Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2008, Rubrik Titelthema

Vereinbarkeit von Studium und Ehrenamt

Interview zum Jahresempfang des Landesjugendringes Hamburg

Rund 100 Gäste Gäste aus Politik, Verwaltung, Jugendverbänden und anderen Institutionen aus dem Bereich der Jugendarbeit folgten am 19. Februar 2008 der Einladung des Landesjugendringes Hamburg zum Jahresempfang in das Haus der Patriotischen Gesellschaft. Im Mittelpunkt stand die LJR-Aktion zur Vereinbarkeit von Studium und Ehrenamt. Mit der Einführung der Studiengebühren von 500 Euro pro Semester stehen viele der ca. 1.500 ausgebildeten Jugendleiter/innen, die an einer Hamburger Hochschule oder Universität studieren, nunmehr vor dem Problem, zusätzlich für die Gebühren jobben zu müssen. Zusätzliche Jobs kosten jedoch Zeit, die dann dem Engagement in ihren Jugendverbänden fehlt.
Mit seiner Aktion zur Vereinbarkeit von Studium und Ehrenamt hatte der Landesjugendring Hamburg daher zehn »Stipendien« (in der Höhe der Studiengebühren) für studierende Jugendleiter/innen ausgeschrieben, um exemplarisch zu helfen und vor allem auf die grundsätzliche Problematik aufmerksam zu machen.

Auf dem Jahresempfang wurden die zehn »Stipendiaten« mit ihren Nöten, Studium, Jobben und ehrenamtliches Engagement unter einen Hut zu bringen, vorgestellt (siehe nachfolgenden Artikel). Ihre Aussagen waren eindeutig: Mit den Studiengebühren haben sich die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement ein weiteres Mal drastisch verschlechtert ...

punktum sprach mit drei Vorsitzenden des Landesjugendringes über die Hintergründe der Aktion und worin ein Ausweg aus dem Dilemma von Studiengebühren, Jobben und Ehrenamt bestehen könnte.


punktum: Der LJR spricht von sich verschlechternden Rahmenbedingungen für das Ehrenamt im Jugendverband. Was ist damit gemeint?

Gregor Best: Viele Faktoren, die am freien Zeitbudget junger Menschen knapsen, sind dafür verantwortlich. Das zieht sich wie ein roter Faden von der Schule über das Studium bis hin zur Berufstätigkeit durch. Nur junge Menschen mit einer gewissen Zeitsouveränität jenseits ihrer Verpflichtungen können sich auch ehrenamtlich engagieren. Ein paar Beispiele: Schüler, die ein Abitur bereits nach zwölf Jahren ablegen wollen, müssen sich verstärkt auf die schulischen Lernanforderungen konzentrieren und haben so weniger Zeit für andere Dinge. Gleiches gilt für das Modell der Ganztagsschule: sie blockiert mit den Schulstunden am Nachmittag gerade jenes Zeitfenster, in dem viele Jugendverbände ihre Gruppenstunden haben. Und was wäre, wenn die Idee der Schule am Samstag wieder Realität würde? An den Hochschulen und Universitäten sodann schränkt die mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge einhergehende Verschulung des Studiums die vormalige Zeitsouveränität der Studenten ein: so liegen beispielsweise viele Semestervorprüfungen in der vorlesungsfreien Zeit. Die Verdichtung der Arbeit und die Verlängerung der Wochenarbeitszeit schließlich im Beruf bilden ein weiteres Moment. Alle diese Faktoren summieren sich zu einem Umfeld für junge Menschen, das zunehmend ehrenamtsfeindlich wird.

punktum: Was hat den Landesjugendring nun dazu veranlasst, Stipendien für studierende Jugendleiter/innen auszuschreiben?

Hans-Jürgen Plate: Bevor wir die Stipendien ausgeschrieben haben, haben wir zunächst Gespräche mit den seinerzeitigen drei Bürgerschaftsfraktionen geführt – mit dem Ziel, die Einführung der Studiengebühren abzuwenden. Als klar wurde, dass die Gebühren kommen würden, drangen wir auf eine Regelung für studierende Jugendgruppenleiter/innen mit JuLeiCa. Denn: studieren, jobben und ehrenamtlich tätig sein, das ist zuviel. Unser Lösungsvorschlag war: Wenn schon Studiengebühren, dann sollten aktive Jugendgruppenleiter/innen von den Studiengebühren befreit werden.

Eike Schwede: Das hat ja – wie man weiß – nicht geklappt. Aber wir haben uns nicht entmutigen lassen. Wir haben eine Spende von unserer Hausbank, der Spardabank, eingeworben. Damit hatten wir Geld, um zehn Jugendgruppenleitern/innen mit JuLeiCa – einmalig und für ein Semester – bei der Vereinbarkeit von ihrem Ehrenamt und ihrem Studium zu helfen. Die Ausschreibung der Stipendien ist also eine Reaktion darauf, dass der Senat bei der Einführung der Studiengebühren die besondere Lage der qualifizierten Ehrenamtlichen übergangen hat.

Hans-Jürgen Plate: Die Aktion mit der Ausschreibung der Stipendien ist – neben der konkreten Hilfe für zehn junge Menschen – ein Weckruf: wir wollen, dass mehr Leute mitbekommen, dass die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement sich ständig verschlechtern.

punktum: habt ihr die Aktion bekannt gemacht? Und: Wer hat sich beworben?

Hans-Jürgen Plate: Die Stipendien haben wir in punktum ausgeschrieben sowie per Rundbrief bekannt gemacht. Beworben haben sich viele Jugendleiterinnen und Jugendleiter aus den Jugendverbänden in Hamburg – also nicht allein aus unseren Mitgliedsverbänden.

Eike Schwede: Jedenfalls hatten wir mehr Bewerber/innen als Geld und mussten auswählen. Das war nicht einfach. Es ist kein gutes Gefühl, mehr Leuten absagen zu müssen als zusagen zu können. Wir hoffen sehr, dass uns diejenigen, die nicht zum Zuge gekommen sind, nicht böse sind. Das Ehrenamt des einen ist nicht mehr wert als das des anderen.

punktum: Stichwort »Mehrwert«. Was leisten Jugendleiter/innen?

Eike Schwede: In Stunden ausgedrückt, können das fünf, sieben oder zehn Stunden die Woche sein. Aber so rechnen wir nicht! Der »Mehrwert« besteht in den Erfahrungen, die junge Menschen im Kontext der Jugendverbandsarbeit machen: Man lernt, sich und andere zu organisieren, lernt, wie Gruppen funktionieren, und lernt, Ferienfahrten in Länder durchzuführen, wo man sonst vielleicht nicht hinkommen würde.

punktum: ... wofür auch eine staatliche Förderung besteht?

Hans-Jürgen Plate: Ja, aber wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo wir auch in eine andere Richtung denken müssen: Der Staat kann die Zuschüsse für Freizeiten und Seminare erhöhen, aber was hilft es, wenn – bedingt durch die angesprochene Zeitknappheit – immer weniger Jugendleiter/innen aktiv sind, die das Geld annehmen und sinnvolle Ideen in den Jugendverbänden realisieren können. Maßnahmenzuschüsse und die Förderung von Strukturen bilden eine Seite; wir müssen jetzt aber auch an die Individuen denken, die diesen Strukturen Leben einhauchen. Der aktive und mündige Staatsbürger, von dem so viel die Rede ist, fällt ja nicht vom Himmel. Dieser wird immer noch überwiegend in Jugendverbänden und Jugendgruppen gebildet. Deshalb gilt es, beispielsweise den studierenden Jugendleiter/innen Steine wie Studiengebühren aus dem Weg zu räumen.

punktum: Wie viele Studenten gibt es eigentlich, die ehrenamtlich tätig sind?

Eike Schwede: Uns geht es um Jugendleiter/innen, die eine Ausbildung gemacht haben. Also: Ehrenamtliche mit nachgewiesenem Fachwissen, d.h. Studenten/innen, die die sogenannte JuLeiCa besitzen.
Wie viele studierende JuLeiCa-Inhaber es jedoch in Hamburg gibt, weiß keiner. Bei der JuLeiCa-Beantragung wird dieser Punkt – der sozialen Verortung in Schule, Studium oder Beruf – nicht mit erhoben. Wir schätzen aber, in Hamburg studieren ca. 1.500 ausgebildete Jugendleiter/innen.

punktum: Und am besten wäre, diese Jugendleiter/innen von den Studiengebühren zu befreien?

Eike Schwede: Genau! Der Verlust der Hochschulen würde sich auf 2 x 500 Euro pro Jahr und Student belaufen, also insgesamt 150.000 im Jahr. Ich denke, das kann man verantworten, wenn man bedenkt, dass die Gesamteinnahmen durch Studiengebühren sich auf von uns geschätzte 50 Millionen Euro pro Jahr belaufen und wenn man dagegenhält, was man riskiert, wenn es weniger werden, die sich ein Ehrenamt leisten können.

punktum: Aber wo verläuft die begründbare Trennlinie zwischen den studierenden Jugendleiter/innen, die befreit werden sollen, und jenen Studenten, die sich anderweitig freiwillig engagieren, aber keine Befreiung nach diesem Modell erhalten sollen?

Hans-Jürgen Plate: Zunächst einmal grundsätzlich: freiwilliges oder ehrenamtliches Engagement, das gemeinschafts- oder gemeinwohlorientiert ist, machen die ganze Heterogenität und Vielfalt von bürgerschaftlichem Engagement deutlich. Ich finde aber, es macht schon einen Unterschied, ob ich Gruppenleiter bin oder ob ich mich freiwillig engagiere, ob ich im Vorstand eines Vereins bin oder ob ich in meiner Freizeit bei einem Stadtteilfest beim Getränkestand helfe. Die Rolle und die Verantwortung ist eine ganz andere. Und womöglich ist auch die Motivation eine ganz andere. Als Ehrenamtlicher möchte ich Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Bei der Stipendien-Aktion ist uns daher das Ehrenamt im Jugendverband wichtig.

punktum: Und Berufstätige, die ebenfalls ehrenamtlich engagiert sind? Wer denkt an diese Gruppe?

Gregor Best: Nicht, dass es auch hier vieles zu verbessern gäbe. Mit den Stichworten Ausweitung der Wochenarbeitszeit und ihrer zeitlichen Flexibilisierung sind schon ein paar Punkte genannt, die nicht gut zum ehrenamtlichen Engagement passen. Ein weites Feld. Aber um es noch einmal herauszustreichen, unsere Stipendien-Aktion ist eine konkrete Reaktion auf die Einführung der Studiengebühren. Ein Zeichen dafür, dass hier dringend etwas getan werden muss. Berufstätige, die sich ehrenamtlich im Jugendverband engagieren, haben zum Beispiel die Möglichkeit, Sonderurlaub und Verdienstausfall für die aufgebrachte Zeit zu beantragen. Vergleichbare Möglichkeiten haben studierende Jugendleiter/innen keineswegs.

punktum: Vielen Dank für das Gespräch.