Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2012, Rubrik Titelthema

Jung, deutsch und Muslim


Na und? Völlig normal. Nichts Besonderes. Es gibt schließlich viele differente Jugendszenen, sagen Soziologen, und darunter eben auch islamisch geprägte. So könnte man 2012 ganz gelassen denken. Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, zählt zum politischen Konsens der etablierten Parteien und ist im öffentlichen Diskurs mehrheitsfähig. Der Islam und die Muslime gehören somit zu Deutschland. Oder?

„Schock-Studie“. Doch mal wieder zeigt eine Debatte über die Integrationsfrage, wie brüchig dieser Konsens ist. Was ist geschehen? Eine große Boulevardzeitung berichtet Ende Februar exklusiv über die Ergebnisse der vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebenen Studie über „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“. Und macht dies in gewohnt einseitiger Weise. Die „Schock-Studie“ von Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftlern habe ergeben, dass „24 Prozent der jungen Muslime“ in Deutschland „streng Religiöse mit tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz“ seien. Der federführende Autor der Studie, der Jenaer Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Frindte, ist dagegen vor allem über eines schockiert: über die einseitige Rezeption und den verengenden Umgang der Medien und Politiker mit den Ergebnissen der 760-seitigen Studie. Zumal die Berichterstattung in den Boulevard-Medien, so Prof. Frindte gegenüber Süddeutsche. de, habe die Mitarbeiter seines Teams zur Verzweiflung gebracht. Wer sich über die vermeintliche Gewaltbereitschaft deutscher Muslime erregt, sollte reflektieren, dass auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft eine ähnliche Problematik virulent sei: „Denken Sie an die NSU-Terroristen und ihre Opfer“.

Wechselwirkungen. Integration ist ein zweiseitiger Prozess – von Mehrheitsgesellschaft und von Migranten. Gelingt dieser nicht, schaukelt die Ablehnung sich wechselseitig auf und befördert die Flucht in Vorurteile, diskriminierende Haltungen und isolierende Identitätsangebote – auf beiden Seiten. Die entscheidende Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft, so Frindte, sei die Kommunikation mit den Migranten: „Die Gesellschaft muss gleiche Chancen für Muslime auf dem Arbeitsmarkt schaffen, gleiche Bildungschancen, mehr Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu erlernen. Und man muss den jungen Migranten die Chance zur politischen Teilhabe geben.“

punktum schaut im Titelthema hinter das Klischeebild und versachlicht die Debatte über muslimische Jugendliche. Die Beiträge von Claudia Dantschke und Götz Nordbruch zeigen sowohl die Vielfalt als auch Wandlungsprozesse muslimischer Jugendszenen in Deutschland. Und für Hamburg gibt die Reportage von Marie-Charlott Goroncy, „Junge Muslime in der Schanze“, einen Einblick in muslimische Jugendarbeit – unter schwierigen Bedingungen. Denn der Jugendinitiative Sternschanze fehlen Räume für ihre regelmäßigen Treffen. Ein Problem, dass in der punktum-Serie WirkungsStätten auch schon für Jugendverbände aus der „Mehrheitsgesellschaft“ beschrieben wurde. Wie die Probleme sich doch gleichen … (jg)