Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2020, Rubrik Kommentar

Vielseitige Werkstätten unter Pandemiebedingungen

Was für ein Jahr ging zu Ende? Es war ein Jahr voller Tiefen. Aber, und das darf man nicht vergessen, es gab auch große und kleine Höhen. So haben die Hamburger Jugendverbände eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sie auf geänderte Pandemie-Umstände reagieren können und trotz aller Beschränkungen ihre wichtige Arbeit fortgesetzt haben. Im Sommer wurden Ferienfreizeiten unter Einhaltung der Hygienevorgaben realisiert und Gruppenstunden an die Pandemieregelungen angepasst oder in den digitalen Raum verlegt. Es war immer wieder spannend zu hören, welche kreativen und innovativen Lösungen hier gefunden wurden. Nicht zuletzt dank der vielen hoch motivierten Ehrenamtlichen in den Verbänden. Und das alles in den meisten Fällen auch ohne Hilfe »von oben«. Wobei hervorzuheben ist, dass die Anpassung des Landesförderplans »Familie und Jugend« an die Pandemiebedingungen es den Jugendverbänden ermöglicht hat, ihre Angebote flexibel zu gestalten. Bemerkenswert ist zudem, dass Hamburg nach den Erfahrungen mit dem strikten Lockdown im Frühjahr, der auch die Jugendverbände betraf, nunmehr in der aktuellen Eindämmungsverordnung Jugendverbandsarbeit weiterhin ermöglicht – im Gegensatz zu anderen Bundesländern. Damit bleiben jungen Menschen Freiräume jenseits von Schule und Familie erhalten. Wie verantwortungsvoll Jugendverbände damit umgehen, ohne Grenzen auszureizen, zeigt auch die Reportage über die Evangelische Jugend Neuengamme in diesem Heft.

Natürlich kann eine noch so gute digitale Lösung nicht ein Treffen »in the real life« ersetzen. Ein Besuch der Gruppenstunde ist so viel mehr als eine Online-Konferenz. Es ist zugleich ein Freiraum. Ein Freiraum von Schule, Ausbildung, Studium, Arbeit oder dem Lebensraum der Familie. Unter gleichaltrigen und gleichgesinnten Menschen bilden sich andere Aspekte der Persönlichkeit. Soziale Kompetenzen entwickeln sich hier viel schneller und umfangreicher. Zudem werden en passant Lernerfahrungen über das Aushandeln des gemeinsam gestalteten Raums gemacht, die über diesen hinausgreifen.

Jugendverbände haben das Selbstverständnis, »Werkstätten der Demokratie« zu sein. Dieses drückt sich durch nicht allein über die demokratische Verfasstheit der Jugendverbände aus – sondern ebenso durch die Partizipation aller Mitglieder auf allen Ebenen. Im Jugendverband hat ein sechsjähriges Mitglied nicht nur dasselbe Wahlrecht wie ein 27-jähriges Mitglied, es ist ebenso gleichberechtigt beteiligt an der unmittelbaren Ausgestaltung von Gruppenstunden oder Ferienfreizeiten. Von Beginn an wird Demokratie als Alltagspraxis gelebt. Daher kann ein Jugendverband nie unpolitisch sein, sondern ist immer ein Beispiel dafür, wie einfach das Leben der freiheitlich demokratischen Grundordnung sein kann. Dieses jugendverbandliche Selbstverständnis des Politischen und demokratischer Bildung stand auch im 16. Kinder- und Jugendbericht auf dem Prüfstand. Wir dokumentieren den betreffenden Auszug ausführlich in diesem Heft – und regen damit zur Selbstreflektion unserer Jugendverbandsarbeit an. Demokratie lebt auch von Kritik und damit einhergehender Veränderung. Der Bericht attestiert den Jugendverbänden – neben der Anerkennung der Demokratie als Lebensform – auch »ungenutzte Potenziale der Demokratiebildung«. Diese zu identifizieren und aufzuheben, ist ein guter Vorsatz fürs neue Jahr. Unter welchen (Pandemie-)Bedingungen auch immer …

Von Pascal Peisker, LJR-Vorsitzender