Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2009, Rubrik Titelthema

Bürgerschaftliches Engagement an Universitäten

Von Jörg Miller und Wolfgang Stark, UNIAKTIV, Universität Duisburg-Essen

Eine Gruppe von Lehramtsstudierenden konzipiert und organisiert ein Elterncafé an einer Grundschule mit hohem Migrationsanteil – Studierende der Wirtschaftsinformatik programmieren den Webauftritt für einen Sehbehindertenverein – Studierende der Geisteswissenschaften analysieren die Öffentlichkeitsarbeit eines Vereins und entwickeln eine PR-Strategie. Alle diese Projekte finden im Rahmen von Service Learning Seminaren an der Universität Duisburg-Essen statt und dokumentieren, dass uni- versitäre Lehre und Engagementförderung vielleicht doch nicht so schlecht zusammenpassen.

Wer die aktuellen Diskussionen zur Hochschulentwicklung betrachtet, erkennt schnell, dass viele Freiräume des Studierens (selber inhaltliche Schwerpunkte wählen bzw. selber organisieren und damit eigene Interessen herausbilden) zu Gunsten einer klarer strukturierten und kürzeren Studienzeit im Rahmen von Bachelor- und Master-Programmen aufgegeben wurden. Studium heute heißt studieren im Rahmen einer stark verschulten Studien-Struktur in Form von Modulen – womit sich die Frage stellt, inwieweit Studierende in ihrem Studium noch Zeit für den Blick über den Tellerrand haben. Der Spielraum für bürgerschaftliches Engagement oder erfahrungsorientiertem Lernen (Dewey 1963) an Universitäten ist heute daher eindeutig begrenzt.

Dieser Blick erscheint besonders bedeutsam, wenn man bedenkt, dass von verschiedenen Seiten den heutigen Absolventen mangelnde Praxisrelevanz und fehlende überfachliche Kompetenzen attestiert werden (HRK 2009, Deutscher Industrie- und Handelskammertag 2004). Diese sind aber nicht im verschulten Studium, sondern abseits der Universität in not-for-profit-Organisationen (NPO) oder Unternehmen erwerbbar. Was scheint also sinnvoller als das Studium nach Außen zu öffnen und real existierende gesellschaftliche Probleme und Fragestellungen zum Lernort des Studiums zu machen?

Gemeinsam mit der Forderung an die Praxisorientierung wird heute auch die Forderung an jeden einzelnen, Verantwortung für das eigene Handeln und die Gesellschaft zu übernehmen, erhoben. Die Frage nach den Möglichkeiten sowie die Bereitschaft des Individuums sich gesellschaftlich zu engagieren, rückt damit zwingend ins Zentrum. Diese Bereitschaft bedarf einer grundlegenden Sensibilisierung für gesellschaftliche Bedürfnisse und deren Lösungen. Studierende und damit potenzielle zukünftige Führungskräfte sollten in besonderem Maße für gesellschaftliche Verantwortung und Teilhabe aufgeschlossen werden und diese auch selbst erfahren (Heidbrink/Hirsch 2006; Altenschmidt, Miller, Stark, Hrsg. 2009). Auch das ist ein zentraler Bestandteil des Bildungsauftrags von Hochschulen.

Einige deutsche Hochschulen gehen deshalb dazu über, bürgerschaftliches Engagement und Service Learning – eine Methode, die zivilgesellschaftliches Handeln und universitäre Lehre verbindet – in das Hochschulcurriculum aufzunehmen. Dabei kommen ganz verschiedene Ansätze zum Tragen. Mal werden Einzelengagements begleitet und mit Kreditpunkten versehen, mal arbeiten Gruppen in Projekten an gesellschaftlichen Fragestellungen und deren Lösungen. Mal zielen die Angebote auf die Anwendung der im Seminar vermittelten Theorie und mal geht es im Engagement stärker um den Erwerb von Schlüsselkompetenzen wie Kommunikations-, Führungs- oder Teamfähigkeit.

Allen Angeboten gemeinsam ist die Tatsache, dass das Lernen nicht mehr ausschließlich im so genannten Elfenbeinturm stattfindet, sondern dass Institutionen und Initiativen aus sozialen, ökologischen, kulturellen oder politischen Feldern (not-for-profit-Organisationen – NPO) starke Partner im Bereich der Ausbildung von Studierenden werden. Hochschulen und NPO bereiten die Studierenden gemeinsam auf eine aktive Rolle in unserer Gesellschaft vor. Um diese Öffnung nach außen zu dokumentieren und das Bildungsziel Partizipation und die Sensibilisierung für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung zu unterstreichen, haben im März 2009 fünf Universitäten und eine Fachhochschule das Hochschulnetzwerk »Bildung durch Verantwortung« (www.netzwerk-bdv.de) gegründet, dessen Gründungsmitglied die Universität Duisburg-Essen ist.

Mit UNIAKTIV, dem von der Stiftung Mercator geförderten Zentrum für gesellschaftliches Lernen und soziale Verantwortung an der Universität Duisburg-Essen, wird seit 2005 bürgerschaftliches Engagement in die universitäre Lehre integriert (www.uniaktiv.org). Das Konzept des Service Learning und die Vermittlung einzelner Studierender oder kleiner Gruppen in Engagementbereiche sollen bürgerschaftliches Engagement sowohl als festen Bestandteil der Universitätskultur verankern, als auch diese Haltung und den damit verbundenen Wert gesellschaftlicher Verantwortung systematisch in die universitäre Lehre integrieren. Dabei ist UNIAKTIV in seiner Struktur vergleichbar mit entsprechenden Public Service Center amerikanischer Universitäten (wie z.B. MIT, Berkeley, Tufts University etc.). In den USA haben mehr als 40% aller Universitäten und Colleges Zentren für bürgerschaftliches Engagement (Campus Compact 2008). Diese verstehen sich als Partner im regionalen Umfeld, entwickeln wichtige Kooperationsfelder zwischen Hochschule und Region und erbringen Vermittlungsleistungen zwischen dem regionalen Umfeld und der Hochschule (Campus-Community Partnership). Damit wird nicht nur ein wachsendes Potential an außeruniversitären Lernfeldern zur Kompetenz- und Verantwortungsentwicklung für Studierende erschlossen, sondern es erfolgt auch ein Know-how-Austausch zwischen Hochschule und Region, die beiden Partnern zugute kommt. Um das Ziel zu erreichen, bürgerschaftliches Engagement unter den Studierenden der Hochschule zu fördern und in die universitäre Lehre zu integrieren, verfolgt UNIAKTIV zwei Ansätze:

• Begleitetes Freiwilligenengagement.
UNIAKTIV berät Studierende, die sich zivil-gesellschaftlich engagieren möchten und vermittelt ihnen passgenau Tätigkeitsfelder und Organisationen aus gesellschaftlichen, sozialpolitischen, kulturellen und ökologischen Arbeitsfeldern. Für die Beratungs- und Vermittlungsarbeit verfügt UNIAKTIV über eine Datenbank mit derzeit mehr als 300 Non-Profit-Organisationen und über 600 Engagementangeboten. Für einen frei wählbaren Zeitraum unterstützen die Studierenden zum Beispiel soziale Einrichtungen in der Arbeit mit alten, kranken oder behinderten Menschen, mit Obdachlosen oder mit Kindern in Schulen und Kindergärten. Sie engagieren sich im ökologischen Bereich für Umweltorganisationen oder im Veranstaltungsmanagement von sozialkulturellen Projekten. Ebenso stehen von der Universität unterstützte regionale und internationale Projekte wie die Sustainable Development Group der Universität Duisburg-Essen, die UNICEF-Hochschulgruppe oder die Studierendenorganisation Students In Free Enterprise für ein Engagement offen. Als Rahmen bietet UNIAKTIV den Studierenden ein begleitendes Seminar. Die Studierenden können in Workshops nach passenden Engagementformen und -orten suchen, sich auf ihr Freiwilligenengagement vorbereiten und ihre Engagementerfahrungen reflektieren. Im Rahmen der von UNIAKTIV begleiteten Engagements reflektieren und stärken die Studierenden insbesondere ihre personalen und sozialen Kompetenzen. Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, die Fähigkeit Bindungen aufzubauen, Konflikte zu managen bzw. zu lösen. Kooperations- und Teamkompetenzen sind sowohl im freiwilligen Engagement als auch für den späteren Beruf unentbehrlich. Mit einem anerkannten Zertifikat dokumentiert UNIAKTIV das Engagement und die durch das Engagement erworbenen Kompetenzen der Studierenden. Die Studierenden erhalten somit eine Bestätigung ihrer Bereitschaft, sich für die Zivilgesellschaft einzusetzen, die sich für spätere Bewerbungen in zahlreiche Berufsfeldern als hilfreich erweist.

• Service Learning
Zur Förderung von bürgerschaftlichem Engagement in der fachbezogenen Lehre initiiert und koordiniert UNIAKTIV gemeinsam mit Lehrenden verschiedener Studiengänge und Disziplinen Projektseminare, in denen fachliches Wissen und Können in gemeinnützigen Projekten und Einrichtungen eingesetzt wird. Studierende der Informatik der Universität Duisburg-Essen entwickeln beispielsweise ein GPRS-gestütztes Navigationssystem für blinde Menschen. Angehende Medien- und KommunikationswissenschaftlerInnen entwickeln PR-Materialien und Marketingkonzepte für soziale Projekte. Zukünftige Lehrer und Bildungswissenschaftler entwickeln Unterrichtskonzepte und Lehrmaterialien, die sie als Dienstleister eigenständig oder begleitend im schulischen Betrieb anwenden.

In den Präsenzphasen dieser Service Learning Seminare wird das theoretisch-methodische Wissen vermittelt, das die Grundlage für die praktische Arbeit mit Non-Profit-Organisationen in der Projektphase ist. Die Studierenden erproben sowohl ihr Wissen als auch ihre Kompetenzen, die sie als Dienstleister gegenüber einem »realen« gemeinnützigen Kunden beweisen müssen. Die Non-Profit-Organisationen profitieren vielfach vom Know-how und dem Engagement der Studierenden. Die Universität wird von Bürgern und Institutionen als ein Akteur mit zivilgesellschaftlichem Gestaltungspotential wahrgenommen, und immer weniger als akademischer Elfenbeinturm.

Die Erfolge von UNIAKTIV liegen auf der Hand: in den letzten drei Jahren haben über 900 Studierende einzeln oder in Projektgruppen an Problemen der Gesellschaft gearbeitet. Über 100 Studierende haben sich einzeln individuell engagiert und in über 40 Seminaren haben Studierende aus den Fachgebieten Pädagogik, Wirtschaftsinformatik, Chemie, Physik, Ingenieurswissenschaften, Gesellschafts- und Geisteswissenschaften in Gruppen an gesellschaftlichen Fragestellung gearbeitet.
Die Zusammenarbeit der Universität mit ihrer akademischen Kultur und den Non-Profit-Einrichtungen stellt dabei aber immer noch die größte Herausforderung dar. Der zeitliche Rahmen und die in Service Learning Seminaren übliche Projektstruktur (Studierende engagieren sich über eine Zeitrahmen von drei Monaten) stellen für viele Non-Profit-Einrichtungen einen ungewohnten Rahmen dar, mit dem noch wenig Erfahrungen bestehen. Häufig wird ein langfristiges Engagement erwartet, das aber den Interessen der Studierenden ebenso wie der Struktur des Studiums widerspricht. Organisationen, die sich aber auf diese, für sie neue Form des Engagements einlassen, sind häufig mit den Leistungen der Studierenden sehr zufrieden. Langfristige Kooperationen führen zudem dazu, dass in regelmäßigen Abständen neue Projektgruppen in den Einrichtungen arbeiten und nicht selten engagieren sich einzelne Studierende über das Seminar hinaus weiterhin für die Organisation.


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Literatur:

Altenschmidt, K. / Miller, J. / Stark, W. (Hrsg.) (2009): Raus aus dem Elfenbeinturm? – Entwicklungen in Service Learning und bürgerschaftlichem Engagement an deutschen Hochschulen. Weinheim und Basel: Beltz

Campus Compact (2008): 2007 service statistics: Highlights and trends of Campus Compact’s annual membership survey. Providence, RI: Campus Compact

Deutscher Industrie- und Handelskammertag (2004): Fachliches Können und Persönlichkeit sind gefragt. Ergebnisse einer Umfrage bei IHK-Betrieben zu Erwartungen der Wirtschaft an Hochschulabsolventen. www.dihk.de/positionen (Abruf 4.2.2008)

Dewey, J. (1963): Experience and Education. New York: Collier Macmillan

Heidbrink, L. / Hirsch, A. (Hrsg.) (2006): Verantwortung in der Zivilgesellschaft. Frankfurt: Campus | Stifterverband für die deutsche Wirtschaft (Hrsg.) (2004): Schlüsselkompetenzen und Beschäftigungsfähigkeit. Konzepte für die Vermittlung überfachlicher Qualifikationen an Hochschulen. Essen

Hochschulrektorenkonferenz (HRK): Zum Bologna-Prozess nach 2010. Entschließung der 5. Mitgliederversammlung am 27.1.2009 www.hrk.de/de/download/dateien/ Entschliessung_Bologna.pdf