Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2009, Rubrik Titelthema

Ehrenamt kontrovers

Diskussion auf dem Jahresempfang des Landesjugendringes Hamburg

Von Carlo Klett, Landesjugendring Hamburg

Einladung zum Nachdenken. Am Dienstagabend, den 12. Mai 2009, hatte der Landesjugendring Hamburg Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Jugendverbänden eingeladen, um über »Kompetenzerwerb (im Jugendverband) und guten Nutzen (für mich & andere)« zu sprechen. Auf seinem Jahresempfang begrüßte der Vorstand des LJRs seine Gäste im Reimarus-Saal der Patriotischen Gesellschaft. Neben Snacks und Getränken gab es vor allem geistige Nahrung: Der Erziehungswissenschaftler und Soziologe Erich Sass von der Universität Dortmund referierte über Ergebnisse aus der aktuellen Studie »Informelle Lernprozesse Jugendlicher in Settings des freiwilligen Engagements« und sprach Empfehlungen für Praxis, Politik und Wirtschaft aus. Die Journalistin Marion Förster fragte anschließend eine Podiumsrunde, an der neben Erich Sass noch Dr. Friederike Föcking (CDU), Dr. Julia Körner (Handelskammer Hamburg), Wilhelm Müller (LJR Nordrhein-Westfalen) und Hans-Jürgen Plate (LJR Hamburg) teilnahmen: »Lohnt sich ehrenamtliches Engagement in Zeiten von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit?« Schnell wurde klar, dass das Thema »Anerkennung von Ehrenamt« keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt. Gerade in der Wirtschaft, sagte Dr. Körner bewusst provozierend, bestehen immer noch Bedenken gegenüber der »pädagogisch organisierten Anarchie«, die aus den Jugendverbänden komme.

Startpunkt für einen lebhaften Disput, bei dem auch die Gäste im Saal rege teilnahmen. Hans-Jürgen Plate verdeutlichte den Standpunkt der Jugendverbände: »Wir bilden nicht für die Wirtschaft aus! Und das soll auch so bleiben.« Friederike Föcking und Wilhelm Müller versuchten eine vermittelnde Rolle einzunehmen und betonten die Chancen, die in einer größeren Anerkennung durch die Wirtschaft liegen. Müller sah sehr wohl, dass sich die Arbeitswelt weiterentwickelt hat und immer mehr Arbeitgeber die Kompetenzen zu schätzen und auch einzusetzen wissen.

Zertifikat: Fluch oder Segen? Grundsätzlich gestritten wurde über die Form einer möglichen Anerkennung von erworbenen Kompetenzen in Form von Zertifikaten. Ist das nicht das falscheste, was man tun kann? Was, wenn am Ende der karrierefördernde Nachweis die Motivation wird, sich in Jugendverbänden zu engagieren? Sass machte deutlich, dass sowohl die Vielzahl von Zertifikaten ein Problem darstelle als auch jedes einzelne Zertifikat für sich genommen. »Die Wirtschaft weiß oft nicht, was sie damit anfangen soll«. Dr. Körner bezweifelte darüber hinaus den Wahrheitsgehalt, »Zertifikate sehen oft besser aus, als sie sind«, und warnte davor, gesetzliche Regelungen schaffen zu wollen. Dr. Föcking erinnerte daran, dass es in Hamburg bereits ein Zertifikat gebe, den »Hamburger Nachweis«. Dieser sei jedoch, konterte Plate, »sinnfrei«. Er sei nur ein Nachweis, dass irgendwer irgendwas gemacht habe und fördere die Vereinbarkeit von Ehrenamt und Beruf keineswegs.

Raum für’s Ehrenamt. Gregor Best (LJR Hamburg) schlug den Bogen zum letztjährigen Jahresempfang, bei dem es um die Vereinbarkeit von Ehrenamt und Studium ging. Er wünsche sich neben einer Grundsatzdebatte »einen pragmatischen Vorschlag«, ähnlich der Anregung des LJRs, ehrenamtliche Tätigkeit bei den Studiengebühren zu berücksichtigen. Auf das von ihm geforderte »Signal von Wirtschaft und Politik« erwiderte Dr. Föcking, die Politik habe reagiert und mit der Schaffung eines Darlehenmodells »das Problem entschärft«. Dies führte zur Heiterkeit unter den über 100 Anwesenden, hauptsächlich aus Jugendverbänden.

Rein in die Schule? Hier wurden gleich zwei Themen diskutiert: der eigenständige Bildungsauftrag von Jugendverbänden und die Verknappung des Zeitbudgets von Schülern. Für Dr. Föcking habe der Vortrag gezeigt, dass »Schule zukünftig ein Ort für ehrenamtliches Engagement« sein werde und Schulen darauf angewiesen seien, dass sie »ergänzt« werden. Sie betonte gleichzeitig die Gleichwertigkeit der verschiedenen Bildungseinrichtungen Schule und Jugendverband und rief zu mehr Zusammenarbeit und Verständnis auf. Gerade an diesem Punkt entzündete sich der Widerspruch im Saal. Pfadfinder Hannes Clausen (BdP Hamburg/Schleswig-Holstein) warf der Politik »Schönwetter«-Rederei vor. Die Angebote, die Jugendverbände stärker in das System (Ganztags-)Schule einzubinden, erscheine in der Tat problematisch, aber sowohl Dr. Föcking als auch ihr Bürgerschaftskollege Gerhard Lein (SPD) aus dem Publikum insistierten mit ihrem Vorschlag, die Jugendarbeit stärker an die Schulen zu holen. Föcking wörtlich: »Beide Seiten müssen profitieren. Da gibt es viele Möglichkeiten. Der NABU macht bereits Projekte an Schule.« Eike Schwede (LJR Hamburg) brachte den Widerspruch auf die Formel: »Verantwortung ist eine Kern-Kompetenz, die wir vermitteln können. Wenn aber diese Verantwortung beim Lehrer bzw. bei der Schule liegt, wird solche Kompetenz nicht mehr vermittelt. Und genau das passiert, sobald Jugendarbeit an Schulen stattfindet.«

Nicht nur bei den Pfadfindern, sondern auch bei vielen anderen Multiplikatoren aus den Jugendverbänden stieß das auf breite Zustimmung. Wilhelm Müller betonte die rechtlich problematische Situation an Schulen: »Sobald man reale Räume in Schulen nutzt, unterwirft man sich der Bürokratie der Schulen. Dann verliert Jugendarbeit einen Teil ihrer Selbstständigkeit.«

Zertifikat: Annäherungen. Nach diesem Ausflug in angrenzende Gebiete wurde die Diskussion durch die Moderatorin wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeführt. Sind Kompetenzen überhaupt »objektiv« erfassbar? Und ist es Aufgabe von Jugendverbänden, Kompetenzen bzw. deren Erwerb zu messen? Sass verneinte klar und erklärte, es sei in erster Linie die Aufgabe von Jugendverbänden, für Jugendliche Freiräume zur Selbstorganisation zu schaffen und ihnen damit indirekt »die Möglichkeiten für den Kompetenz-Erwerb zu geben.« Dr. Körner griff die eingangs geäußerte Einschätzung auf, Arbeitgeber würden den Kompetenzerwerb immer mehr zu schätzen wissen, und forderte mehr Offensive der Jugendverbände selbst: »Jugendverbände sollten sich bei den Unternehmen vorstellen. Jeder Personaler ist auch ein Mensch, der Berührungspunkte mit ehrenamtlichen Tätigkeiten hat.« Müller erinnerte daran, dass Profitunternehmungen und Jugendarbeit zwei Welten seien, die bislang kaum etwas miteinander zu tun haben (wollten) und kündigte ebenfalls weitere Gespräche an. Im Herbst werde sich der Landesjugendring mit Spitzenvertretern der Arbeitgeberverbände an einen Tisch setzen und eine Studie mit dem Arbeitstitel »Was weiß die Wirtschaft von Jugendarbeit« auswerten. Christian Weis vom Deutschen Bundesjugendring machte deutlich, dass die Jugendleiter/innen-Card (Juleica) kein Zertifikat sei und es auch nicht werden solle. Die JuLeiCa könne aber Ausgangspunkt für ein Zertifikat sein und pflichtete damit Hans-Jürgen Plate bei, der zuvor das Bayerische Modell als positives Beispiel in die Diskussion eingeführt hatte.

Als gegen 22 Uhr die letzten Besucher den Saal verließen, war das wichtigste Ergebnis des Abends die Erkenntnis aller Seiten über die Notwendigkeit von weiteren Gesprächen – für die Jugendlichen, aber zum Nutzen von allen.