Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2010, Rubrik Titelthema

"Ach so! Ich kann da mit entscheiden."

Mit der SJD - Die Falken Hamburg auf dem Pfingstcamp am Brahmsee

Eine Erzählung von Oliver Stettner, SJD – Die Falken

Warum habe ich jetzt bloß die ganzen Regenklamotten und die Gummistiefel eingepackt? Jetzt schleppe ich einen doppelt so schweren Rucksack die Treppen runter und rüber zur Moorweide und brauch den ganzen Kram gar nicht, weil übers Wochenende die Sonne scheinen wird … Na, egal.
Steffi, Lara und die meisten anderen aus meiner Stadtteilgruppe fahren auch wieder mit. Dann ist es auch egal, dass so komische Neue dabei sind und auch die ganzen Kleinen mitfahren. Wenn ich nur an die Busfahrt denke. Da nerven die sicherlich wieder rum. Mit ein paar Tricks geben sie einem aber immer von ihren Süßies ab. Außerdem setzen wir uns sowieso gleich in die letzte Reihe.
Passen wir eigentlich alle den Bus da rein? Und wo liegt überhaupt der Brahmsee oder wie der heißt? Aber See klingt schon mal gut. Vorausgesetzt, es sind da nicht wieder so viele kleine Mücken wie vorletztes Jahr. Die waren noch nerviger als die Kinder.

Die Fahrt ging aber schnell. War nicht meine Klassenreise in der Sechsten auch in der Nähe von Neumünster? Mit Steffi gehe ich jetzt erst mal zum See. Sollen doch die anderen das Zelt aufbauen. Ich kann das ja schon und wasch sowieso immer mehr ab als die anderen. Mist, fängt mich unser Gruppenhelfer doch noch ab. Dann eben nachher. Ach ja, jetzt erinnere ich mich: Nachher gibt's ja eigentlich gar nicht, weil immer irgendetwas ansteht. Jetzt also erst Zelt aufbauen, einen guten Schlafplatz weit weg von den stinkenden Jungs sichern, Klos checken und dann gibt's sicherlich wieder Spaghetti mit roter und weißer Soße.

Welch eine Überraschung! Dieses Mal gibt es nur die rote Soße. Dafür sind aber die Leute in der Küche die gleichen, zumindest fast. Nur älter sind sie geworden. Aber irgendwie cool sind sie trotzdem noch. Den Abwasch haben wir erst mal unseren Helfer/-innen aufgedrückt. War leichter als gedacht, da Timo noch nicht so lange Gruppenhelfer ist. Sowieso sind doch einige neue Helfer/-innen mit. Welchen Spaß die daran haben, mit uns über Pfingsten wegzufahren? Ob ich auch mal so werde? Naja, das muss ich ja nicht heute entscheiden. Erst mal kann ich sie noch ein bisschen nerven.

Nett ist aber, dass wir in der Gruppenstunde immer erzählen können, was wir so alles gut und nicht gut fanden. Ich fand heute eigentlich bislang alles gut. Bis auf die Nudeln. Hätte Salat dabei sein können. So ist es eher ein Kleinkinderessen. Ähem, ich weiß, wir sollen ja nicht nur übers Wetter und übers Essen reden. »Machen doch aber die anderen auch.« Die sind aber auch das erste Mal dabei. Huch, schon wieder nach Zwölf? Bin noch gar nicht müde. Werde mal Steffi fragen, ob wir noch mit den Neuen aus dem anderen Zelt am See chillen wollen.

Für drei Stunden Schlaf und nicht geduscht sehe ich gar nicht so scheiße aus. Die Sonne scheint auch schon, und es gibt Brötchen. Es gibt frische Brötchen! Und Nutella. Und Kakao.

Was stressen denn jetzt die Helfer/-innen so? Wir haben doch gar nichts gemacht! Wasser aus dem See holen und in den Abfluss gießen. Rückwärts laufen. Was soll das denn? Wollen die uns verarschen? Ich dachte bei den Falken wird Mitbestimmung groß geschrieben? »Ey, bei den Falken dürfen Kinder mitbestimmen. Das sagt ihr doch immer!«
Hätte ich mir doch denken können, dass das von denen nur gespielt war. Timo hatte sich auch so komisch benommen. Und Julika ist sonst auch ganz anders. Fand ich schon unglaubwürdig. »Hab ich von Anfang an gemerkt, dass ihr nicht echt macht!« Aber warum haben so viele andere auch einfach mitgemacht? Ich finde so diktatorische Sachen doof. Das schreib ich jetzt auch mal auf dieses Plakat. Mal sehen, was die anderen so schreiben. Aha: Bei den Falken soll das anders sein. Kinder haben auch Rechte. Widerstand. Demokratie. Mitbestimmung auch für Kinder. Warum dürfen wir nicht mitbestimmen, was es zu essen gibt? Auf dem Sommercamp durften wir das!

Jetzt hab ich's geschnallt. Auf dem Flyer zum Pfingstcamp stand ja auch so was von Partizipation und Mitbestimmung. Und Workshops dazu soll es auch noch geben. Werde mal Steffi und Lara fragen, auf welchen Workshop sie Bock haben.

Nice, die haben sogar Kanus hier! Werde in der Mittagspause mal zu Ricki gehen und fragen, ob noch Platz in der Kanu-Gruppe ist. Bis dahin hau ich mich noch mal an den See in die Sonne. Mist, habe vergessen, dass ich mich ja für heute Mittag in den Abwaschplan eingetragen hatte. Mal sehen, ob ich mit Rico tauschen kann.

Wie jetzt, Gruppenstundenzeit? Die Mittagspause hat doch gerade erst angefangen. Kommt mir so vor, als hätte ich gerade erst gegessen. Dabei ist es schon fünf. Liegt vielleicht an der Sonne und der geilen Paddeltour. Egal. In der Gruppe will uns Timo was über so einen Paragraphen erzählen. Ich verstehe erst mal nix. Klingt alles so wie ein Schreiben von der Behörde. In welchem Bezirk wohne ich überhaupt? Liegt Berne in Wandsbek? Keine Ahnung. Hä, wie jetzt? Was soll ich darauf denn antworten? Was meint Timo mit unseren Interessen? Ich nehme mir jetzt einfach einen Stift und vervollständige die Sätze. Mal sehn, was Steffi schreibt.

Jetzt überraschen mich die Leute aus der Küche doch. Grillen! Sogar gefüllte Champignons und anderes gibt's für Vegis. Die ganzen Würstchen stinken doch. Und der Kartoffelsalat hätte ruhig etwas mehr sein können. Muss ich wohl nächstes Mal mitschnippeln. Aber dann hätte ich aber nicht Kanu fahren können.
Gleich gibt's noch ne Nachtwanderung. Auch wenn es Babykram ist. Mache trotzdem mit. Ricki vom Falkenflitzer hat ja immer ganz coole Ideen.

Klar, die Jungs wieder als Erste. Aber mit Taschenlampe. Geht ja gar nicht. Süüüüß: Die Kleinen wollen auch mit. Alle ganz eng an ihren Gruppenhelfer gedrückt und mit Händchenhalten. Liiihhh, was erschrecken die mich so. Sind die doof? Das ist doch der … ? Wie heißt der noch? Erkenn’ ich doch unter seiner Maske. Und ein Moskitonetz hoch zu ziehen, ist ja echt gruselig, ha ha. »Nö, ich geh da das Stück jetzt nicht alleine bis zur nächsten Lampe. Nö! … Nur, wenn Steffi mit mir geht. Nö. Sonst dreh ich um!«
Und jetzt? Das war's schon? Schade. Hätte noch Bock auf so was, wie im letzten Jahr gehabt. Aber hier ist ja kein Wassergraben.

Warum sind die Helfer/-innen bloß immer noch so lange wach? Reden die über uns? Sicherlich. Aber, sooo laut. Nach der letzten Nacht muss ich heute mal etwas mehr pennen. Und wir kriegen Mecker, wenn wir in der Nachtruhe noch mal lachen. Find' ich unfair. Werde ich Morgen mal Timo sagen.
Warum nerven die aus dem Nachbarzelt denn jetzt noch so rum? Die Witze sind wirklich nicht lustig. Können die nicht mal leise sein? Ich will schlafen.

Mist, bin wohl heute Nacht von der Luma gerutscht. Ganz schön nah an Steffi ran. Aber die pennt eh wie ein Stein. Ist gestern Abend schon bei der Gruppenstunde eingeschlafen. Zum Frühstück wieder Brötchen. Nice. Heute versuch ich mal, noch warmes Wasser unter der Dusche abzubekommen. Die Spinnen nerven zwar, aber ich will nicht stinken wie die Jungs. Ist eh alles nicht so lecker hier in den Waschräumen. Das haben die Helfer/-innen sicherlich mit Absicht ausgesucht, um uns davon abzuhalten, ewig zu duschen und unsere Handys aufzuladen.

Schon wieder Workshop? Ich gehe einfach mit Lara und Jule in den Vereinsworkshop. Klingt komisch, habe keine Ahnung, was da wohl passieren wird. Aber die Nadine macht eigentlich immer ganz coole Sachen in ihren Workshops. Nicht nur labern. Mit den Kleinen kneten will ich nicht, und mit den Älteren vom Falkenflitzer irgendwas mit Medien zu Mitbestimmung in der Schule machen will ich auch nicht. Die tun da immer so schlau. Als hätten die mehr Ahnung von einer Digitalkamera als ich. Und wenn es dann ans Fertigmachen geht, sitzen doch immer die anderen da und versuchen noch was auf die Beine zu stellen.

Den Satz zum Paragraphen 33 aus dem komischen Gesetz kenn ich nun langsam auch schon auswendig. Und was hat das jetzt mit Vereinen zu tun? Stimmt ja, auch da sollen Kinder und Jugendliche mitbestimmen dürfen. Nicht nur so im Bezirk. Ok, wie das bei den Falken läuft, weiß ich. War ja schon oft genug mit. Aha, in Joys Tischtennisverein ist von Mitbestimmung nicht viel zu merken. Wobei sollen die auch mitbestimmen können? Ach so, die sind eigentlich irgendwie auch so organisiert wie die Falken. Wusste ich gar nicht? Nadine hat schon recht: Wir sollten uns alle erst einmal an die eigene Nase fassen. Ääääh, die fasst jetzt wirklich bei Jule an die Nase … Ich fände es auf jeden Fall gut, wenn ich im Sommercamp mehr über den Tagesablauf mitentscheiden kann.

Von der Suppe hätte ich schon noch etwas mehr gehabt. Ich weiß zwar nicht, was da so alles drin war. Sie hat trotzdem ganz gut geschmeckt. Aber ich wollte mich noch am Kirschquark überfressen. Hatte gehofft, dass die Küche den wieder macht. Harald aus der Küche sagte, er hätte drei Liter Sahne reingeschüttet.
Mit dem Bauch sollen wir jetzt mit den anderen noch Spiele machen? Die spinnen doch. Ich verdrück’ mich erst mal ins Zelt. Alle, wirklich alle sollen mitmachen. »Och, nö!« »Och, nö!« »Nööö!« »Na gut. Ich stell mich dazu. Ist das ok?« Jetzt hier den Affen machen und mich mit einem Kind und Schaumstoff hauen. Was die alles von mir verlangen. Da geh’ ich lieber schon mal zum Bolzplatz. Klingt lustig, dass vier Mannschaften mit zwei Bällen auf vier Tore spielen sollen. Kinder wie Erwachsene. So sechzig Leute auf einmal.
Ist das ein Gewusel. Und die Kleinen immer mitten drin. Welcher Ball ist eigentlich unser? Mit wem spiele ich noch mal zusammen? Hätte nicht gedacht, dass das so lustig ist.

Schon wieder das Wochenende rum. Das geht doch gar nicht. Wann soll ich denn noch schlafen? Zelt abbauen, Geschirr zusammensuchen, wieder ein Handtuch irgendwo liegen lassen. War auf jeden Fall nice, die anderen mal wieder zu sehen. Auch die meisten Neuen waren voll nett. Nur einige nervten. Eigentlich wollte ich ja auch noch mal Baden. Aber der See war mir doch zu kalt. Hat schon gereicht, da bei dem komischen Theaterstück das Wasser mit Eimern raus holen zu müssen. Meine Finger sind fast abgefallen.
Und von den Helfer/-innen lass’ ich mich nicht noch mal so leicht rein legen. Ich will beim Sommercamp auf jeden Fall mehr mitentscheiden.


Info:

Sozialistische Jugend Deutschlands (SJD) – Die Falken
Profil:
Die Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken Hamburg ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Kindern und Jugendlichen. Mit den Falken können Kinder und Jugendliche Mitbestimmung und Selbstorganisation erleben, ins Zeltlager fahren, politisch aktiv werden oder sich als Freiwillige in der Gruppenarbeit engagieren.
Sommerfreizeit: Es geht vom 28. Juli bis zum 17. August nach Föhr (auf den Falken-Zeltlagerplatz »unsere welt« nahe Nieblum, direkt am Meer). Unter dem Motto »Aufgehört und mitgestört, weil uns die ganze Welt gehört!« beschäftigen wir mit dem Thema Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft.
Kontakt: Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken | Güntherstr. 34 | 22087 Hamburg | Tel.: (040) 31 05 52 | kontakt@remove-this.falken-hamburg.de
Infos: www.falken-hamburg.de