Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2016, Rubrik Kommentar

Warum eigentlich immer Work-Life-Balance?

Von Laura Vanselow, Martin Helferich, Vorsitzende des Landesjugendringes Hamburg

»Ich kann heut‘ doch nicht zur Gruppenstunde, muss noch Englisch machen.« Oder »Nee, meine Mama sagt ich kann am Wochenende nicht mit auf das Zeltlager, weil wir nächste Woche Mathe schreiben!« Teilnehmer/innen sagen Gruppenstunden und Wochenendfahrten  ab, weil sie lernen müssen, die Hausaufgaben noch nicht fertig sind oder  der Nachhilfeunterricht in die Zeit der Gruppenstunde fällt. Wir erleben durch G8 und verbindlichen  Nachmittagsunterricht eine  Verknappung der Zeit von Kindern und Jugendlichen. Und ja – das hat Auswirkungen auf die Angebote der Jugendverbände. Gruppenstunden, Heimabende, Sporttraining werden auf den späten Nachmittag gelegt, damit die Teilnehmer/innen, aber auch die Jugendleiter/innen, Zeit dafür haben. Wochenendfahrten müssen in die nähere Umgebung unternommen werden, weil man am Freitag nicht am frühen Nachmittag aufbrechen kann. Wie viele Kinder und Jugendliche zu den wöchentlichen Treffen und anderen Angeboten kommen, entscheidet dann aber vor allem die individuelle Hausaufgaben- und Klausurenlage. Jugendverbände »konkurrieren« daneben mit freiem Chillen, Freunde treffen, Musikunterricht, Arztterminen, dem Konfirmanden-Unterricht und der ebenfalls knapper werdenden Familienzeit.
Gleichzeitig suchen viele Schulen Anbieter für die Gestaltung des Ganztags. Auf den ersten Blick eine naheliegende  Lösung.

Aber Jugendverbandsarbeit ist getragen von den Prämissen der Freiwilligkeit, Selbstbestimmtheit und Ehrenamtlichkeit. Kinder und Jugendliche sollen sich und ihre Fähigkeiten bewertungsfrei ausprobieren und kennen lernen. In den Freiräumen der Jugendverbände können junge Menschen Selbstwirksamkeit erfahren und Schritt für Schritt, Verantwortung für sich und andere  übernehmen.

Schule funktioniert da weitestgehend anders. Es geht um formale Bildung, Bewertung, Leistung. Im Ganztag benötigt Schule Sicherheit und setzt eine klare Rahmung durch Zeit und Ort voraus. Eine Verbindlichkeit, welche von Jugendverbänden, so sie denn Angebote für Ganztagsschulen machen wollten, ehrenamtlich nur  schwer  gewährleistet werden könnte. Zumal die ehrenamtlichen Jugendleiter/innen am Nachmittag ja oft selbst noch im Unterricht gebunden  sind.

Auf den zweiten Blick passt es also gar nicht mehr so gut zusammen. Und das muss bzw. soll es auch gar nicht. Jugendverbände bieten außerschulische Bildung. Sie sind Orte des sich Ausprobierens, des miteinander und voneinander Lernens, des Wachsens und Gemeinschaft Erlebens. Gemeinschaft, die durch Partizipation entsteht und weiterbesteht – und in der ihre tragenden Werte stets neu verhandelt werden. Aus diesem Grund werden Jugendverbände zu Recht als Lernwerkstätten der Demokratie bezeichnet.

Wenn jugendverbandliche Arbeit wichtig und politisch gewollt ist, dann müssen die Bedingungen hergestellt werden, in denen Jugendverbandsarbeit weiterbestehen kann, ohne sich von den Grundpfeilern wie Freiwilligkeit, Selbstbestimmtheit und Ehrenamtlichkeit zu   verabschieden.

Die  Vollversammlung  des  Landesjugendringes  hat  unter  dem Titel »Freiwilliges Engagement von Schülerinnen und Schülern stärken. Junge Menschen haben ein Recht auf Freizeit und eine gute School-Life-Balance« zwölf Forderungen beschlossen, die zu einer Verbesserung  der Situation von Schülern/innen und der Jugendverbände beitragen. Dieser erste Aufschlag zur Stärkung freiwilligen Engagements ist eine klare Aufforderung an die Politik, sich zur Wichtigkeit der Jugendverbandsarbeit klar zu positionieren. Der Landesjugendring hat seine Hausaufgaben gemacht – jetzt geben wir den Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft und dem Senat welche auf. Wir helfen gern mit, wenn es an die Umsetzung geht! Den Beschluss dokumentieren wir auf den Seiten 9 – 12 in dieser Ausgabe – zum Lesen, Heraustrennen, Weiterreichen.

Freiräume für außerschulische Bildung und für Engagement zu schaffen das ist eine Aufgabe, die sich nicht allein in der Behörde für Schule  und Berufsbildung erledigen lässt. Gewiss muss hier Verantwortung für Schüler/innen wahrgenommen werden, und politische Lösungsentwürfe müssen auf den Tisch. Doch die Anliegen junger Menschen lassen sich hier wie in vielen anderen Fällen – nicht in Ressortgrenzen abbilden. Wir zeigen in dieser punktum auf, was eine Eigenständige Jugendpolitik hierzu beitragen kann – und welche Chancen sie auch für Hamburg birgt.

Apropos: Um die Interessen junger Menschen bei allen Maßnahmen im Blick zu haben, hat die Große Koalition auf Bundesebene vereinbart, einen Jugendcheck einzuführen. Eine überfällige Maßnahme! Über den Sommer, so wurde von Kundigen im politischen Kaffeesatzlesen prognostiziert, sei im Bundesjugendministerium eine Entscheidung über den Jugend-Check und seine rechtliche Implementierung zu erwarten, so dass darauf eine Gesetzesvorlage in den Bundestag eingebracht werden könnte. Oder spätestens Ende September beim bundesweiten Fachkongress Kinder- und Jugendarbeit in Dortmund, wo die Akteure des Vorhabens gemeinsam auf dem Podium saßen, würde die Katze aus dem Sack gelassen werden. Doch abermals müssen wir uns nun gedulden – kein Check in Sicht. Die Verantwortung zwischen den Fraktionen und Ministerien weiterzureichen, ist zwar scheinbar modisch, aber allenfalls eine billige Ausrede. Es ist nicht zu viel verlangt, von den Abgeordneten und der Bundesregierung zu erwarten, dass sie sich an den Koalitionsvertrag halten. Versprochen ist versprochen Wir erwarten einen rechtlich verbindlichen, wirksamen und systematischen Jugendcheck noch bis zur kommenden Bundestagswahl. Daran werden wir unsere Abgeordneten in Berlin bei Gelegenheit  erinnern.