Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2015, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Ein Orden für mich und andere

Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Lisa Martje Koch (Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbund Nord) und Benedikt Alder (Landesjugendring Hamburg, Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbund Nordlicht) – und weitere 22 junge Ehrenamtliche

Von Jürgen Garbers, Landesjugendring Hamburg

Eine Verleihung des Bundesverdienstkreuzes mal ganz anders. Sarah Connor singt. Bundespräsident Gauck freut sich über 24 junge Preisträger/ innen. Auch das geladene Publikum ist ungewohnt jung. Und im Garten von Schloss Bellevue kommen am 5. Juni mit den Preisträgern über 250 überwiegend junge Menschen aus ganz Deutschland zum Fest zusammen. Sehr viele von ihnen sind in Jugendverbänden ehrenamtlich aktiv.

»So viele junge Gesichter bei einer Ordensverleihung – das ist mal etwas ganz Besonderes«, betont Bundespräsident Gauck zur Eröffnung des Festaktes im Schloss Bellevue in Berlin. »Es kommt nicht oft vor, dass Frauen und Männer Ihres Alters mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet werden. Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die den Verdienstorden bekommen, sind etwa in meinem Alter oder kommen aus der Generation davor.« Diesmal aber soll der Blick exklusiv auf die junge Generation gerichtet werden : »Wir machen uns damit klar, dass es natürlich nicht eine Frage des Alters ist, ob sich jemand für Demokratie, Toleranz oder Chancengerechtigkeit einsetzt.« Die Rede des Bundespräsidenten. Sarah Connor singt eingangs »Augen auf«. Unplugged, von Gitarre und Klavier begleitet. Im Festsaal sitzen 24 junge Ehrenamtliche und ihre persönlichen Gäste. Freunde, Mitstreiter und Eltern. In einer Mischung von Aufregung und Freude hören sie der Rede des Bundespräsidenten zu. Und der sagt vor allem : Danke! Wofür? Gauck nennt die Vielfalt des jungen Engagements : »Es ist wirklich faszinierend zu sehen, was Sie alles anpacken! Kaum ein Feld, auf dem Sie Ihre Ideen oder Ihre Perspektive … nicht einbringen. Sie nutzen die völkerverbindende Kraft des Fußballs, den kulturellen Austausch und fördernden Gemeinsinn. Sie sammeln Spenden für schwer kranke Kinder und erfüllen ihnen Herzenswünsche. Sie halten Erinnerungen an den Holocaust wach und bringen junge Menschen mit Überlebenden ins Gespräch. Ob es um die Gestaltung der eigenen Universitätsstadt geht oder die Jugendarbeit der ›Youth-Bank-Bewegung‹, um Verkehrserziehung oder Schwimmunterricht, Filmfeste, Rockkonzerte, internationale Zeltlager : Sie alle stehen für beeindruckende Projekte, Sie alle engagieren sich auf Ihre Weise und über Grenzen hinweg, in Deutschland, in Europa und in unserer Einen Welt.« Dieses Engagement des selbstbewussten Bürgers sei, so Gauck, essentiell für die demokratische Kultur. »Menschen wie Sie, die Begegnungen suchen und Solidarität leben, die machen das Miteinander in einer offenen demokratischen Gesellschaft erst möglich und Sie machen es lebenswert.« Doch Gauck nennt ebenso die Durststrecken, die Engagement kostet : »Sie können … ruhig erzählen, dass Ehrenamt manchmal durchaus Zeit und Mühe kostet und dass es auch mal anstrengend sein kann und schrecklich frustrierend.« Trotz alledem betont Gauck : »Ehrenamtliches Engagement ist ein Geschenk an die Gesellschaft und es macht uns alle miteinander glücklich. … Ich habe nun auch etwas zu geben : Ich freue mich, Ihnen den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland zu überreichen.«


Am Band. Die feierliche Übergabe der Verdienstmedaille am Band wird begleitet von der Verlesung der Auszeichnungsbegründung für die 24 Geehrten (nachzulesen hier ). Die Ausgezeichneten treten nach vorn zum Bundespräsidenten, erhalten Urkunde und Medaille – und wie üblich in der Bundespolitik blitzen die Fotoapperate der akkreditierten Journalisten. Nicht nur die. Im Publikum werden Smartphones gezückt. Danach ist Lisa Martje Koch aus Hamburg mit ihrer Dankesrede an der Reihe.

Freiheit und Freiwilligkeit. Vom Bundespräsidialamt ist Lisa ausgewählt worden, stellvertretend für alle Ausgezeichneten im Anschluss an die Ordensverleihung eine Dankesrede zu halten. Lisa hat sich gut vorbereitet, ihr Manuskript liegt in einer offiziellen Mappe. Sie hatte gedacht, das Protokoll würde es verlangen, dass sie ihre Rede vorab vorlegt. Doch die Protokollchefin hatte freundlich lachend abgewunken. Das halte man hier nicht so. Offenbar pflegt der Bundespräsident in seinem Hause, wofür er in seinen Reden immer wieder vehement eintritt : Freiheit. Auch für fremde Reden in seinem Hause. Lisa tritt selbstbewusst auf. Sie hält ihre Rede in großen Teilen frei, betont, worauf es ihr ankommt, und findet treffende Worte für das vielfältige Engagement der Anwesenden. »Die einen treibt der Wunsch, die Gesellschaft, in der wir leben, aktiv mitzugestalten und die Welt vielleicht … besser zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben. Einige wollen etwas zurückgeben, das ihnen selbst zu Teil wurde oder einen sozialen Ausgleich schaffen. Viele von uns finden ihre Selbstverwirklichung in der selbstgewählten Arbeit.«


Die Wirkungsfelder sind dabei breit gefächert. Sie beginnen »vor der Tür, beziehen sich auf alle Gebiete Deutschlands und reichen bis Israel und Ruanda«. Nicht minder vielfältig, betont Lisa, sind die Tätigkeitsbereiche der Geehrten : Sie sind aktiv in Jugendverbänden, realisieren Projekte im Bereich von Musik, Film, Theater und Literatur, engagieren sich gegen Rassismus und Antisemitismus, verlebendigen die Erinnerungskultur in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands oder gestalten internationale Begegnungsarbeit für junge Menschen.

Es ist zu spüren, auch Lisa ist beeindruckt davon, was ehrenamtliches Engagement alles auf die Beine zu stellen vermag. Aber dieses Engagement sei nicht voraussetzungslos, findet Lisa. Ohne die Freiheit zum Engagement und den Freiraum für ein Ehrenamt wäre dies alles nicht möglich. In diesem Sinne dankt Lisa für den Erhalt des Bundesverdienstkreuzes. »Für mich ist die heutige Zeremonie nicht nur die Ehrung unseres persönlichen Engagements – sondern sie ist auch die Ehrung der Freiheit, Engagement leben zu können.« Dieser Grundgedanke bedeutet für Lisa zugleich Aufgabe und Mahnung, denn : »Noch immer gibt es auf dieser Welt Menschen, die auf Grund von Ausgrenzung und Diskriminierung, Krieg, Hunger und Armut in ihrem Leben beschnitten werden. Einige von ihnen kommen auf der Suche nach einem Leben in Freiheit nach Deutschland. Doch was sie hier finden, entspricht ganz entschieden nicht meiner Überzeugung von Freiheit. Stellen wir uns vor, was für Potenziale freigesetzt würden, wenn allen Menschen, die Freiheit zu Teil würde, die uns getragen hat.« Für ihre Rede erhält Lisa lauten Beifall; den Ausgezeichneten scheint sie aus dem Herzen gesprochen zu haben. Gemeinsam geht es nun in den großen Schlosspark, wo mit weiteren jungen Menschen das Gartenfest beginnt.

»Eine Auszeichnung fremder Herren«? Helmut Schmidt verzichtete, auch Inge Meysel, Jan Philipp Reemtsma und Heidi Kabel, um nur einige namhafte Hamburger zu nennen, lehnten den Empfang des Bundesverdienstkreuzes ab. Warum? Zurück geht diese Haltung auf ein Gesetz im Hamburger Stadtrecht von 1270. Eine Auszeichnung durch »fremde Herren« galt als unvereinbar mit dem hanseatischen Selbstbewusstsein, Bürger einer freien Stadt zu sein. Ein Senatsbeschluss von 1963 bekräftigte noch das Prinzip. So ist es bis heute unter Senatoren, Bürgerschaftsabgeordneten und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst zumindest verpönt, Auszeichnungen anzunehmen, – auch wenn es nicht mehr verboten ist. Ein Hamburger Amtsträger solle seinen Lohn in dem Bewusstsein erfüllter Pflicht begreifen – und nicht durch Auszeichnungen Dritter.

Andere Sicht. Das Bundesverdienstkreuz stiftete Bundespräsident Theodor Heuss am 7. September 1951. Seither wurde die Auszeichnung rund 248.400 mal verliehen (Stand August 2014). Es ist die höchste Anerkennung, welche die Bundesrepublik für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht, und wird an in- und ausländische Bürger für politische, wirtschaftlich-soziale, geistige, soziale und karitative Leistungen verliehen. Eine finanzielle Zuwendung ist mit der Verleihung übrigens nicht verbunden. Warum also als Hamburger den Preis ablehnen?

»Nö«, sagen zu dieser Frage unisono die beiden in Hamburg Aktiven, Benedikt Alder (30 J.) und Lisa Martje Koch (27 J.). Zum einen würden sie ja kein staatliches Amt bekleiden, zum anderen messen sie der Auszeichnung eine ganz besondere Bedeutung bei. Lisa : »Das Bundesverdienstkreuz ist zwar eine Auszeichnung für mein ehrenamtliches Engagement. Aber zugleich steht sie stellvertretend für viele andere, die es genauso verdient hätten.« Dem pflichtet Benedikt bei. »Viele Projekte, die ich bei den Pfadfindern oder anderswo realisiert habe, wären ohne die anderen, die tatkräftig mit dabei waren, gar nicht möglich gewesen. Ein Ehrenamt funktioniert nur in der Gemeinschaft. Daher zeichnet das Bundesverdienstkreuz uns alle aus.« Beide verstehen den Orden folglich als Bürgerpreis im besten Sinne. Und da bräuchte doch kein Hamburger abseits stehen.

Von Hamburg bis zum Baikalsee. Was haben die beiden Hamburger Aktiven nun alles angepackt, für das sie ausgezeichnet wurden? Gemeinsam ist beiden, dass sie mit zehn, elf Jahren bei den Pfadfindern angefangen haben. Benedikt reiste 1995 kurz nach seinem Eintritt beim Deutschen Pfadfinderbund Hamburg (DPBH) mit elf Jahren bereits auf »Großfahrt« nach Irland. Mit elf Jungs wanderten sie von Galway aus westwärts. Mit Rucksack und Kohten. Schon die Anreise war ein Abenteuer. Eine starke Erfahrung, so früh alleine mit einer Gruppe in einem fremden Land drei Wochen unterwegs zu sein, meint Benedikt, »das hat mich voll infiziert«. Der Pfadfindervirus hat ihn seitdem nicht mehr losgelassen. Mit 15 Jahren wurde er bereits Jugendleiter einer eigenen Wölflingsgruppe. Und vier Jahre später folgte die nächste Herausforderung : Unzufrieden mit dem damaligen pädagogischen Konzept und organisatorischen Aufbau des DPBH gründete Benedikt 2002 zusammen mit vielen anderen Stammesmitgliedern den Pfadfinder- & Pfadfinderinnenbund Nordlicht, um bündische Elemente, Basisdemokratie und eine modernere Gruppenpädagogik zu realisieren. »Das war mein ehrenamtliches Aha-Erlebnis«, meint Benedikt dazu. Nicht nur, dass »jedem Anfang ein Zauber innewohnt«. Er habe im Stammesvorstand erfahren, was es bedeutet, einen neuen Jugendverband aufzubauen. Seitdem wirft sich Benedikt gern mit Haut und Haaren in die Organisation von kleinen und großen Projekten. So wurde er 2004 im Bundesvorstand der Nordlichter zuständig für Pfingstlager, Seminarangebote und Großfahrten. Seine spannendste Fahrt führte ihn 2012 mit neun Pfadis an den Baikalsee in Sibirien, wo sie die russischen Baikal-Scouts zum Austausch trafen.

Zwei Krisen. Auslöser für Benedikts jugendpolitisches Engagement waren zwei »Hauskrisen«. 2008 verkaufte die Stadt Hamburg ohne Vorwarnung das Haus in der Oesterleystraße, in dem Pfadfinder seit den 80er Jahren und die Nordlichter seit ihrer Gründung residierten. Ein herber Schlag. 2011 drohte der Verlust der Räumlichkeiten in der Ottenser Hauptstraße, bedingt durch die angekündigte Streichung der Mietzuschüsse durch den Bezirk Altona. Die Nordlichter mobilisierten durch verschiedene Aktion die Politik; die Kürzung wurde abgewendet. Für Benedikt bedeutet diese positive Erfahrung : »Wer Jugendverbandsarbeit will, muss sich auch jugendpolitisch engagieren, damit Freiraum und ebenso finanzielle Unterstützung dafür erhalten bleiben.«

Dafür streitet und engagiert sich Benedikt nun seit 2011 nachhaltig im Vorstand des Landesjugendrings. Darüber hinaus ist er Mitglied im Landesjugendhilfeausschuss.
Und was macht er in seiner »Freizeit«? Benedikt singt. Als Tenor im Chor der Humboldt-Universität zu Berlin, an der er 2011 seinen Abschluss als Diplom-Jurist erlangte. Ganz normal, dass Benedikt auch hier ehrenamtlich wirkt : Er organisierte als Vorstandsmitglied 2010 für seinen Chor und fünf weitere die Reise und Teilnahme an dem internationalen Zimriya Chor Festival in Jerusalem.

Niemals vergessen & heute eingreifen. Lisas verbandliche Sozialisation beim Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbund Nord verlief recht ähnlich zu den Stationen Benedikts. Vom jungen Mitglied mit zehn Jahren über die Jugendleiterinfunktion mit 14 bis hin zur Vorstandstätigkeit. Noch heute sagt Lisa : »Die Mädels in meiner eigenen Gruppe waren das Abenteuer meines Lebens.« Die gemeinsamen Pfadfinderaktionen und -erlebnisse hatten zusammengeschweißt, was sonst in der Gesellschaft getrennte Wege geht. In Lisas Stamm waren sowohl Schulabbrecherin als auch Einser-Abiturientin für einander da. Gelebte Solidarität und Gemeinschaft. Dieses Erlebnis hat Lisa für ihr politisches Engagement geprägt. »Jeder soll mitgenommen, niemand vergessen werden.« Das Gegenteil erlebte sie als Schülerin, als ein Klassenkamerad, der aus dem Bürgerkrieg des zerfallenden Jugoslawien geflohen war, abgeschoben wurde. Neben der Pfadfinderaktivität widmete sie sich nun verstärkt den Themen Asyl und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland. Die sogenannte Erinnerungskultur, niemals Verfolgung und Völkermord in der NS-Zeit zu vergessen, deutete sie dabei immer als Aufforderung, aktuell gegen Rassismus und Ausgrenzung politisch aktiv zu werden. Sie engagierte sich bei »respekt*« – den jährlichen Aktionstagen der Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände »gegen alltägliche Gleichgültigkeit«. Lisa führte dabei u. a. Zeitzeuginnengespräche, so mit den Überlebenden des Holocausts Esther Bejarano und Steffi Wittenberg. Allen, die bei diesen Veranstaltungen dabei gewesen sind, sind diese eindringlichen Gespräche und die Aufarbeitung der Geschichte, als Impuls für ein aktuelles Engagement zu begreifen, lebendig in Erinnerung. Das Mitwirken bei respekt* war auch für Lisa selbst folgenreich. Sie stellte ein »Theater of Witness« mit auf die Beine, das die Biograghie von Steffi Wittenberg zum Ausgangspunkt nahm. Das Theaterstück »Spiel nicht mit den Lehmannskindern« wurde u. a. auf dem Kirchentag in Hamburg und in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aufgeführt. Darüber hinaus organisierte Lisa Jugendaustausche mit einem israelischen Pfadfinderbund sowie mehrere Fachkräftebegegnungen in Hamburg und Ashdod (Israel). Auch dies trug weitere Früchte : Aktuell leitet Lisa als Teamerin zusammen mit anderen die Deutsch-Israelische Geschichtswerkstatt.

Zwei für viele. Diese beiden »Engagementsbiographien« stehen hier stellvertretend für die insgesamt 24 mit dem Verdienstkreuz Ausgezeichneten. Jede ihrer Geschichten ist eindrucksvoll. Für das, was ein Ehrenamt bewirken kann. Ihr Engagement ist ein Ausblick auf eine Gesellschaft, in der die Menschen frei und solidarisch wären.

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Alle Photos © Walter Jankus, Hamburg