Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2007, Rubrik Titelthema

Gesellschaftliches Engagement deutscher Studierender

Chancen und Hindernisse

Von Lars Fischer
HIS Hochschul-Informations-System, Hannover

Gesellschaftliches Engagement erfüllt im Wesentlichen zweierlei Funktionen. Zum einen ist es für unsere Gesellschaft in vielerlei Bereichen schlichtweg unverzichtbar, zum anderen bietet gesellschaftliches Engagement dem Aktiven die Möglichkeit, sich entsprechend seiner Interessen oder ggf. idealistischen Beweggründe einzusetzen. Beispielsweise sind freiwillige Dienste aus unserem Gesundheitssystem mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Auch an den Hochschulen könnte ein großer Teil der Freizeit- und Kulturangebote, aber auch Lehrangebote wie beispielsweise Tutorien ohne das freiwillige und unentgeltliche Engagement Studierender nicht realisiert werden. Gleichzeitig bietet gesellschaftliches Engagement die Chance, neue Erfahrungen zu sammeln und sich neben dem Studium und häufig auch darüber hinaus weiterzuqualifizieren.

Warum engagieren sich deutsche Studierende heute? In welchen Bereichen und über welche Organisationsform engagieren sie sich vorwiegend? Was bringt Studierende dazu, sich gesellschaftlich zu engagieren?

Zwei Drittel der deutschen Studierenden gaben 2006 an, dass sie sich in irgendeiner Form gesellschaftlich engagieren. Das lässt zunächst noch keine Aussage über die Qualität und den Umfang des geleisteten Engagements zu.



Vereine vorn
Häufige Betätigungsfelder von Studierenden sind der Jugend- und Freizeitbereich, kulturelle bzw. künstlerische Aktivitäten oder der Sport. Ebenfalls oft genannt wurde das Engagement im Umwelt- oder Tierschutz, der Einsatz für behinderte Menschen oder auch das Engagement für Ausländer/innen, wobei letztere Aktionsfelder dadurch gekennzeichnet sind, dass sich Studierende hier selten in wöchentlicher Regelmäßigkeit engagieren.
Bei der Organisationsform des Engagements dominiert der Verein, gefolgt von kirchlichen Gruppen. Dieses Ergebnis überrascht wenig, da sowohl Vereine als auch Kirchengemeinden potenziell Engagierte schon vor dem Studium für sich gewinnen und dieses Engagement im Studium fortgesetzt wird. Verhältnismäßig hoch ist auch der Anteil derer, die sich eigeninitiativ, nicht organisiert oder in einer selbst organisierten Gruppe engagieren. Naturgemäß bietet auch die Hochschule Vielen eine Plattform für ihr Engagement. Es fällt auf, dass sich Studierende häufig fachnah engagieren. So engagieren sich beispielsweise Studierende der Kulturwissenschaften häufiger als andere im Bereich Kunst und Kultur, während angehende Sozialwissenschaftler/innen sich häufiger als andere für Minderheiten einsetzen.
Die Motive von Studierenden, sich gesellschaftlich zu engagieren sind vielseitig und ein/e Einzelne/r kann durchaus mehrere Gründe dafür haben, dass er/sie sich engagiert. Es lassen sich allerdings zwei auf den ersten Blick entgegengesetzte Hauptmotive herausstellen. Zum einen gibt es eine Gruppe von Studierenden, die sich aus idealistischen Beweggründen heraus engagiert. Im Jahr 2006 stimmten 55 % der Studierenden, die sich selbst als engagiert bezeichnen, der Aussage zu, dass manche Themen so wichtig seien, dass sie einfach etwas tun müssen. Ein weiteres dominierendes Motiv ist ein eher pragmatisches. 66 % der aktiven Studierenden waren 2006 der Meinung, dass gesellschaftliches Engagement eine gute Möglichkeit bietet, sich über das Studium hinaus weiterzuqualifizieren und 60 % der Aktiven stimmten der Aussage zu, dass gesellschaftliches Engagement bessere Karrierechancen eröffnet. Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass utilitaristische Motive häufiger genannt wurden als idealistische. Eine Erklärung für dieses Ergebnis ist in dem wahrgenommenen wachsenden Wettbewerbsdruck zu sehen. Während beispielsweise die angehenden Ingenieure/innen am seltensten gesellschaftlich engagiert sind, engagieren sich Studierende der Fächergruppe Sozialwissenschaften, Sozialwesen, Psychologie und Pädagogik häufiger. Eine Ausnahme bilden hier die Mediziner/innen, die zu 59% gesellschaftliches Engagement angeben. Medizinstudenten/innen haben eher noch als Studierende anderer Fachbereiche die Möglichkeit, sich fachnah – etwa in einem Rettungsdienst – zu engagieren.

Geht diese Rechnung auf? Zumindest kann es der Karriere auf keinen Fall schaden, sich zu engagieren. Der Nachweis von geleistetem gesellschaftlichen Engagement ist beispielsweise Bestandteil der Vergabekriterien für Stipendien der meisten Stiftungen, wobei es dabei häufig erst in zweiter Instanz darauf ankommt, in welchen Bereichen sich engagiert wird. Auch bieten viele auf Freiwilligkeit beruhende Tätigkeitsformen gute Möglichkeiten, sich weiterzuqualifizieren. Dies gilt insbesondere für sogenannte Soft-Skills oder Schlüsselkompetenzen, wie Teamfähigkeit, Organisationskompetenz u. a., die als festes Lernergebnis an vielen Hochschulen erst in den letzten Jahren, im Zuge der sich vollziehenden Studienstrukturreform, fester Bestandteil der Curricula wurden. Allerdings sei auch angemerkt, dass der Wettbewerbsvorteil durch geleistetes Engagement mit steigender Anzahl der engagierten Studierenden schwindet, da es so immer schwieriger wird, sich durch geleistetes Engagement von der Masse abzuheben.

Warum nicht?
Was geben Studierende als Einwände gegen gesellschaftliches Engagement an? Die naheliegenden Hinderungsgründe dominieren hier das Bild: Zeitmangel wegen Erwerbstätigkeit oder anderer dinglicher Tätigkeiten, wie beispielsweise eine zu betreuende Familie, und vor allem ein als sehr zeitintensiv eingeschätztes Studium werden am häufigsten als Hinderungsgründe angeführt. Allerdings ist knappe Zeit kein exklusives Kriterium, sich gegen gesellschaftliches Engagement zu entscheiden. Als Beispiel seien die 45 % der aktiven Studierenden genannt, die angaben, dass sie aufgrund der Erwerbsnotwendigkeit (eigentlich) keine freie Zeit für gesellschaftliches Engagement haben, die sich aber trotzdem im Schnitt 5 Stunden in der Woche engagieren. Auch hier kann angenommen werden, dass dieses Ergebnis mit der wahrgenommen Notwendigkeit einhergeht, sich für den Berufseinstieg möglichst gut zu qualifizieren bzw. die eigene Vita über das geleistete Engagement aufzuwerten. Immerhin die Hälfte der inaktiven Studierenden gab an, dass sie ihre freie Zeit lieber anders verwenden.

Interessant ist auch ein Blick auf den Umfang des geleisteten Engagements. Dass zwei Drittel der Studierenden gesellschaftliches Engagement angeben, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich überwiegend um gelegentliches, nicht wöchentliches Engagement handelt. In diesem Kontext kann auch von »Patchwork-Engagement« gesprochen werden. Studierende engagieren sich demnach seltener als früher langfristig in festen Organisationsformen und Bereichen und entscheiden situativ, welche Form des Engagements der momentanen Lebenslage am ehesten entspricht bzw. sie persönlich weiterbringt.

Viele Profiteure von gesellschaftlichem Engagement Studierender befürchten, dass mit der Einführung modularisierter, stärker verschulter Studiengänge den Studierenden die Möglichkeit zu gesellschaftlichem Engagement zunehmend genommen wird, da ihnen immer weniger Zeit außerhalb des Studiums zur Verfügung steht. Diese Befürchtungen können zum jetzigen Zeitpunkt weder bestätigt noch zerstreut werden. Dass Studierende aufgrund der strukturellen Vorgaben zukünftig mehr Zeit mit dem Studieren verbringen werden, ist zwar wahrscheinlich, unklar ist jedoch bislang, wie stark sich dieser Trend auf Tätigkeiten neben dem Studium auswirkt.

Sozialer Hintergrund
Ein weiterer Faktor, der alle Bereiche des studentischen Engagements beeinflusst, ist die soziale Herkunft Studierender. Tendenziell engagieren sich Studierende der sozialen Herkunftsgruppe »hoch« häufiger, als dies die Studierenden anderer Herkunftsgruppen tun. Auch auf die Bereiche und die Organisationsform des geleisteten Engagements hat das soziale Herkunftsmilieu Einfluss. So engagieren sich Studierende der Herkunftsgruppe »niedrig« beispielsweise eher in einem Rettungsdienst oder im Rahmen der freiwilligen Feuerwehr als andere, während sich Studierende der Herkunftsgruppe »hoch« tendenziell häufiger als andere für den Umwelt- oder Tierschutz oder für Arbeitnehmerinteressen einsetzen. Woran liegt das? Studierende höherer Herkunftsmilieus wachsen häufiger in ehrenamtliche Tätigkeiten hinein, da die wahrgenommene Notwendigkeit, sich zu engagieren, sich zu zeigen, Netzwerke auszubilden, eher vom Elternhaus auf die Kinder übertragen wird. Engagieren sich die Eltern in einer Partei, so liegt den Kindern ein solches Engagement häufig nicht fern. Hinzu kommt, dass Studierende der Herkunftsgruppe »niedrig« in größerem Umfang durch Erwerbsarbeit zum eigenen Lebensunterhalt beitragen müssen, so dass Ihnen weniger Zeit für gesellschaftliches Engagement bleibt.

Auch das Alter der Studierenden hat Einfluss auf die Art des geleisteten Engagements, insbesondere auf die Bereiche, in denen sich engagiert wird. Vergleichsweise stark ausgeprägt ist dieser Zusammenhang bei dem Engagement für Arbeitnehmerinteressen, das mit dem Alter der Studierenden massiv zunimmt. Diese Tendenz erklärt sich dadurch, dass Studierende mit zunehmendem Alter und näher rückendem Studienabschluss eher über Arbeitsmarktpolitik und mögliche Berufsfelder reflektieren und somit Arbeitnehmerinteressen stärker zu ihren eigenen werden.

Summa summarum bleibt die Feststellung: Engagieren lohnt sich. Unsere differenzierte Gesellschaft bietet Studierenden in hochschulischen und außerhochschulischen Bereichen mannigfaltige Möglichkeiten, sich einzubringen. Dazu kommt, dass nach Aussage vieler Studierender Engagement mit Spaß verbunden ist und nicht selten gesellschaftliches Engagement genutzt wird, um neue Freundschaften und Bekanntschaften zu schließen.