Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2015, Rubrik Titelthema

»Hamburg ist bunt – sind wir’s auch?!«

Eindrücke und Denkanstöße aus einem Einstiegsworkshop zur interkulturellen Öffnung von Jugendverbänden

Von Maria Wassersleben, LJR, Bildungsreferentin

Kulturelle Vielfalt ist ein Stück Normalität in unserer Stadt! Sie begegnet uns alltäglich – ob im Klassenzimmer, an der Supermarkt-Kasse oder in der U-Bahn. Ein Blick auf die Statistik zeigt: Rund 31% der Hamburger Bevölkerung und 47% aller Hamburger Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren haben einen sogenannten Migrationshintergrund (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein). Doch spiegelt sich diese Vielfalt auch in Hamburger Jugendverbänden wider? Sind sie so offen, dass auch junge Menschen mit Migrationshintergrund ausreichend Möglichkeit haben, Zugang zu finden, mitzugestalten und ihre Interessen einzubringen? Ihr Ziel sollte dies allemal sein.

Vor diesem Hintergrund veranstaltete der Landesjugendring an einem Samstag im Januar 2015 einen Workshop zum interkulturellen Selbstcheck für Hamburger Jugendverbände. Im Sinne eines intensiven Einstiegs sollten die Teilnehmenden einerseits für die Bedeutungen und Möglichkeiten interkultureller Öffnung sensibilisiert werden, andererseits Raum dafür erhalten, den Ist-Zustand des eigenen Verbandes zu reflektieren sowie davon ausgehend erste Handlungsansätze für die Zukunft zu entwickeln. Ein passendes, methodenreiches und interaktives Programm stellte die interkulturelle Trainerin Marissa Turaç für uns auf die Beine. 15 engagierte Köpfe aus acht Verbänden waren dabei – es konnte losgehen!

Barrieren? Gestartet wurde mit einer Übung, bei der sich alle entsprechend ihrer Geburtsorte und der ihrer Eltern und Großeltern im Raum positionierten. Dabei gab es viel Bewegung, ob nur innerhalb Deutschlands oder über Ländergrenzen hinweg. Denn Migration – die räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunkts – ist seit jeher gesellschaftliche Realität. Schließlich ging es darum, den Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf den unterschiedlichen Ebenen des eigenen Verbandes zu schätzen. Hier wurde deutlich: alle beteiligten Verbände erreichen mit ihren Angeboten mehr oder weniger auch diese jungen Menschen, können sie aber selten für ein langfristiges, verantwortungsbewusstes Engagement auf höherer Ebene des Verbandes gewinnen. In Kleingruppenarbeit wurden Zugangsbarrieren und Ausschlussmechanismen gesammelt, die Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund den Zugang zu Jugendverbänden erschweren können. Mag bereits das C für christlich oder D für deutsch im Namen auf einige ausgrenzend statt einladend wirken? Bestehen Zweifel darüber, dass kulturelle oder religiöse Regeln eingehalten werden? Wirkt der verbindliche Charakter mit Mitgliedsbeiträgen abschreckend? Oder haben diese jungen Menschen vielleicht noch nie etwas vom Verband gehört, weil die Öffentlichkeitsarbeit sie gar nicht erreicht bzw. anspricht? Querschnittsaufgabe. Anschließend gab es einen längeren Input zu interkultureller Öffnung durch die Trainerin. Was steckt alles hinter diesem Begriff? Auf jeden Fall mehr als die Aussage: wir sind offen – es können alle kommen! Interkulturelle Öffnung passiert auch nicht von heute auf morgen durch eine Aktion. Nein, es ist ein langer Prozess, der immer wieder aufs Neue belebt und von allen mitgetragen werden muss. Er erstreckt sich auf alle Ebenen des Verbandes: Angebote, Öffentlichkeitsarbeit, Personalentwicklung, Kooperationen etc. – alles wird unter die Lupe genommen, hinterfragt und weiterentwickelt. Sinnvoll ist dabei ein auf den einzelnen Verband zugeschnittenes Konzept, in dem Handlungsfelder, Ziele, Strategien und Wege des Controllings definiert werden. Interkulturelle Öffnung braucht Neugier, Tatendrang und Ausdauer! Aufgrund der großen Themenpaletten und begrenzten Ressourcen stößt diese Aufgabe in Jugendverbänden aber leider nicht selten auf Widerstände. Deshalb gilt es kleinschrittig, aber kontinuierlich vorzugehen. Wie die Entwicklung aussehen kann, zeigte eine Übung, in der die Teilnehmenden sieben Stufen der interkulturellen Organisationsentwicklung in die richtige Reihenfolge bringen sollten. Zum Abschluss des Workshops hatten alle schließlich die Aufgabe, erste Handlungsansätze dafür zu entwickeln, wie sie das Thema in ihren Verband weitertragen und dort anpacken können.
Closed shop? Der gesamte Workshop war getragen von reichlich Austausch unter den Teilnehmenden und damit verschiedenen Verbandsstrukturen und -erfahrungen. Zwischendurch füllten immer wieder spannende Diskussionen, Erkenntnisse und Fragestellungen den Raum. So wurde an einer Stelle festgehalten, dass Migrationshintergrund medial oftmals auf Muslime reduziert wird, aber eigentlich weit darüber hinaus geht und teilweise eben nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Kritisch diskutiert wurde auch die im Rahmen der interkulturellen Öffnung forcierte Differenzlinie »mit/ohne Migrationshintergrund«, ohne die es jedoch nicht geht. Denn alle gleich zu behandeln und Unterschiedlichkeiten zu übersehen, wird der Vielfalt der kulturellen Hintergründe und Erfahrungshorizonte junger Menschen in Hamburg nicht gerecht. Gleiche Teilhabechancen sind das Ziel – der Weg dorthin ist aber unterschiedlich. Wenn man den Anspruch hegt, für alle offen zu sein, gehört interkulturelle Sensibilität mit zum alltäglichen Verbandsleben. Doch wie offen wirken Jugendverbände überhaupt, mal ganz abgesehen von kulturellen Hintergründen? Im Workshop wurde deutlich, dass die Zugangswege grundsätzlich sehr eng sind und das Bild vom »closed shop« durchaus zutrifft. Sobald sich eine Gruppe gefestigt hat, fühlt sich das gut an, ist vertraut und bequem. Also warum etwas daran ändern, was schon immer so funktioniert hat? Weil sich vor den »shop windows« etwas bewegt. Um mit den gesellschaftlichen Veränderungen mitzugehen, gilt es sich die Zeit zu nehmen, eigene Normalitäten zu hinterfragen und sich bewusst zu machen, welchen Eindruck sie nach außen erwecken. Perspektivwechsel tun immer gut! In den Worten einer Teilnehmerin ist interkulturelle Öffnung »gar keine Revolution«. Eigentlich sei es so klar und selbstverständlich. Man müsse es aber auf dem Schirm behalten und sich ein paar Ressourcen freischaufeln, um das Ziel bewusst und kontinuierlich anzupacken. Genau! Und wenn es mit kleinen Dingen beginnt, wie dem Fotomaterial auf Flyern oder der Essensplanung bei Freizeiten. Auch für andere Teilnehmende war der Workshop Augen öffnend und motivierend, das Thema im Verband zu platzieren und mit Leben zu füllen.
Wiederholung erwünscht? So vielfältig wie Hamburger Jugendverbände selbst ist auch ihr Zugang zu interkultureller Öffnung. Zwar vereinen sie ähnliche Stolpersteine und Hürden bei der Frage der Offenheit und Gewinnung neuer Mitglieder. Ihren Weg der interkulturellen Öffnung müssen sie jedoch ganz individuell finden und gehen. Das Projekt »Partizipation – Bildung – Integration«, in dessen Rahmen dieser Workshop veranstaltet wurde, stellt daher die individuelle Beratung und Begleitung von Jugendverbänden in diesem Prozess in den Mittelpunkt. Auch Dein Verband kann auf den Weg der interkulturellen Öffnung gebracht werden! Ein Signal Eurerseits reicht und wir starten in die Vorüberlegungen. Der hier beschriebene Workshop eignet sich sehr gut für ein erstes Eintauchen in die Thematik – gerne bieten wir ihn daher in ähnlicher Form vor den Sommerferien ein weiteres Mal an. Bei Interesse einfach melden!

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Interkulturelle Öffnung – warum, wozu und wie geht das eigentlich?

Wer sich das fragt, findet ausführliche Antworten in den verschiedenen Artikeln zum Thema in der punktum-Ausgabe 4/13. Anregungen halten außerdem die vielfältigen Links und Materialien bereit, die auf der LJR-Website unter Projekt Interkulturelle Öffnung zusammengestellt wurden. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

NIKÖ?! Was'n das?

Am besten Du kommst mal vorbei und schaust selbst! Das Netzwerk InterKulturelle Öffnung bietet all denen eine regelmäßige Plattform, die die interkulturelle Öffnung der Hamburger Jugendverbandslandschaft aktiv mitgestalten wollen. Es ist ein Ort, um sich über verbandliche und kulturelle Grenzen hinweg zu begegnen, auszutauschen, voneinander zu lernen und gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie interkulturelle Öffnung gelingen kann. Das Thema birgt unzählige Facetten und Fragestellungen in sich, die im NIKÖ Raum finden. In lockerer, bunter Runde werden immer wieder neue Wirkungsfelder beleuchtet und entsprechende Handlungsansätze erarbeitet. Im Jahr 2014 lag der Fokus auf Juleica-Schulungen und der Frage, wie diese mit Inhalten und Methoden versehen werden können, die den Gruppenleiter/innen ein wenig interkulturelle Sensibilität an die Hand geben. Mehrere Jugendverbände haben inzwischen entsprechende Bausteine entwickelt und mit Erfolg durchgeführt. Mit Beginn diesen Jahres geht es nun verstärkt darum, wie sich Verbände auch strukturell mehr für junge Menschen mit Migrationshintergrund öffnen können. Dazu haben wir anfänglich reflektiert, wer auf welchem Wege in unsere Jugendverbände gelangt, und mögliche Zugangsbarrieren und Teilnahmehemmnisse aufgespürt, die besonders für junge Menschen mit Migrationshintergrund von Bedeutung sind. Aktuell stecken wir mitten im Prozess, letztere einzeln in den Blick zu nehmen und konkrete Ideen und Handlungsstrategien zu deren Abbau zu entwickeln. Woran wir im nächsten Schritt gemeinsam arbeiten werden, wird sich an den Bedarfs- und Interessenlagen der Mitwirkenden orientieren. Grundsätzlich ist vieles, wenn nicht alles möglich. Hier können auch mal gemeinsame Aktionen entwickelt oder Expert/innen eingeladen werden.
Zu den nächsten Treffen am Montag, 11. Mai, 14-16 Uhr bzw. Dienstag, 12. Mai, 18-20 Uhr – jeweils im Haus für Jugendverbände in der Güntherstr. 34 – freuen wir uns wie immer auf bekannte und neue Gesichter! Alle Interessierten aus Hamburger Jugendverbänden sind im NIKÖ herzlich willkommen - ob zum punktuellen Reinschnuppern oder kontinuierlichen Mitwirken. Impulse für die eigene Jugendarbeit wird es immer geben.
Ansprechpartnerin: Maria Wassersleben | modellprojekt@remove-this.ljr-hh.de | Tel.: 31 79 61 14 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Das Projekt »Partizipation – Bildung – Integration«

Integration von Migrant/innenjugendselbstorganisationen (MJSO) in Jugendverbandsstrukturen und Interkulturelle Öffnung der Jugendverbände
Dieses Projekt ist ins Leben gerufen worden, um der Hamburger Jugendverbandslandschaft Impulse und Unterstützung auf dem Weg der interkulturellen Öffnung zu bieten. Ziel ist es, die Teilhabe und Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte in den Strukturen der Jugendverbandsarbeit zu stärken – ob einzeln oder in bereits bestehenden Gruppen. Durch Beratung, Vernetzung, Workshops, Fortbildungen, Fachtage, Materialien u. Co. möchte das Projekt interkulturelle Begegnungen und Kooperationen schaffen, für Vielfalt sensibilisieren und begeistern sowie individuelle Prozesse der Organisationsentwicklung anstoßen und unterstützen.
Das Modellprojekt ist im September 2013 gestartet und läuft noch bis Februar 2017. Es wird in Kooperation mit dem Landesjugendring Berlin durchgeführt und durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie die Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) gefördert. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

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Seit Jahresbeginn hat das Projekt »Partizipation – Bildung – Integration« eine eigene Facebook-Seite, auf der es regelmäßig Infos und Impressionen zu Aktivitäten im Projekt sowie weitere Inputs und Inspirationen rund um Jugend, kulturelle Vielfalt und Integration gibt. Gib der Seite einen Daumen nach oben und sei immer nah an dem, was im Rahmen des Projekts passiert und möglich ist: www.facebook.com/ljr.modellprojekt.interkulturelle.oeffnung