Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2006, Rubrik Titelthema

Das bundesweite Projekt »pep«

Von Manfred Witt, Evangelische Jugend Hamburg

»pep« ist ein bundesweites, kombiniertes Forschungs- und Praxisentwicklungsprojekt. Es dient der Darstellung von Jugendverbänden aus der Perspektive der jugendlichen Nutzer und stellt die bisher größte, repräsentative und wissenschaftlich qualifizierteste Jugendverbändestudie der Bundesrepublik dar. Zudem leistet sie einen Paradigmenwechsel in der Verbändeforschung: Die Studie fragt nicht nach der verbandlichen Binnenperspektive, sie erforscht weder das Angebot des Verbandes noch den Grad der Zielerreichung, sondern rückt zum ersten Mal in Europa die Perspektive der Kinder und Jugendlichen ins Zentrum. Das Projekt setzt moderne subjektorientierte Verbändetheorien um, es durchdringt die Realität des Verbandes aus subjektiver Sicht und fragt: Wie sehen die Jugendlichen selbst eigentlich den Verband?

Regionale Befragung in Nordelbien
Im Rahmen des Forschungsprojekts nahm das Nordelbische Jugendpfarramt die Gelegenheit zur Beteiligung wahr und führte eine regionale Befragung durch. Sie bietet eine hervorragende Möglichkeit, herauszufinden, wie Jugendliche die Angebote der evangelischen Jugendarbeit in Schleswig-Holstein und Hamburg erleben. Die regionale Befragung ist keine repräsentative Erhebung. Es handelt sich um eine sogenannte natürliche Stichprobe. Aus einem Rücklauf von 630 Fragebögen konnten insgesamt 606 in die Auswertung einbezogen werden.

Die Befragung hat eher Feedback-Charakter. Zusammenfassend zeigt sie, welche Meinungen, Erfahrungen und Erlebnisweisen mit bzw. zur Evangelischen Jugendarbeit bestehen. Wegen der kleinen Stichprobe gibt es keine getrennte Auswertung der Antworten von männlichen und weiblichen Befragten. Direkte Vergleiche mit den Ergebnissen der Bundesstudie sind nicht möglich. Die Ergebnisse verdeutlichen Auffälligkeiten und bieten damit Gesprächsanlässe zur Praxisreflexion. Haupt- und Ehrenamtliche können erörtern, welche Ergebnisse sie überraschen, bestätigen und schockieren. In diesem Sinne sind die Forschungsergebnisse für die Praxisentwicklung im Jugendwerk Nordelbien von großer Bedeutung.

Der amtlichen Statistik »Jugend in Deutschland« zufolge, sind rund 80% der Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren Schüler. In den befragten Gruppen der Jugendarbeit in Nordelbien ist der Schüleranteil höher als in der gleichaltrigen Gesamtbevölkerung.

Forschungsergebnisse
Die sozialen Bezüge der Befragten spielen für den Zugang zur Evangelischen Jugendarbeit die entscheidende Rolle. Die Ergebnisse widerlegen die Vermutung, die Jugendlichen würden stark durch Werbung angesprochen. Schriftliches Werbematerial wird selten als Zugangsgrund genannt.
Jugendgeselligkeit steht bei den Antworten an erster Stelle. Erst mit größerem Abstand nennen die Befragten das Angebot als Grund für die Teilnahme. Offenbar erreicht Jugendarbeit die Jugendlichen besonders dann, wenn sie teilhat am Jugendleben. Das zeigen diese Ergebnisse sehr deutlich. Jugendliche brauchen – diakonisch gedacht - die Bezugsgruppe zur Lebensbewältigung, für Jugendliche mit schwierigem sozialen Hintergrund gilt das besonders.

Es gibt hochinteressante Unterschiede zwischen der klassischen Gruppenarbeit »einmal pro Woche« und der offenen Arbeit »fast jeden Tag«. Die Besucher der offenen Treffs sehen im Treff ein »Zuhause« und somit ihren sozialen Raum. Alle anderen Gruppen sehen sich überwiegend einmal pro Woche. Auf jeden Fall haben diese Gruppen der Evangelischen Jugendarbeit eine Stammkundschaft, die mit hoher Verbindlichkeit zu ihren Treffen kommt. Die Studie fragt nicht nach großen zentralen Events, die sicher ein wichtiger Teil von Jugendarbeit sind.

Die Ergebnisse bestätigen die These: Jugendarbeit ist sozialräumliche Arbeit. Die Jugendlichen kommen durchweg zu Fuß oder mit dem Fahrrad, das Einzugsgebiet ist folglich relativ klein. Nur bei den älteren Ehrenamtlichen spielen das Auto und öffentliche Verkehrsmittel eine gewisse Rolle.
Etwa die Hälfte der Befragten erlebt das Aktivitätsangebot der Jugendarbeit als relativ breit und komplex. In dieser Mannigfaltigkeit evangelischer Jugendarbeit liegt auch ihr Reichtum und ihre Stärke, die sich in der Heterogenität der Gruppenprofile und ihrer Tätigkeiten wiederspiegelt.

Das wichtigste Informationsmedium ist die Jugendszene selbst. Informationen verbreiten sich über die sozialen Kontakte, die Jugendliche miteinander verbinden. Der Befund ist aus anderen Studien bekannt und es zeigt sich, dass die evangelische Jugendarbeit keine Ausnahme bildet.
Die hohen Zustimmungsraten zeigen, dass offenbar diejenigen von vornherein wegbleiben, denen das Angebot nicht gefällt. In den Gruppen hat bereits eine Homogenisierung stattgefunden.

Der Begriff »Jugendverband« stellt für die Jugendlichen ein fremdes Konstrukt dar. In ihrer Wahrnehmung entsteht ein »Verbandsgefühl« eher über gleiche Kleidung wie bei den Pfadfindern oder durch überregionale Treffen und gemeinsame Aktionen und nicht durch eine abstrakte Begriffsvorstellung von Verband.

Die Vermutung war, dass der Verband als Erfahrungszusammenhang im Blick der Jugendlichen wenig präsent ist. Die Befunde widerlegen diese These zum guten Teil.

Etwa zwei Drittel sind so identifiziert mit ihrer Gruppe, dass sie die Frage, »machst du Werbung für eure Gruppe?«, mit ja beantworten. Sie empfinden sich als werbend für die eigene Gruppe. Das ist ein bemerkenswert hoher Wert und ein ganz besonders kostbares Kapital der Jugendarbeit, das häufig unterschätzt wird. Kein Erwachsenenverband, keine Partei oder Gewerkschaft zeigt eine vergleichbar hohe soziale Wertschätzung.

Aus der Sicht der Jugendlichen ist es wichtig, Orte und Gelegenheiten zu haben, an denen sie andere Jugendliche treffen und bestimmen können, was geschieht. Mit anderen Worten: Jugendarbeit ist kein Angebot von außen, sie entsteht und wächst erst durch die Gemeinschaft.
Ein erstaunlich hoher Teil von über 50 % übt nach eigener Auskunft ein Ehrenamt oder eine besondere Aufgabe in der Gruppe aus. Jugendarbeitsexperten wie z.B. Professor Dr. Benedikt Sturzenhecker haben bereits die Alltagsthese vieler Erwachsenen widerlegt, Jugendliche würden sich wenig engagieren. Diese Veröffentlichungen werden durch die vorliegende Studie bestätigt.

Auf die Frage, ob Jugendliche sich vorstellen können, einmal ein Ehrenamt oder eine besondere Aufgabe in der Gruppe zu übernehmen, äußerten nur sehr wenige, sich das nicht vorstellen zu können.

Partizipation im Jugendverband
Zusätzlich zur regionalen Befragung veranstaltete Professor Dr. Benedikt Sturzenhecker von der Fachhochschule Kiel drei Gruppendiskussionen mit Kirchenkreisjugendvertretungen zu deren Partizipationsverständnis.
Das Thema Partizipation wurde gewählt, weil es zum einen deutlich die Perspektive der Diskussionsteilnehmer beinhaltet (»wie bestimmen Jugendliche den Verband?«), zum anderen weil Partizipation ein zentrales Element der verbandlichen Selbstdefinition und Außenlegitimation darstellt.

Die drei Jugendvertretungen lassen sich vermutlich als Partizipationstypen innerhalb der evangelischen Jugendarbeit beschreiben.
• Partizipationstyp der basishaften Selbst- und Mitbestimmung, in der lebensweltlich die eigenen Interessen realisiert werden. Solche Jugendvertretungen sind basisorientiert und im Grunde selber noch Jugendgruppen, die im Verband ihre Interessen realisieren und weniger Interessen für andere in das System des Verbandes und der Kirche vertreten.
• Partizipationstyp der »Mitbestimmung im System« : Hier werden einerseits lebensweltliche Interessen umgesetzt. Andererseits werden die Bedeutung der Partizipation im Jugendverband und der Kirche erkannt und die Gremien und rechtlichen Möglichkeiten und politische Prozesse aktiv wahrgenommen. Die Jugendlichen verstehen sich als politische Subjekte, die die Bedingungen ihrer Arbeit und lebensweltlichen Spaßprojekte im System sichern und beeinflussen.
• Partizipationstyp der »Mitsteuerung des Systems« und »Mitsteuerung durch das System«: Die lebensweltliche direkte Realisierung von Interessen ist gegenüber einer reinen politischen Interessenvertretung im System zurückgetreten. Angepasst an die Steuerungsmedien von Macht und Geld wird im System strategisch gehandelt, um eigene Interessen zu vertreten und durchzusetzen. So soll einerseits das System steuernd beeinflusst werden, andererseits wird aber dadurch auch aktiv durch Nutzung des Systems selber die Jugendarbeit gesteuert.

Die drei Typen der Jugendvertretungen lassen sich demnach als ein Weg der Annäherung an Partizipationsaufgaben und -strukturen, den Beginn aktiver Mitbestimmung im System und somit als Systemintegration zum Partizipationsfunktionär beschreiben und verstehen.
Besonders in den ersten beiden Gruppendiskussionen wird in den Selbstaussagen der Jugendlichen noch einmal deutlich, was Jugendarbeit immer von sich behauptet: sie bietet einen unterstützenden Freiraum zur Bewältigung von Entwicklungsaufgaben des Jugendalters. Dabei spielt besonders die Ablösung vom Elternhaus und die Entwicklung personaler und sozialer Kompetenzen eine zentrale Rolle.
Alle Jugendvertretungsmitglieder zeigen deutlich, dass sie die Qualität der Jugendarbeit als intermediäres Lern- und Erfahrungsfeld der Bewältigung jugendlicher Entwicklungsaufgaben nutzen konnten und es deshalb besonders schätzen.

Gerade das freiwillige Engagement macht »Spaß«. Die Jugendlichen erfahren es als konstruktiv und fühlen sich auf Grund dieser guten Erfahrungen motiviert, auch andere Jugendliche dafür zu gewinnen. Wenn man in der Lage ist, die jugendkulturellen und ehrenamtlichen Eigenbewegungen aufzunehmen, dann entfaltet sich das Engagement in besonderem Maße. Wenn jugendliche Freiwillige das Gefühl haben, dass der Jugendverband und die Kirche für sie da sind und sie nicht für diese instrumenatlisiert werden sollen, dann erstatten sie dieses Interesse auch aktiv zurück und engagieren sich für eine jugendgerechte zukünftige Kirche und Verbandsarbeit.

In allen drei Gruppendiskussionen fällt auf, dass die Jugendlichen eine Trennung der formalen Systemstrukturen der Kirche von ihrer Basispraxis im Verband konstruieren. Der »Verband« erscheint als dass, was man gemeinsam mit verbundenen, vertrauten Partnern vor Ort auf lebensweltliche, also unhinterfragte, selbstverständlicher Weise tut.

Die Evangelische Jugend (im Kirchenkreis, in Nordelbien, in der Republik) taucht nicht auf. »Partizipation« erscheint auf der Ebene der lebensweltlichen Basis als nicht relevant: man benötigt hier keine formalen demokratischen Mitbestimmungsprozesse, weil man sich selber in sozialer Eingebundenheit als selbstverständlicher Macher, Gestalter und Produzent des gemeinsamen Handelns empfindet.
Resultierend halten die Beteilgten der Gruppendiskussionen für sich fest:

Jugendverband (und Interessenvertretung) ist das, was wir zusammen machen. Wir machen, was uns Spaß macht und machen es so, dass es uns Spaß macht. Spaß machen uns gemeinsame Aktionen für andere Jugendliche, aber auch für uns selber. Jugendarbeit ist ein Freiraum, den wir selber nach unseren Vorstellungen gestalten können und nutzen.


Anmerkung:

Redaktionell überarbeiter Auszug von:

»Regionale Studie Nordelbien«, Verfasser: Heike Schlottau, Nordelbisches Jugendpfarramt, Plön (Februar 2006)

und

»Wir werden ernstgenommen«, Partizipation in Jugendvertretungen im Nordelbischen Jugendwerk – Interpretation von drei Gruppendiskussionen-,
Verfasser: Prof. Benedikt Sturzenhecker, FHS Kiel (Februar 2006)

Beide Veröffentlichungen können in der Langfassung bei der Evangelischen Jugend Hamburg angefordert werden.