Professionalität und ihren anerkannten Personen – in Vernetzungsstrukturen eine organisierende, federführende, moderierende und »kümmernde« Funktion übernehmen.

8. Akteursfeld

Jugendverbände/-ringe sind ein – mehr oder weniger bedeutsamer – Akteur im Feld der Jugend- politik, zu dem neben der Politik und Verwaltung, andere Träger und Felder der Jugendhilfe (z. B. die Offene Jugendarbeit) gehören; weiter wird die Jugendpolitik durch den wissenschaftlich gestützten und öffentlichen Jugenddiskurs beeinflusst. Die Akteure haben unterschiedliche Interessen und folgen unterschiedlichen Logiken mit Blick auf die junge Generation und jugendpolitischen »Instrumente«. Hier gehört es zum »Geschäft« der Jugendverbände und -ringe ihre Erfahrungen, Stärken und Kompetenzen aus der Jugendverbandsarbeit in einer dialogorientierten Partnerschaft einzubringen, Schnittmengen und Gemeinsamkeiten sowie »kluge« Kompromisse zu finden (vgl. zur kommunalen Jugendhilfeplanung Liebig 2016). Diese Vergegenwärtigung ist bedeutsam, um Überforderungen, Fehleinschätzungen und Resignation zu vermeiden wie auch (strukturelle) Grenzen – was geht und was (noch) nicht geht – zu erkennen.

Zukunft der Jugendpolitik

Für die Zukunft verbandlicher Jugendpolitik gilt es vier Balancen in einer »Sowohl-als-auch«- Strategie zu beachten:

erstens eine kluge Balance der Vertretung eigener (verbandlicher) Interessen und darauf zu bestehen, die Interessen von »allen« Jugendlichen zu vertreten;

zweitens eine kluge Balance von (traditioneller) gremienbezogener und mobilisierender Jugendpolitik;

drittens die Entwicklung neuer lokaler, projektbezogener Formen von Jugendpolitik, die als »best-practice« kommuniziert und in die Jugendverbands-/-ringsstrukturen implementiert werden können; 

viertens sich nicht für eine »Alibipolitik« instrumentalisieren zu lassen, sondern mit selbstbewusster Haltung die eigenen Möglichkeitsräume und Kompetenz zu nutzen und einzubringen. Dabei kommt es vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und demografischer Entwicklungen vor allem auch darauf an – ja es ist geradezu konstitutiv als bedeutsamer Akteur – die originären Kompetenzen und Erfahrungen aus der Jugendarbeit einzubringen und in der Generationenfolge möglichst (immer wieder neu) viele Jugendliche zu gewinnen, zu binden und zu organisieren. Jugendpolitik ist bzw. kann auf allen Ebenen – von der Leitung einer   Jugendgruppe, über ehrenamtliches Engagement in einem kommunalen Kinder- und Jugendhilfeausschuss bis hin zur professionellen Vertretungspolitik auf Landesebene – ein prägendes politisch-sozialisatorisches  (moralisches)  Lernfeld  und eine »Schule der Demokratie« (sein). Akzentsetzungen und Profilbildung von Jugendpolitik sind immer an Gelingensbedingungen und fördernde Voraussetzungen gebunden, mit Fragen der Belastung und Behinderungen für eine »gute« Jugendpolitik konfrontiert. Hier bedarf es ausgewiesener Vorstellungen über jugendpolitische Ziele und Vorhaben, die Ausstattung mit den notwendigen materiellen Ressourcen und fachlichen Kompetenzen – erst dann kann man von einer Jugendpolitik reden, die einerseits neu und eigenständig ist bzw. sich auf den Weg dahin macht; die zugleich aber immer abhängig und vernetzt ist, von vielen Akteuren und Interessen beeinflusst  wird.

Dass man sich mit einer »Eigenständigen Jugendpolitik« auseinandersetzt und diese zu begründen und konturieren versucht, hilft zu klären, ob es und wie es diese geben kann. Auch wenn dies als ein offener Prozess verstanden wird, sollten keine falschen Versprechungen – als gäbe es eine »Eigenständige  Jugendpolitik« – angekündigt werden. Es geht immer um die Inhalte und Themen, Kontexte und Relationierungen, Spielräume und Entwicklungen, die es dann mit ihren Möglichkeiten, Chancen und Grenzen auszuloten und füllen gilt. Bei der Diagnose der derzeitigen Jugendpolitik mit dem Label »eigenständig« kann man bilanzieren, dass es weniger um jugendpolitische Inhalte und Themen als um Verfahrensweisen und Methoden (z. B. Partizipation, Jugend-Check) geht.

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Literatur

• Fischer, J. / Lutz, R (Hrsg.), Jugend im Blick. Gesellschaftliche Konstruktionen und pädagogische Zugänge, Weinheim und München 2015

• Gronemeyer, A. / Hoffmann D. (Hrsg.), Jugend als soziales Problem – soziale Probleme der Jugend, Weinheim und München 2014

• Hornstein, W., Jugendforschung und Jugendpolitik. Entwicklungen und Strukturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Weinheim und München  1999

• Hüttemann, M. / Rotzetter, F. / Amez-Droz, P. / Gredig, D. / Sommerfeld, P., Kooperationen zwischen Akteuren aus Wissenschaft und Praxis, in neue Praxis, Heft 3/2016, S. 205–221

• Liebig, R., Die Berücksichtigung von Interessen und Lebenslagen junger Menschen in der kommunalen Jugendhilfeplanung, Dortmund 2016

• Lindner, W. (Hrsg.), Political (Re)Turn. Impulse für ein neues Verhältnis von Jugendarbeit und Politik, Wiesbaden 2012

• Luedtke, J. / Wiezorek, Chr. (Hrsg.), Jugendpolitiken. Wie geht Gesellschaft mit ihrer Jugend um? Weinheim und München 2015

• Neu, R. / Steinberg, V. / Lindner, W., Learning to fly Jugendarbeit macht Jugendpolitik, in deutsche jugend, Heft 7–8/2016, S. 314 – 324